KÜNDIGUNGSWELLE: Spital Heiden am Abgrund

Innert nur vier Monaten muss die Strategie des Ausserrhoder Spitalverbunds wieder angepasst werden. Fast alle Ärzte der Frauenklinik kündigen. Können sie nicht ersetzt werden, sind die Geburtenabteilung und damit das Spital am Ende.

Monika Egli
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iEne Analyse hat gezeigt, dass das Spital Heiden mit 4,8 Millionen Franken die Hälfte des Verlustes des Spitalverbunds verursacht hat, davon 60 Prozent durch die Chirurgie. (Bild: Martina Basista)

iEne Analyse hat gezeigt, dass das Spital Heiden mit 4,8 Millionen Franken die Hälfte des Verlustes des Spitalverbunds verursacht hat, davon 60 Prozent durch die Chirurgie. (Bild: Martina Basista)

Das Jahr 2016 geht für den Verwaltungsrat des Spitalverbunds Ausserrhoden und für Gesundheitsdirektor Matthias Weishaupt mit einem Paukenschlag zu Ende: Die Chefärztin der Frauenklinik am Spital Heiden und mit ihr drei Belegärzte kündigen. Findet sich kein Ersatz bis Ende Juni, ist die Geburtenabteilung – das Aushängeschild des Kleinspitals schlechthin – am Ende. Denn lediglich ein Arzt aus dem Team, das den Geburts- und Operationsbereich bisher aufrechterhalten hat, ist übrig geblieben. Dass guter Ersatz gefunden wird, ist alles andere als gewiss. In einem internen Schreiben, das dieser Zeitung zugespielt wurde, hält der Verwaltungsrat fest: «Neue und pendente Stellen konnten bereits bisher nur mit Schwierigkeiten besetzt werden.»

Das Spital Heiden und mit ihm die Verantwortlichen sorgen seit Monaten für Negativschlagzeilen, die Zukunft des Spitals steht auf der Kippe. Das erschwert die Nachfolgelösung für die abtretende Chefärztin und ihre Kollegen zusätzlich, zumal auch die Zahlen der Frauenklinik am Einbrechen sind.

Chefärztin und Belegärzte können Strategie nicht mittragen
Die Öffentlichkeit hatte eben erst den Skandal rund um die Gebührenaffäre verdaut, als sie im letzten Frühjahr bei Bekanntgabe des Zehn-Millionen-Franken-Defizits erneut aufgeschreckt wurde. Als Reaktion auf diesen bezeichnenderweise auch für Verwaltungsrat und Gesundheitsdirektor überraschenden Verlust gab der Verwaltungsrat am 1. September eine Strategieanpassung bekannt: Die Chirurgie soll ab Frühling 2017 in die Hirslanden Klinik am Rosenberg ausgelagert werden. Ausgenommen davon sei aber die Geburtshilfe. Unterdessen weiss man, dass dieser Schritt alleine 45 Arbeitsstellen kostet. Es werden je nach Entwicklung in der Frauenklinik weitere Stellenverluste dazu kommen. Nach Bekanntgabe der Massnahme, die Chirurgie aus dem Spital Heiden auszulagern, rechneten Fachleute vor, dass dieses Konzept nicht aufgehen könne. Müssen für wenige Notfall-Kaiserschnitte – im Durchschnitt weniger als einer pro Woche – rund um die Uhr ein Anästhesie- und ein Operationsteam bereitstehen, sei das wirtschaftlich nicht tragbar. Zudem sei ein Spital ohne Chirurgie ohnehin dem Untergang geweiht.

Nur vier Monate später, Ende Dezember, wird den Mitarbeitenden eine Anpassung der Strategie vorgelegt. Demnach wird lediglich noch eine Anästhesie-Pflegefachperson rund um die Uhr im Spital Heiden anwesend sein. Für Notfalleingriffe in der Frauenklinik seien Anästhesieärztinnen und OP-Fachpersonal aber innert weniger Minuten vor Ort. Mit anderen Worten: Hauseigene Teams für Operationen in der Frauenklinik sind nun doch gestrichen. Zu dieser fundamentalen Änderung sagen die Chefärztin und die Ärzte der Geburtenabteilung: «Dieses Konzept können wir aus Sicherheits- und Qualitätsgründen nicht mehr mittragen.» Sie haben mit ihren Kündigungen die Konsequenzen gezogen.

«Niemand steht hin und übernimmt Verantwortung»
«Ein Sterben auf Raten»: So nennt Gesundheitsökonom Willy Oggier das Abserbeln des Spitals Heiden und zeigt mit dem Finger auf den Regierungsrat als Verantwortlichen. Es resultierten zwei Gewinner aus dieser Situation: Die Hirslanden Gruppe und der St.Galler Spitalverbund. Peter Böhi, seit zehn Jahren Belegarzt an der Frauenklinik im Spital Heiden, schreibt von einer Geschäftsleitung, welche die Dinge lieber schönrede als die eigene Strategie zu hinterfragen. «Es bleibt ein frommer Wunsch, die Verantwortlichen persönlich haftbar zu machen für den Schaden, den sie mit ihrer inkompetenten Strategie im Spital Heiden angerichtet haben.» Die häufig wechselnden Mitglieder von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung – drei Chefs sind seit 2012 schon wieder gegangen, momentan amtet ein vierter Mann ad interim – hinterlassen laut Böhi eine «Schneise der Verwüstung».

Unter Druck gerät zunehmend Gesundheitsdirektor Matthias Weishaupt. Ihm wird vorgeworfen, er übernehme weder Verantwortung noch beziehe er Stellung, informiere schlecht bis gar nicht, sei überfordert. Harold Seiler, fast 30 Jahre lang Chefarzt der Frauenklinik am Spital Heiden, der mit einem Grundsatzpapier die Diskussion ins Rollen brachte, sagt: «Es ist erschreckend, sehen zu müssen, welcher Scherbenhaufen angerichtet wird. Warnende Stimmen von kompetenter Seite wurden in überheblicher Selbstüberschätzung beiseite geschoben. Niemand steht hin und übernimmt Verantwortung.» Dabei, sagt Seiler, müsste man nur über die Kantonsgrenze schauen. Vergleichbar grossen Spitälern im Kanton St.Gallen wie Flawil, Wattwil und Altstätten gehe es gut. Ein Arzt macht gar den Vorschlag, den Verwaltungsrat ersatzlos zu streichen: «Das wäre ebenfalls eine kostensenkende Massnahme, und ein Qualitätsverlust wäre nicht zu befürchten.»