Misswirtschaft:Die Krisen-Klinik von Ansbach

Klinikum Ansbach Foto. Peter Roggenthin

Am Klinikum Ansbach wird gebaut. Doch das Geld für Investitionen könnte knapp werden, wenn die Defizite immer weiter steigen.

(Foto: Peter Roggenthin)
  • Wegen politischer und wirtschaftlicher Fehler droht dem Ansbacher Klinikverbund "ANregiomed" der Kollaps.
  • Die Verluste im Jahr 2016 summieren sich auf 15 Millionen Euro. Insidern zufolge liegen die Gesamtschulden mittlerweile "im dreistelligen Millionenbereich".

Von Uwe Ritzer

Kurz vor Weihnachten geriet Claudia B. Conrad, 49, richtig ins Schwimmen. Schon das ganze Jahr über hatte die Chefin von ANregiomed (Eigenwerbung: "Kompetenz mit Service und Charme") scheibchenweise ein immer höheres Defizit des Klinikverbunds von Stadt und Landkreis Ansbach einräumen müssen. Vor den Feiertagen aber eskalierten die Probleme.

Es würden in diesem Jahr wohl 12,8 Millionen Euro minus werden, orakelte Conrad am 18. November in einem Brief an die 2500 Klinikmitarbeiter. Ein paar Tage danach kündigte sie einen noch höheren Fehlbetrag an. Eine weitere Woche später war klar: ANregiomed erwirtschaftete 2016 knapp 15 Millionen Euro Miese. Und steuert nun mit rasender Geschwindigkeit auf den finanziellen Kollaps zu.

Nirgendwo in der kommunalen bayerischen Kliniklandschaft ist die Lage prekärer als im mittelfränkischen Ansbach. Nirgendwo müssen Kommunen und Landkreis mehr fürchten, am Ende mit solch enormen Summen für Klinikdefizite einstehen zu müssen, dass für eigene Investitionen kaum noch etwas übrig bleibt. ANregiomed, 2013 von Stadt und Kreis gegründet mit dem Ziel, im größten bayerischen Landkreis eine wohnortnahe Krankenhausversorgung sicherzustellen, stürzt gerade regelrecht ab. Am 4. Januar trifft sich der Klinik-Verwaltungsrat zu einer außerordentlichen Krisensitzung.

Mit gut 61 Millionen Euro steht ANregiomed nach eigenen Angaben allein bei Banken in der Kreide, ein Großteil der Darlehen ist kurzfristig fällig. In Wirklichkeit ist der Schuldenberg noch größer. Interne Unterlagen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, wiesen bereits zum 31. Dezember 2015 Gesamtverbindlichkeiten von 98,8 Millionen Euro aus und damit gut 25 Millionen Euro mehr als ein Jahr zuvor. "Inzwischen liegen wir im dreistelligen Millionenbereich", sagte ein Insider diese Woche. Ein ANregiomed-Sprecher bestätigte die 98,8-Millionen aus dem Vorjahr, nannte den aktuellen Schuldenstand aber nicht.

Nun treten die Banken auf die Bremse. Hätten Stadt und Landkreis Ansbach nicht im November für 2017 eingeplante Zuschüsse in Höhe von 3,6 Millionen Euro vorgezogen, hätten die 2500 Beschäftigten des Klinikverbunds 2016 vermutlich kein Weihnachtsgeld bekommen. Und das Debakel wird immer größer. In Klinik-Unterlagen ist von neuen Defiziten bis 2021 in Höhe von 46 Millionen Euro die Rede.

Viele Krankenhäuser - und niemand will auf eines verzichten

Schuld an der Krise ist eine fatale Melange aus politischem Unvermögen und Managementfehlern. Fachleute halten es für fraglich, ob der Klinikverbund überhaupt noch eine Zukunft hat, zumindest in öffentlicher Trägerschaft und in seinem jetzigen Zuschnitt. Zu ANregiomed gehören neben den Hospitälern in Ansbach, Rothenburg und Dinkelsbühl auch eine Tagesklinik in Feuchtwangen, fünf Medizinische Versorgungszentren und sechs Pflegeschulen.

Klinikum Ansbach Foto. Peter Roggenthin

Es gibt einige Baustellen und Provisorien am Krankenhaus in Ansbach. Derzeit sieht es nicht danach aus, als ob die Verantwortlichen sie bald in den Griff bekommen

(Foto: Peter Roggenthin)

Die Verantwortlichen wirken angesichts der Krise ratlos und kaum berechenbar. Klinik-Chefin Conrad etwa kündigt "harte Maßnahmen" und "deutliche Einschnitte" bei den Personalkosten an, verspricht aber zugleich, es werde "keine Entlassungen im großen Umfang" geben. Der Ansbacher Landrat und ANregiomed-Verwaltungsratschef Jürgen Ludwig lässt mitteilen, es dürfe "kein Weiter-so geben", sondern es müsse "der Dialog über notwendige Maßnahmen sehr intensiv geführt werden". Was konkret geschehen soll, sagt der CSU-Politiker nicht. Er und die parteilose Ansbacher Oberbürgermeisterin Carda Seidel gelten in der Krankenhausfrage als zerstritten, was die Lage nicht einfacher macht.

