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Krankenkassen wittern einseitige Bevorzugung

Eine Extrawurst für die AOK?

Düsseldorf/Münster

Das überrascht nicht wirklich: Wenn jährlich rund 230 Milliarden Euro aus einem Fonds zur Verteilung anstehen, ist Streit über den Verteilungsschlüssel vorprogrammiert. 

Norbert Tiemann

Um die Milliarden aus dem Gesundheitsfonds tobt seit Jahren ein harter Verteilungskampf. Nun monieren einige Kassenchefs, dass die AOK Rheinland/Hamburg beim Risikostrukturausgleich speziell bevorzugt werden soll.
Um die Milliarden aus dem Gesundheitsfonds tobt seit Jahren ein harter Verteilungskampf. Nun monieren einige Kassenchefs, dass die AOK Rheinland/Hamburg beim Risikostrukturausgleich speziell bevorzugt werden soll. Foto: dpa

Die gesetzlichen Krankenkassen, die letztendlich über deren unterschiedlich hohe Zusatzbeiträge miteinander konkurrieren und ihre Gelder aus dem milliardenschweren Topf namens Gesundheitsfonds beziehen, fordern seit Jahren lautstark Korrekturen.

Auf die Palme bringt sie eine bislang nicht dementierte  massive politische Intervention der SPD zugunsten einer Versicherung, der AOK Rheinland/Hamburg. Die Akteure: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und deren Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.

Von einer wettbewerbsverzerrenden Überversorgung des AOK-Systems ist in Kassenkreisen schon lange die Rede. So hatte sich die große Koalition in Berlin im Sommer immerhin auf geringfügige Korrekturen des Verteilschlüssels für den Gesundheitsfonds verständigt – unter anderem im Hinblick auf Auslandsversicherte. Die Zuweisungen für diese Gruppe waren über Jahre zu hoch und begünstigten in erster Line die AOK Rheinland/Hamburg. Der drohten durch die geplante Gesetzesänderung Rückzahlungen in Höhe von rund 157 Millionen Euro.

„Existenzielles Problem“

Der Beitrag dieser Kasse ist mit 16 Prozent schon jetzt der zweithöchste in Deutschland – ein Brandbrief  an Gesundheitsminister Hermann Gröhe, der unserer Zeitung vorliegt, spricht von einem „existenziellen Problem“ für den Fall der Rückzahlungen. „Das zieht uns den Boden unter den Füßen weg.“

AOK-Post hat wohl nicht nur Gröhe erhalten. Unmittelbar vor den lange geplanten politischen Beschlussfassungen in Berlin soll NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ihren Parteivorsitzenden Gabriel informiert, der dann den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach in Marsch gesetzt haben. Dessen plumpe Strategie – Ruf nach einer einmaligen Sonderzahlung für die AOK Rheinland/Hamburg – wollten selbst die eigenen Leute nicht mittragen; die gesamte Gesetzesnovelle liegt seitdem auf Eis.

Eine durchaus seltene Krankenkassen-Koalition aus Barmer, DAK, BKK und Knappschaft protestierte gemeinsam gegen die einseitige Parteinahme Lauterbachs. Der Vorstandsvorsitzende der Viactiv, einer Betriebskrankenkasse mit über 410 000 Versicherten in NRW, wirft der AOK Rheinland/Hamburg „solidargefährdendes Verhalten“ vor, weil die finanziellen Belastungen innerhalb des AOK-Systems locker aufgefangen werden könnten.

"Nebelkerzen"

Reinhard Brücker: „Gut, dass die Nebelkerzen von Prof. Lauterbach geplatzt sind; er hat in unerträglicher Weise Parteinahme für eine einzelne Kasse und Einfluss auf den Gesundheitsausschuss genommen.“

Die NRW-Landesregierung beantwortet Anfragen zur Rolle von Ministerpräsidentin Kraft in dieser Sache mit dem Hinweis, dass Gespräche der Regierungschefin, die ihrer eigenen unmittelbaren Meinungsbildung dienen, „dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung unterfallen“.

Weiteres Ungemach: Als erste Krankenkasse muss die AOK Rheinland/Hamburg wegen der nachträglich korrigierten Kodierung von Diagnosen durch Vertragsärzte Strafe zahlen. Das Verfahren vor dem NRW-Sozialgericht wurde jetzt beendet. Die AOK muss insgesamt sieben Millionen Euro an den Gesundheitsfonds zurückzahlen, weil sie Vertragsärzte angehalten haben soll, Patienten kränker einzustufen, als sie es tatsächlich waren, um so höhere Zahlungen aus dem Fonds zu bekommen. Die AOK erklärt dazu, lediglich die Nachträglichkeit der Korrektur sei beanstandet worden.