Jörg Noetzel gibt jetzt im Klinikverbund Südwest den Ton an. Foto: factum/Granville

Der Geschäftsführer des Klinikverbunds Jörg Noetzel freut sich über die Investitionen der Kreise Böblingen und Calw in die Krankenhäuser.

Sindelfingen - Aufgewachsen ist er in Berlin, doch zu Hause fühlt er sich seit 20 Jahren in der Region Stuttgart. Seit 1. Oktober ist Jörg Noetzel der neue medizinische Geschäftsführer des Klinikverbunds Südwest. Kaum im Amt, stehen wichtige Termine auf dem Programm. So der städtebauliche Wettbewerb für die Flugfeldklinik in der vergangenen Woche. Die Land- und Kreisräte erwarten aber vor allem, dass er das enorme Defizit senkt. Wie er das anstellen möchte, sagte er uns in einem Interview.

Herr Noetzel, nach gerade mal drei Jahren als Geschäftsführer der Göppinger Kreiskliniken sind Sie zum Klinikverbund Südwest gewechselt. Warum?
Ich gebe zu, dass ich mir den Wechsel alles andere als leicht gemacht habe. Gemeinsam mit den Menschen dort haben wir viel erreicht. Und ich bin damals sicher einige Male nachts aufgewacht und habe nachgedacht, ob ich wirklich wechseln soll. Aber die Aufgabe hier ist sehr reizvoll.
Was reizt Sie daran?
Die Aufgabe ist einfach größer, mit mehr Verantwortung. Der Klinikverbund Südwest ist einer der größten Klinikverbünde in Baden-Württemberg, wenn nicht in Süddeutschland. Und es ist eines der spannendsten Unternehmen im Gesundheitsbereich in der Region. Hinzu kommt, dass ich als „Berliner Schwabe“ hier sehr verwurzelt bin. Meine Frau stammt aus Stuttgart, meine beiden Söhne sind hier zur Welt gekommen. Sehr gute Perspektiven bieten auch die Neubauten der Flugfeldklinik und in Calw.
Das haben Sie in Göppingen auch.
Aber die Neubauten hier sind noch wesentlich spannender. Wir haben hier viel mehr Verbundeffekte. Wir fusionieren hier zum Beispiel zwei Krankenhäuser. Das wird einen enormen Effekt bringen und viele neue Patienten anziehen. Beide Landkreise sind gewillt, in die Gesundheitsversorgung zu investieren. Das ist ein eindeutiges Zeichen, dass die kommunale Trägerschaft hier ernst genommen wird.
Ist das anders als in Göppingen?
Es gab in Göppingen eine klare Ansage: bis 2018 die schwarze Null. Denn der Neubau muss finanziert sein. Und wir haben das Defizit immerhin von vier Millionen auf 2,8 Millionen Euro senken können. Die Landräte und die Aufsichtsräte hier haben sich klar positioniert. Sie wollen für die Bevölkerung alle Standorte halten und kräftig in deren Entwicklung investieren. Damit ist klar: Der Träger nimmt die Aufgabe ernst.
Auch beim Klinikverbund galt eine Zeit lang das Diktat der schwarzen Null, bis man merkte, das schadet der Arbeit. Trotzdem gibt es auch hier die klare Vorgabe, das Defizit zu reduzieren. Wie wollen Sie das anpacken?
Über 20 Millionen Euro Defizit ist auf lange Sicht zu viel. Das ist klar. Welches Tempo wir vorlegen, darüber entscheidet aber der Träger. Den größten Einspareffekt erzielen wir erst dann, wenn die Neubauten stehen. Klar ist, mit dem Personal müssen wir behutsam umgehen. Auch das schauen wir uns genau an. Zunächst aber prüfen wir, ob wir die Erlöse steigern können. Wachstum ist immer besser als Sparen.
Die Patientenzahlen und Erlöse sind bereits in den vergangenen Jahren gestiegen.
Ja, aber zum Beispiel auch die Personalkosten, und zwar überproportional. Das müssen wir uns genauer ansehen. Wir schauen uns auch die Sachkosten an. Im Moment erheben wir die Daten und analysieren die Kosten genau. Doch dabei kommen wir an unsere Grenzen. Einige Kosten sind durch die vielen Standorte unvermeidbar. Deren Bestand ist jedoch garantiert.
Wollen Sie daran rütteln?
Nein. Es gibt eine ganz klare Medizinstrategie, die eine wohnortnahe Versorgung garantiert. Das ist gut so. Trotzdem ist es meine Aufgabe als neuer Geschäftsführer, mir alles anzuschauen. Dazu gehört ganz wesentlich die Umsetzung der Medizinstrategie.