"Deutliche Verschlechterung der Versorgungssicherheit"

Dass die Krise in ihrer ganzen Dimension überhaupt öffentlich wurde, ist vor allem der Fränkischen Landeszeitung (FLZ) zu verdanken, die seit Monaten aufdeckt, was vor allem führende Christ- und Sozialdemokraten im Kreis Ansbach lieber unter Verschluss gehalten hätten. "Maßlose Arroganz" warf ihnen der FLZ-Kommentator vor und ein "Glattbügeln von offensichtlichen Fehlern in der ANregiomed-Konzeption". Auch wurden etablierte Klinikärzte vergrault oder geschasst, oft gegen hohe Abfindungen. Anderes Personal verließ ANregiomed fluchtartig, verbliebene Mitarbeiter sind verunsichert und man tut sich schwer, neue Leute zu finden. Niedergelassene Ärzte wurden verprellt und schicken Patienten in Kliniken außerhalb. Angebliche Kunstfehler, großzügige Dienstwagenregelungen und üppige Beraterhonorare (25 Millionen Euro in zehn Jahren) trugen auch nicht zur Reputation bei.

Kritiker der Zustände müssen sich bisweilen einen zweifelhaften Umgang gefallen lassen. Wie der Chefarzt des Rot-Kreuz-Kreisverbands, der die Reduzierung der Herzinfarkt-Bereitschaft im Sommer eine "deutliche Verschlechterung der Versorgungssicherheit" nannte und den Chef-Kardiologen von ANregiomed attackierte. Woraufhin Landrat Ludwig über das BRK versucht haben soll, dem Arzt einen Maulkorb verpassen zu lassen.

Insider in Sachen Finanzen beklagen einen beispiellosen Zahlensalat bei ANregiomed. "Es hat in den vergangenen Jahren kaum eine Zahl und erst recht keine Prognose gestimmt", sagt einer. Verantwortlich seien neben Klinik-Oberaufseher Ludwig und dessen Stellvertretern vor allem Vorständin Conrad und ihr Vorgänger Andreas Goepfert. Der verabschiedete sich vor einem Jahr nach Braunschweig. In Ansbach halten ihn manche im Nachhinein für einen rhetorisch geschickten Blender, auf den sich Landrat Ludwig und einige Verwaltungsräte zu lange verlassen hätten.

Verantwortliche schieben die Schuld auf die Politik

Goepfert jedoch weist jede Verantwortung von sich. Er sei 2013 bereits mit 35 Millionen Euro Altlasten und 18 Millionen Euro Wertberichtigungen gestartet. Schuld an der Misere seien die Kommunalpolitiker. "Ein Großteil des Defizits ist auf politische Entscheidungen und nicht auf Managementfehler zurückzuführen", sagte Goepfert zur SZ. "Wenn nicht so viel politisches Kirchturmdenken herrschen würde, könnte man die Kliniken besser aufeinander abstimmen und unterschiedliche medizinische Schwerpunkte bilden."

Im Klinik-Verwaltungsrat vertreten die Bürgermeister die Interessen ihrer Kommunen. Kappungen, etwa in Rothenburg oder Dinkelsbühl - dort wohnt der Landrat -, erscheinen undenkbar. Auf Druck von Lokalpolitikern sei der bereits geschlossene Klinikstandort Feuchtwangen wieder eröffnet worden. Dort seien "drei Millionen Euro politisch gewollt verbrannt" worden, sagt Goepfert. Auch eine Klinik wie in Dinkelsbühl sei "künftig allein nur sehr schwer wirtschaftlich zu betreiben".

Doch Kritiker werfen auch Goepfert schwere Fehler vor. Er habe das ohnehin schon überdimensionierte Klinik-Konstrukt weiter vergrößert. Etwa um eine Lungen-Abteilung, obwohl die Rangaukliniken unmittelbar vor den Toren Ansbachs schon lange eine Lungenklinik betreiben. Auch andere defizitäre Abteilungen seien neu geschaffen worden, etwa im HNO-Bereich. Zudem gebe es viele teure Doppelungen. Goepfert löste seinen Vertrag in Ansbach vor einem Jahr auf eigenen Wunsch auf - und kassierte trotz der verheerenden Zahlen, die er hinterließ, 40 000 Euro. "Kein Bonus", sagt er. "Ich hatte meine Zielvorgaben für 2015 voll und ganz erreicht und deshalb den mir vertraglich zustehenden, variablen Gehaltsbestandteil erhalten."

Nun kämpft Nachfolgerin Claudia B. Conrad ums Überleben von ANregiomed - und ihre Karriere. An diesem Donnerstag warf sie kurzerhand den Finanzchef hinaus. Es gibt in Ansbach Stimmen, die sagen, der Mann sei ein Bauernopfer.

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