Ans Bett gefesselte Patienten, Medikamente statt Therapie und Patienten, die zu früh entlassen werden – die Leitung der Psychiatrie im Klinikum Bremen-Ost sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert.
Dort herrschten Zwang und Gewalt, beklagt der Patientenfürsprecher der Psychiatrie, Detlef Tintelott. Als Ursache machen er und seine Stellvertreterin Gerlinde Tobias einen erheblichen Personalmangel aus. Im Sommer 2016 waren nach Angaben der Klinik in der Psychiatrie 25 Stellen nicht besetzt.
Das Zentrum für Psychosoziale Medizin arbeitet nach Angaben des geschäftsführenden Direktors, Jens Reimer, an einem neuen Konzept. Tintelotts Bericht für die Gesundheitsdeputation wird in diesem Jahr nicht positiv ausfallen. Seinen Worten zufolge haben suizidgefährdete Patienten vor ihrer Selbsttötung beklagt, dass niemand mit ihnen rede.
„Einen Termin beim Psychologen zu erhalten, ist äußerst schwierig. Glück hat, wer in der Woche eine halbe Stunde Gespräch bekommt“, sagt Tintelott. Eine Ärztin schreibe Stellungnahmen für Gerichte, ohne mit den Patienten persönlich zu sprechen; in einigen Fällen verzichte man auf eine gründliche Anamnese und um ihre Arbeit bewältigen zu können, stellten Mitarbeiter Patienten mit Medikamenten ruhig.
Zu wenige Alternativen
Patienten würden genötigt, diese Medikamente einzunehmen. Gerlinde Tobias: „Wir sagen nicht, ohne Medikamente, aber im Klinikum Bremen-Ost ist es die Regel, Medikamente einzunehmen. Es gibt zu wenige Alternativen.“ Außerdem würden zu viele Patienten fixiert. „Es kommt vor, dass jemand drei Tage ans Bett gefesselt ist“, so Tintelott.
Ein Gespräch mit dem Patienten gebe es nicht. Die Klinik habe versprochen, eine verpflichtende Nachbesprechung einzuführen. Auch räumlich gibt es Defizite. Auf Station 63, die im Haupthaus untergebracht ist, teilen sich laut Tintelott 20 Patienten eine Dusche. Es gebe zu wenige Rückzugsräume und viele Stationen seien so überbelegt, dass in Zweibettzimmern drei Patienten schlafen.
Tobias: „In einer psychischen Krise in einem kleinen Raum mit anderen unruhigen Mitpatienten gemeinsam zu leben, das ist nicht aushaltbar.“ Nach Angaben von Jens Reimer ist Besserung in Sicht. „Uns ist bewusst, dass die Überbelegung und die Enge zu Problemen in der Behandlung führen. Das wollen wir ändern.“
Etwa 100 Beschwerden
Ab 2018 stehe der Psychiatrie das Haus 3 im Park wieder zur Verfügung. Dort wohnten bis vor Kurzem Geflüchtete. Wann die Station 63 ins Haus 3 ziehen wird, weiß er noch nicht. „Wir sind dabei, einen Betriebsplan zu erstellen und ein Behandlungskonzept.“ Künftig solle es mehr psycho- und bewegungstherapeutische Ansätze geben.
Die derzeitige Überbelegung führt laut Tintelott auch dazu, dass Patienten schnell auf Stationen verlegt werden, auf denen noch Betten frei sind. „Bei offenen Stationen wird versucht, die Patienten möglichst schnell zu entlassen.“ Grundlage für Tintelotts Bericht sind etwa 100 Beschwerden, hinzu kommen viele Hinweise, die er auf den Stationen gesammelt hat.
Die Wahl von Stationssprechern wurde indes abgeblasen: „Die Mitarbeiter meinten, die Patienten sind zu krank.“ Tintelott vermutet: „Die Klinik hat Angst, dass wir zu viel über Missstände auf den Stationen erfahren.“ Reimer entgegnet: „Wir gehen offen mit den Herausforderungen, die wir am Standort Ost haben, um.“ Er könne sich nicht erinnern, die Wahl abgelehnt zu haben.
"Wir bewegen uns jederzeit im Rahmen des Grundgesetzes."
Laut Reimer sind inzwischen etliche Stellen insbesondere im ärztlichen Bereich wieder besetzt. Bis Ende 2017 darf es keine vakanten Stellen mehr geben, so verlangt es der Gesetzgeber seit 1. Januar. Zusätzlich will das Klinikum einen Förderantrag für zwei Genesungsbegleiter stellen. Einen Mangel an Psychologen gibt es laut Reimer nicht.
Dem Eindruck, dass Patienten unnötig ruhig gestellt werden, könne er nicht folgen, auch die Kritik der menschenunwürdigen Behandlung weist er zurück. „Wir bewegen uns jederzeit im Rahmen des Grundgesetzes, des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten und des Bürgerlichen Gesetzbuches.“ Unter Einhaltung dieser rechtlichen Vorgaben würden Maßnahmen angewendet, die die Persönlichkeitsrechte für eine bestimmte Zeit einschränkten.
„Wir bemühen uns, diese Maßnahmen so wenig wie möglich anzuwenden“, so Reimer. Im neuen Behandlungskonzept soll die Kritik der Patienten berücksichtigt werden: „Im Haus 3 können die Patienten ihre Anspannung im Garten körperlich abarbeiten und gegebenenfalls in reizarmen Räumen zur Ruhe kommen, ohne sich und andere zu gefährden.“