Die Spitäler stehen hinter dem neuen Tarifsystem

Trotz Support des Spitalverbands H+ ist das Schicksal des Tarmed-Nachfolgers ungewiss. Denn mit einem gewichtigen Verhandlungspartner, der Ärztevereinigung FMH, bestehen bereits grosse Differenzen.

Christof Forster
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Mit der neuen Tarifstruktur im ambulanten Bereich werden laut Spitalverband falsche Anreize und Ungleichheiten beseitigt. (Bild: Dominic Steinmann / NZZ)

Mit der neuen Tarifstruktur im ambulanten Bereich werden laut Spitalverband falsche Anreize und Ungleichheiten beseitigt. (Bild: Dominic Steinmann / NZZ)

Ärzte in Praxen und im ambulanten Spitalbereich rechnen ihre Leistungen – rund 11 Milliarden Franken – heute über das Tarifsystem Tarmed ab. Dieses gilt seit 2004 und ist inzwischen vom medizinischen und technischen Fortschritt überholt. Teilweise werden Leistungen zu hoch oder nicht genügend vergütet. Deshalb haben die Tarifpartner eine neue Tarifstruktur erarbeitet, die seit dem Frühjahr vorliegt und nun von den einzelnen Verbänden genehmigt werden muss.

Beim Spitalverband H+ ist die Sache klar. Rund 80 Prozent der Mitglieder haben in einer internen Abstimmung für den neuen Tarif votiert. Die neue Struktur sei kein perfektes System, sagte Verbandsdirektor Bernhard Wegmüller am Montag vor den Medien. Doch es gelte, dieses System an der heutigen Realität zu messen und nicht an einer idealen Welt. Positiv würdigte Wegmüller die Reduktion der Tarifpositionen auf gut die Hälfte. Zudem bilde der neue Tarif die effektiven Aufwände ab.

H+ widerspricht der in der Branche verbreiteten Wahrnehmung, die Spitäler profitierten vom neuen Tarif und unterstützten ihn deshalb. Laut Hochrechnungen des Verbandes sinken die Erlöse der Spitäler mit dem neuen System um rund 1 Prozent. Bei breit aufgestellten Spitälern mit vielen Fachrichtungen dürften sich Gewinne und Verluste etwa die Waage halten. Bei spezialisierten Kliniken hingegen gibt es eher Gewinner (zum Beispiel Kinderspitäler) und Verlierer (zum Beispiel Kliniken mit vielen bildgebenden Verfahren).

Für die Spitäler ist die Bedeutung des ambulanten Bereichs gewachsen – von 13 Prozent der Leistungen 1996 bei der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes auf 25 Prozent 2014. Der Anteil dürfte weiter zunehmen, da er auch den Wünschen der Patienten entspricht.

Rolf Zehnder, Direktor des Kantonsspitals Winterthur, sieht in der «Lernfähigkeit» des neuen Tarifs einen wichtigen Pluspunkt. Dieser entwickle sich und passe sich Veränderungen an. Wie bei den Fallpauschalen im stationären Sektor soll auch beim neuen Tarif im ambulanten Bereich der medizinische Fortschritt laufend berücksichtigt werden. Solche Anpassungen könnten grundsätzlich von keinem Tarifpartner verhindert werden, sagte Josef Müller vom H+-Vorstand. Für die Tarifpflege werde eine neue Organisation aufgebaut.

Der Verband kontert auch eine Kritik des Kassenverbands Santésuisse, wonach die stärkere Gewichtung des Zeitaufwandes Anreize zur Mengenausweitung mit sich bringt. Zeitleistungen beträfen nur ein sehr kleines Volumen, sagte Wegmüller. Wenn die Dauer eines Eingriffs zwischen 5 und 55 Minuten variieren könne, sei eine Pauschale nicht sinnvoll.

Allerdings ist noch offen, ob der neue Tarif überhaupt zur Anwendung kommt. Die Ärztekammer (Parlament) der Ärztevereinigung FMH stimmt ihm zwar zu. Doch sie fordert gleichzeitig, dass die Normierungsvereinbarung mittelfristig abgeschafft wird. Diese stellt sicher, dass durch den neuen Tarif keine zusätzlichen Kosten entstehen und damit die Vorgaben des Bunds eingehalten werden. Laut dem Kassenverband Curafutura würde die Abschaffung zu jährlichen Mehrkosten von rund vier Milliarden Franken führen. Der Spitalverband ist gegen die Aufhebung dieser Vereinbarung, wie deren Präsident Charles Favre am Montag sagte. Falls die FMH den Tarif ablehne, hoffe er auf ein Eingreifen des Bundesrats, basierend auf der ausgehandelten neuen Tarifstruktur.

Laut Zeitplan muss die neue Tarifstruktur Ende Juni 2016 beim Bundesrat eingereicht werden.

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