Was qualifiziert Sie für diesen Job?
Ich bin Chirurg, habe zehn Jahre in der Chirurgie gearbeitet. Das ist von Vorteil Zum einen wegen der Akzeptanz. Wenn man mit den ärztlichen und pflegerischen Kollegen spricht. Ich kenne die Situation auf den Stationen. Das hilft mir beim Verständnis der Themen, die auch die Leute bewegen. Und ich habe auch ein Berufsethos: Mir geht es immer noch darum, Menschen zu helfen, ich habe nicht nur Zahlen im Kopf.
Können Sie noch operieren?
Im Notfall könnte ich es noch. Aber das wäre möglicherweise nicht gut für den Patienten. Meine Facharztprüfung war vor 15 Jahren.
Und was verstehen Sie von Betriebswirtschaft?
Ich habe auch ein betriebswirtschaftliches Studium absolviert. Das hat mir damals das Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus ermöglicht. Und die vergangenen drei Jahre hatte ich nahezu die gleiche Aufgabe in Göppingen und habe dort auch betriebswirtschaftlich erfolgreich gearbeitet. Wir hatten dort ähnliche Themen: großer und kleiner Standort, Medizinstrategie, Neubau und betriebswirtschaftliche Konsolidierung. Hier gibt es noch mehr Standorte und sogar zwei Landkreise. Und das Thema landkreisübergreifende Medizin ist spannend.
Sind Sie eher Arzt oder Wirtschaftsboss?
Meine Vision ist als Arzt, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen für die, die hier arbeiten. Und für Patienten attraktiv zu sein.
Sie sind jetzt etwa sechs Wochen hier. Wie ist Ihr erster Eindruck: An welchem Standort könnte es schwierig werden?
An keinem.
Wie kommen Sie mit Leonberg klar?
Sehr gut. Was ich schade finde, sind diese Schilder, sinngemäß „Leonberg darf nicht sterben“, die immer noch an vielen Autos kleben. Das schädigt eher den Ruf. Mein Ziel ist, die Stärken der kleinen Häuser noch mehr bei der Bevölkerung hervorzuheben. Wir machen in Leonberg eine gute Medizin. Ich verstehe das Problem: Leonberg soll nicht geschlossen werden. Das war mal Thema, ist aber jetzt Historie. Das zeigen allein die vorgesehenen knapp 60 Millionen Euro Investitionen ins Haus.
Wie kommen Sie mit dem Personalrat aus?
Gut. Mir ist wichtig, ein vertrauensvolles Verhältnis hinzubekommen. Dafür ist eine offene Kommunikation notwendig.  Allerdings ist die Betriebsratsstruktur sehr komplex.
Nicht nur die des Betriebsrats. Insgesamt sind die Strukturen des Verbunds sehr kompliziert mit mehreren Aufsichtsräten und zwei Betreibergesellschaften.
Das ist um einiges komplizierter als in Göppingen. Dort hatte ich mit 15 Aufsichtsräten zu tun, hier sind es fünf Gremien mit zumeist mehr als 20 Aufsichtsräten. Das schreckt mich aber nicht ab. Es wäre jedoch sicherlich wünschenswert, auf lange Sicht die Strukturen zu vereinfachen und zu verschlanken.
Was wird Ihr erstes Projekt sein?
Ich glaube, am meisten warten alle darauf, wie die Medizinstrategie jetzt konkret umgesetzt werden soll. Dazu gibt es verschiedene Arbeitsgruppen mit allen Beteiligten, auch den Mitarbeitern. Bis Februar werden wir daher mehr Klarheit haben. Das wichtigste Projekt ist neben den anderen Neu- und Umbauten der Flugfeldneubau.
Wie sieht das ideale Krankenhaus aus – für Mitarbeiter und Patienten?
Kurze Wege, helle Räume, geschultes Personal. Gute Technologie ist wichtig, die die Bürokratie vereinfacht. Das Personal muss Zeit für die Medizin und Pflege haben statt für Bürokratie. Für die Mitarbeiter ist es extrem wichtig, dass sie wissen, was läuft und dass ihre Sorgen ernst genommen werden. Dann kommen auch die Patienten.
Wie sieht es mit der Personalgewinnung im Moment beim Klinikverbund aus?
Die großen Standorte Böblingen und Sindelfingen haben weniger Probleme, die kleinen eher. Aber alle Standorte profitieren durch den Zusammenschluss im Klinikverbund Südwest.