Fitness-Tracker und Versicherungen : Wie Firmen Daten ihrer Mitarbeiter ausspähen
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Apples Smartwatch zu tragen ist nicht unbedingt smart. Denn nichts interessiert Krankenkassen und Arbeitgeber mehr als die Gesundheitsdaten von Mitgliedern und Beschäftigten. Bild: Andreas Müller
Kranke Mitarbeiter sind teuer. Für Arbeitgeber ist das Grund genug, sich für die Gesundheitsdaten ihrer Arbeitnehmer zu interessieren.
Kranke Mitarbeiter sind teuer. Für Arbeitgeber ist das Grund genug, sich für die Gesundheitsdaten ihrer Arbeitnehmer zu interessieren. In den Vereinigten Staaten analysieren immer mehr Unternehmen und Versicherungen Medikamentenrezepte, Kaufverhalten und sogar das Wahlverhalten, um Gesundheitsprofile zu erstellen. Wie das „Wall Street Journal“ berichtete, lässt der Einzelhändler Walmart über Auftragsfirmen Daten von Mitarbeitern sammeln. So will er herausfinden, welche Angestellten beispielsweise ein hohes Diabetesrisiko haben. Solche Mitarbeiter könnte man mit personalisierten Nachrichten zu einem Arztbesuch oder Abnehmprogramm bewegen. „Nudging“ nennt sich dieser verhaltenspsychologische Ansatz: den Leuten einen Schubs in die „richtige“ Richtung geben.
Der Weg über Firmen, die ihre Informationen von Datenbrokern oder Versicherungen beziehen, umgeht die Datenschutzvorschriften. Auf Krankenakten ihrer Mitarbeiter zugreifen dürfen amerikanische Unternehmen nicht. Aber an gesundheitsrelevanten Daten dürfte es in Zeiten von Fitnesstrackern und Smartwatches nicht mangeln. Die Firma Castlight scannt angeblich Versicherungsfälle, die mit dem Verlangen nach einer Spinalanästhesie einhergehen. Die Behandlungen sind teuer. Werden solche Fälle identifiziert, erhält der Patient die schriftliche Empfehlung, eine zweite ärztliche Meinung einzuholen oder auf die Behandlung zu verzichten.
Armut als Kostenfaktor
Um herauszufinden, ob eine Mitarbeiterin möglicherweise bald schwanger wird, prüft Castlight Versicherungsakten auf die Verschreibung der Pille und die eigene Gesundheits-App nach Suchbegriffen wie Fruchtbarkeit. Die Daten werden mit dem Alter der Frau abgeglichen, und, falls vorhanden, mit dem ihrer Kinder. Ein Algorithmus errechnet die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft. Gibt es früh genug Indizien, kann der Arbeitgeber die Mitarbeiterin entlassen. Um diese Wissensvorsprünge geht es im Informationskapitalismus. „Ich wette, dass ich Ihr Herzinfarktrisiko besser anhand dessen vorhersagen kann, wo Sie shoppen und essen, als anhand Ihres Genoms“, behauptet Harry Greenspun, der Direktor des Deloitte LLP’s Center for Health Solutions, im „Wall Street Journal“.
Ein Mitarbeiter, der Geld in einem Fahrradgeschäft lässt, ist wahrscheinlich in einer besseren gesundheitlichen Verfassung als einer, der es für Videospiele ausgibt. Lässt sich aus dem Konsumverhalten die künftige Krankenakte herauslesen? Auf Anfrage sagt Greenspun: „Die Hauptdeterminanten der individuellen Gesundheit sind Lebensstil und Umwelt. Die medizinische Versorgung und Genetik spielen eine viel geringere Rolle.“ Konsum ist zudem ein Indiz für Wohlstand, und Wohlstand hat Auswirkungen auf die Gesundheit. Wer finanzielle Probleme habe, sagt Greenspun, laufe ein größeres Risiko, ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Das ist insofern problematisch, als dieser Logik zufolge Menschen mit geringem Einkommen als potentielle Kostenfaktoren abgestempelt werden und mit höheren Versicherungsbeiträgen rechnen müssen. Es zeigt, wie Big Data das Solidarsystem aushebeln kann.
„Besser als DNA“
Die Firma Weltok, zu deren Kunden die Bediensteten des amerikanischen Bundesstaats Colorado gehören, hat herausgefunden, dass Wähler gesünder sind als Nichtwähler. Aber was hat Wahlbeteiligung mit Gesundheit zu tun? Selbst wenn man annimmt, dass ein Spaziergang zum Wahllokal die Gesundheit fördert, hätte das keinen statistisch messbaren Effekt. Die Frage stellt sich nicht nach der Sinnhaftigkeit dieser Korrelationen - auch der Kalkulation von Credit Scores werden Parameter wie Musikvorlieben zugrunde gelegt -, sondern was es bedeutet, wenn unser Verhalten mehr über uns aussagen soll als unsere DNA.
Der Rechtsprofessor Frank Pasquale, der das Buch „The Black Box Society“ geschrieben hat, sagt: „Je mehr Unternehmen oder Auftragsfirmen in das Leben ihrer Mitarbeiter spähen, desto dringlicher müssen Aufsichtsbehörden diese Praktiken überprüfen. Stellen Sie sich vor, ein Algorithmus bestimmte, welche Angestellten eine um fünfzig Prozent höhere Krebswahrscheinlichkeit haben.“ Eine Firma könne dann entscheiden, die Mitarbeiter zu feuern oder gar nicht erst einzustellen. Sollte Unternehmen daraus ein Wettbewerbsvorteil erwachsen, würden andere nachziehen. „Wir müssen den Gebrauch sensibler Gesundheitsdaten regulieren“, fordert Pasquale. Der vernetzte Mensch schreibt ein laufend aktualisiertes Internetprotokoll über sich selbst. „Solche Daten sind in der Tat besser als DNA“, sagt Pasquale. Doch müsse das, was man aus diesen Daten ablese, nicht zwingend zutreffen. Nur weil jemand nicht wählen war, heißt das noch nicht, dass er ungesund lebt.