Das bisherige Calwer Krankenhaus ist für Hermann kein Vorzeigeobjekt. Archiv-Foto: Fritsch Foto: Schwarzwälder-Bote

Krankenhausneubau: Für die AOK ist er absolute Notwendigkeit / Calw als Modellregion für medizinische Zukunft

Die Stadt Calw und der Kreis Calw als Modell-Region für ein neues Gesundheitswesen? Für Hartmut Keller, Geschäftsführer der AOK Nordschwarzwald, und Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, ist das eine Tatsache.

Kreis Calw. "Wir sehen, dass hier wirklich gute Sachen entstehen, dass hier sehr engagierte Menschen am Werk sind, die die Zukunft der Medizin aktiv gestalten wollen." Christopher Hermann macht auf seiner aktuellen Tournee durch die verschiedenen AOK-Direktionen auch genau deshalb im AOK-Kundencenter Calw Station – stellvertretend für alle Niederlassungen seiner Krankenkasse im Nordschwarzwald. Um zu zeigen: Die AOK will in diesen "spannenden Entwicklungen in und für Calw" unbedingt eine aktive und auch entscheidende Rolle spielen.

Gesundheitscampus für Personalentwicklung

Auch personell, wie Hartmut Keller unterstreicht. Der künftige "Gesundheitscampus Calw" werde für die AOK ein neuer Kristallisationspunkt in der Personalentwicklung einnehmen. Was genau das bedeutet – das bleibt allerdings noch ein bisschen "wage". Was aber andererseits nicht wundert, denn mit dem Neubau des Calwer Kreiskrankenhauses auf dem Stammheimer Feld werde sicher manches "neu erfunden" werden, was es so wohl bisher im regionalen Gesundheitswesen bisher nicht gab. Oder andersherum gesprochen: Alle Beteiligten wollen die einmalige Chance nutzen, komplett neue medizinische Versorgungs-Konzepte zu entwerfen und zu entwickeln, um die Herausforderungen der Zukunft in diesem Bereich zu meistern.

Basis dafür werde natürlich das neue Calwer Krankenhaus sein, von dessen Notwendigkeit auch Christopher Hermann als bundesweit bekannter und engagierter Krankenkassenmanager überzeugt ist. Wobei Hermann ein Freund besonders "markiger" Zitate ist: Das bisherige Calwer Krankenhaus sei für ihn "eine völlig vergurkte Nummer" – zumindest, was die Abbildung moderner medizinischer Betriebsprozesse angehe. "Damit ist nicht die dort geleistete medizinische Qualität gemeint", stellt Hermann klar. Aber für ein modernes Klinikmanagement würden heute andere Anforderungen an eine Gebäudestruktur gestellt als vor 100 Jahren.

"Und auch den medizinischen Nachwuchs locken Sie mit solch einem Haus heute nicht mehr in die Stadt."

Mit dem geplanten Klink-Neubau als "Leuchturm" könne es gelingen, den Sprung in die Zukunft zu schaffen – auch für den gesamten Kreis Calw. Wohin dabei konkret die Reise gehe, könne mit Stichworten wie "innovative Praxiskonzepte", "Telemedizin" und "vernetztes Gesundheitswesen" umrissen werden. Oberstes Ziel dabei: Effizienzsteigerungen – natürlich –, um langfristig Kosten zu senken. Aber das dürfe nicht zu Lasten der Versorgungsqualität gehen, vielmehr müssten die Herausforderungen aus dem demografischen Wandel und der nach wie vor vorherrschenden "Landflucht" der Bevölkerung durch die neuen Versorgungsformen aufgefangen und wenn möglich sogar in einen Qualitätsgewinn für die Zukunft umgewandelt werden.

Klingt nach der Quadratur des Kreises. Wie das geht? Zum Beispiel mit dem in Calw geplanten Modellprojekt "Portal-Praxis", das hier (erst einmal nur) für den Bereich der Dermatologie (Hautheilkunde) Expertenwissen "in die Provinz" holen soll – direkt von der Universitätsklinik Tübingen. Der Patient "vom Land" muss für eine Diagnose vom Spezialisten nicht mehr weite Anfahrtswege und zusätzliche lange Wartezeiten auf sich nehmen, sondern per Videokonferenz "kommt" der Experte zu ihm ins Krankenhaus oder die Praxis vor Ort. Wenn irgendwann einmal solche Angebote flächendeckend und für alle medizinischen Disziplinen abrufbar sein werden, wäre auch für eine ländliche Region wie dem Nordschwarzwald auf einmal mehr medizinisches Fachwissen für die Patienten verfügbar als heute. Auch wenn sich dadurch – im Zweifel – sicher die menschliche Beziehung zwischen Arzt und Patient maßgeblich verändern würde.

Aber wie sähe die Alternative aus, fragt Hermann. Es sei nun mal gesamtgesellschaftlich so, dass es die Menschen in Ballungszentren zöge und der ländliche Raum Einwohner verliere. Darauf gelte es zu reagieren. Einen "eigenen" Arzt bekäme nur die Kommune, die für genügend Einwohner attraktiv sei. Ihm sei bewusst, dass das ein "Henne-Ei-Problem" sei – eine sich selbst beschleunigende, infrastrukturelle Abwärtsspirale. Aber vor genau diesem Hintergrund gelte es, trotzdem noch eine bestmögliche medizinische Versorgung auf die Beine zu stellen.

Versand-Apotheke ist für Hermann wichtig im ländlichem Raum

Weshalb er, Hermann, zum Beispiel auch die aktuelle Diskussion um ein Verbot von Versand-Apotheken für verschreibungspflichtige Medikamente für kontraproduktiv halte. "Da geht es nur um die Verteidigung von Besitzständen" der stationären Apotheken. Aber gerade für die Einwohner ländlicher Regionen sichere der Versandhandel bereits heute wieder eine komfortable Versorgung mit Medikamenten, auch den verschreibungspflichtigen – ohne eigene Apotheke im eigenen Ort.

Es wäre aus seiner Sicht "geradezu Irrsinn", den Menschen diesen durch die neuen Medien gewonnen Versorgungs-Vorteil wieder wegzunehmen, wie es die Apotheker-Verbände aktuell forderten.