Gesundheitskosten wachsen wieder stärker

Die gute Meldung ist gar keine: Zwar steigen die Gesundheitskosten derzeit weniger als früher. Doch schon im nächsten Jahr kehrt der Trend wieder – unter anderem wegen des Streits über den Arzttarif.

Daniel Gerny
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Will man die Kosten im Gesundheitswesen eindämmen, sind grössere Eingriffe nötig. (Bild: Gaetan Bally / Keystone)

Will man die Kosten im Gesundheitswesen eindämmen, sind grössere Eingriffe nötig. (Bild: Gaetan Bally / Keystone)

Um 50 Prozent hat die Zahl der Spitalbehandlungen wegen Hüftprothesen zwischen 2003 und 2014 zugenommen, Knieoperationen haben sich im gleichen Zeitraum sogar mehr als verdoppelt, wie eine Statistik zeigt, die der Vergleichsdienst Comparis basierend auf Angaben des Bundesamtes für Statistik (BfS) unlängst veröffentlicht hat. Es sind solche Entwicklungen, die das Gesundheitswesen auf die Probe stellen. Doch die Politik zeigt sich bis heute nicht in der Lage, der medizinischen Überversorgung entgegenzuwirken und Fehlanreize im System, die die Kostenentwicklung negativ beeinflussen, zu beseitigen.

«Strategie 2020» ohne Wirkung

Alle sechs Monate präsentiert die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) ihre Prognosen für die kommenden Jahre. Eine Konstante bleibt: Die Kosten steigen. Bis Herbst 2018 bleibe «die Dynamik unverändert», heisst es in der Prognose, die die KOF am Dienstag in Bern präsentierte. Selbst ein punktuelles Abflachen der Kurve bedeutet höchstens eine kurze Atempause: Den «moderaten Anstieg» der Gesundheitsausgaben im letzten Jahr, der aber immer noch satte 2,9 Prozent beträgt, führt die KOF einerseits auf das gesamtwirtschaftlich schwächere Umfeld und andererseits auf die Senkung der Medikamentenpreise Mitte 2013 zurück.

Für Zuversicht bleibt indessen wenig Raum: Schon im laufenden Jahr geht die KOF von einem Wachstum in Höhe von 3,6 Prozent aus. In den beiden Folgejahren rechnet sie sogar mit einem Anstieg von 3,9 Prozent. Nicht nur die konjunkturelle Erholung, sondern insbesondere die gescheiterte Revision des Ärztetarifs Tarmed führt laut Marko Köthenbürger von der KOF zum wieder stärkeren Kostenwachstum. Die Verhandlungen waren im Herbst gescheitert, ohne dass sich Versicherer und Leistungserbringer wirklich nähergekommen waren. Wie es 2018 weitergehen soll, ist völlig offen. Auch die von Bundesrat Alain Berset vor vier Jahren präsentierte «Strategie Gesundheit 2020» zeige bis ins Jahr 2018 keine Wirkung, lautet das ernüchternde Fazit der Prognostiker.

Der kontinuierliche Anstieg der Gesundheitsausgaben bleibt damit der Normalfall. Das wirkt sich auf die Branche aus. Die Bedeutung des Gesundheitssektors wächst: Die Gesundheitsausgaben wachsen schneller als das Bruttoinlandprodukt (BIP). Auf Vollzeitstellen umgerechnet arbeiteten 2015 über 266 000 Personen im Gesundheitswesen. Das entspricht lauf KOF einem Anteil von beinahe 7 Prozent aller Beschäftigten. Vor 25 Jahren lag dieser Anteil noch unter 5 Prozent. Der Anteil des Gesundheitswesens an der Wertschöpfung stieg zwischen 1997 und 2014 von 3,7 auf 5,1 Prozent.

Mehr Ausgaben in guten Zeiten

Gewisse Ursachen für das Ausgabenwachstum lassen sich politisch kaum beeinflussen. Dazu gehört die demografische Alterung der Gesellschaft, weil in den letzten Lebensjahren die höchsten medizinischen Kosten anfallen. Auch die Konjunktur beeinflusst das Gesundheitswesen, und zwar gleich in doppelter Hinsicht: Einerseits führt eine gesunde Wirtschaft zu steigenden Löhnen, was sich in der personalintensiven Medizinbranche stark auswirkt. Andererseits werden in guten Zeiten mehr medizinische Leistungen konsumiert. Auch die Erwerbsquote von Frauen beeinflusst die Kosten – wegen der Verlagerung unentgeltlicher Pflegeleistungen zugunsten professioneller Anbieter, beispielsweise Spitex-Diensten.

Doch die KOF-Zahlen zeigen auch, wo mögliche Ansatzpunkte für Korrekturen wären: Die Prämien steigen stärker als die Gesundheitskosten insgesamt, weil bei Ausgaben, die die Krankenkasse übernimmt, Sparanreize weitgehend fehlen. Laut Köthenbürger lassen sich die verhältnismässig stabil bleibenden Ausgaben in der Zahnmedizin vor allem damit erklären, dass hier die meisten Leistungen privat finanziert werden. Diese Woche hat das Parlament reagiert: Um Patienten davon abzuhalten, mit raschen Arztbesuchen bei Bagatellfällen Kosten zulasten des KVG zu verursachen, soll die tiefste Franchise von heute 300 Franken angehoben werden.

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