Die nächste grosse Reform im Gesundheitswesen

Spitalkosten zahlen Kantone und Kassen, ambulante Behandlungen nur die Kassen. Dies führt zu Verzerrungen, die das Parlament nun beseitigen will. Grosser Knackpunkt ist die Rolle der Kantone.

Christof Forster, Bern
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Immer mehr Operationen können ambulant durchgeführt werden. (Bild: Christian Beutler / NZZ)

Immer mehr Operationen können ambulant durchgeführt werden. (Bild: Christian Beutler / NZZ)

Ambulante Behandlungen sind eine gute Sache. Es kommt meist günstiger, wenn der Patient nur einige Stunden in der Arztpraxis oder im Spitalambulatorium liegt, statt dass er mehrere Tage im Spital verbringt. Für den Patienten ist es komfortabler, weil er sich zu Hause schneller erholt. Dank dem medizinischen Fortschritt hat sich das Feld der ambulanten Eingriffe in den vergangenen Jahrzehnten laufend vergrössert. So werden heute beispielsweise Kniespiegelungen und Operationen des Grauen Stars häufig ambulant durchgeführt. Doch die Schweiz hinkt bei der Verlagerung dem Ausland nach. Der Anteil der stationären Kosten an den Gesamtkosten der medizinischen Versorgung gehört zu den höchsten im internationalen Vergleich.

Ein wichtiger Grund dafür seien die hohen stationären Kapazitäten, sagt Gesundheitsökonom Stefan Felder von der Universität Basel. Es gebe zu viele kleine Spitäler. Diese handeln betriebswirtschaftlich völlig rational, wenn sie ihre Kapazitäten auslasten. Das Problem der zu vielen Betten müsste die Politik angehen, denn die meisten Spitäler gehören den Kantonen. Doch die Gesundheitsdirektoren handeln nur zögerlich, weil sie bei Spitalschliessungen ihre Wiederwahl riskieren.

Gut für Kassen, aber teurer

Auch die unterschiedliche Finanzierung bremst die Verlagerung in den ambulanten Bereich. Behandlungen im Spital finanzieren Kantone (55 Prozent) und Versicherer (45 Prozent) gemeinsam. Die ambulante Versorgung hingegen zahlen die Krankenkassen zu 100 Prozent. Für sie ist es günstiger, wenn im Spital behandelt wird, weil sie dann nur knapp die Hälfte der Kosten übernehmen. Das System als Ganzes wird dadurch aber teurer, weil die Behandlung im Spital meist mehr kostet als in der ambulanten Versorgung. Die Kantone hingegen drängen in den ambulanten Bereich. Der Kanton Zürich will im Gesetz regeln, welche Eingriffe künftig ambulant gemacht werden sollen.

Die Politik hat sich bereits mehrmals mit dem Thema befasst – letztmals bei der Einführung der neuen Spitalfinanzierung –, aber die Ideen nie umgesetzt. Jetzt unternimmt die Gesundheitskommission des Nationalrats einen neuen Anlauf. Im Herbst 2017 will sie einen Vorschlag präsentieren, wie Nationalrätin Ruth Humbel (cvp., Aargau) sagt. Sie präsidierte eine Subkommission, welche die Vorlage ausarbeitet.

Um die unterschiedlichen finanziellen Anreize zu beseitigen, sollen sich die Kantone auch an den Kosten der ambulanten Behandlungen beteiligen. Diskutiert wird über einen Kostenteiler von 75 Prozent (Versicherer) zu 25 Prozent (Kantone). Noch offen sei, ob für die Kantone wie im Spitalbereich ein Mindestanteil gelten soll, sagt Humbel. Zur Umsetzung reiche eine Änderung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG). Eine Verfassungsänderung sei nicht notwendig.

Einer der Treiber für eine Reform ist der Kassenverband Curafutura. «Die Ausgangslage ist heute eine andere als bei früheren Versuchen, die gescheitert sind», sagt dessen Direktor Pius Zängerle. Mit dem starken Wachstum im ambulanten Bereich komme es zu einem schleichenden Rückzug der Kantone aus der Finanzierung des Gesundheitswesens. Der Anteil der (progressiven) Steuerfinanzierung nimmt gegenüber der Finanzierung über die Kopfprämie ab. Gleichzeitig kürzen die Kantone aufgrund knapper Finanzen bei ihrem Korrektiv, der Prämienverbilligung. Diese Entwicklung schafft laut Zängerle Druck für Veränderungen. Mit dem verfeinerten Risikoausgleich sei sichergestellt, dass die Versicherer nicht erneut Jagd nach guten Risiken machten. Gegengewicht zur stärkeren Position der Versicherer im neuen Modell ist die verschärfte Aufsicht über die Krankenkassen.

Wo liegt nun der konkrete Nutzen, wenn ambulante und stationäre Leistungen einheitlich finanziert werden? Die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften hat dazu für Curafutura ein Grundlagenpapier mit einem Wirkungsmodell erarbeitet. Die Versicherer würden demnach stärker in alternative Modelle wie etwa die integrierte Versorgung investieren. Sie könnten künftig höhere Prämienrabatte gewähren und würden so für die Versicherten attraktiver. Falls es heute dank solchen Modellen zu weniger Hospitalisationen komme, dann profitieren davon laut Zängerle die Kantone, jedoch nicht die Versicherer und die Prämienzahler, welche die vollen Kosten der ambulanten Versorgung tragen. Die bessere Steuerung der Behandlungskette führe dazu, dass vermehrt Leistungen vom stationären in den ambulanten Bereich verlagert würden, sagt Zängerle. Die Subkommission diskutiert den Vorschlag von Curafutura, der unter dem Namen «Einheitliche Finanzierung Ambulant/Stationär» (Efas) läuft.

Unterschiedliche Vorstellungen gibt es darüber, wie der Vergütungsanteil der Kantone von 6,4 Milliarden Franken künftig ins System gelangen soll. Curafutura schlägt vor, dass diese Mittel über den Risikoausgleich zu den Kassen gelangen. Dabei bleiben die Gelder im jeweiligen Kanton. Laut dem Kassenverband Santésuisse sollen die Mittel direkt zu den Kassen fliessen – proportional zu den bezahlten Rechnungen. Unabhängig davon gilt es einen grossen Knackpunkt zu klären: Wie können die Kantone die Verwendung ihrer Steuergelder kontrollieren?

Einsparungen bis 3 Milliarden

Das Beratungsunternehmen PWC rechnet bei einer breiten Verschiebung in den ambulanten Sektor mit Einsparungen von jährlich rund 1 Milliarde Franken. Die Krankenkasse Helsana schätzt das Sparpotenzial auf 1,5 bis 3 Milliarden Franken. Mit den neuen Anreizen lohnten sich Prävention und die gute Betreuung von Chronischkranken und teuren Patienten. Es sind diese Patientengruppen, die 80 Prozent der Kosten verursachen.