Medizinische Behandlung 2.0 – Online-Sprechstunde von Krankenkassen bezahlt

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 26.01.2017
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Der Doktor auf dem Smartphone-Bildschirm überall mit dabei? Noch ist das eine Zukunftsvision. Einige Ärzte wollen ihre Technik für Video-Sprechstunden umrüsten. Denn ab dem 01. April 2017 können alle niedergelassenen Ärzte die digitale Sprechstunde anbieten. So sieht es das E-Health-Gesetz (§ 291g SGB V) vor. Die gesetzlichen  Krankenkassen übernehmen die Kosten. Wie hoch die Vergütung sein wird, ist noch nicht festgelegt.

Aktuelle Studie

Patienten dürfen über eine verschlüsselte Internetverbindung und eine Webcam ihren Arzt kontaktieren. Die Vorteile für die Patienten liegen auf der Hand: Keine weiten Wege, überfüllte Wartezimmer und lange Wartezeiten mehr. Doch in der Bevölkerung überwiegt die Skepsis. Nach einer neuen Studie des Institutes für Demoskopie Allensbach wollen 70 % der 1400 Befragten nicht ihren Arzt per Video konsultieren (FAZ Sonntagszeitung vom 08.06.2017).  Gerade die über 60-Jährigen lehnen die Video-Sprechstunde zu 88 % ab. Dabei könnten sie am meisten davon profitieren. Auch die Gruppe der 30- bis 44-Jährigen steht zu 63 % einem Kontakt via Bildschirm ablehnend gegenüber. Nur die unter 30-Jährigen sind zu 41 % einem Chat mit dem Online-Doktor aufgeschlossen. 

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine telefonische Umfrage, die die AOK Baden-Württemberg durch das Forsa Institut durchführen ließ (Ärztezeitung vom 16.11.2017). Interessant ist, dass gerade bei kleinen Gemeinden, die künftig von Versorgungsengpässen besonders betroffen sein könnten, die Online-Sprechstunde nicht hoch im Kurs steht. Gerade mal ein Viertel der Einwohner in Gemeinden mit weniger als 20.000 Bewohnern würde den Arzt auch über Video konsultieren. In großen Städten über 100.000 Einwohner liegt die Bereitschaft mit dem Arzt über eine Webcam zu kommuzieren bei 32 Prozent.

Fernbehandlung

Muss der Patient den Arzt persönlich treffen? Ja und nein, lautet die Antwort. Noch immer ist in der Berufsordnung der Ärzte (§ 7 Abs. 4 MBO) das „Verbot der Fernbehandlung“ normiert. Dort steht, dass die Mediziner unmittelbar behandeln müssen. Ausschließlich virtuell darf die Behandlung danach nicht ablaufen. Ein rechtlicher Graubereich? Die Landesärztekammer Baden-Württemberg hat das „Fernbehandlungsverbot“ inzwischen gelockert. Danach sind ausschließliche telemedizinische Behandlungen ohne Patientenkontakt in einzelnen Modellprojekten möglich.

Ohne besondere Projekte gilt nach wie vor: Der Erstkontakt bei einem echten Behandlungsanliegen muss in Wirklichkeit und nicht über einen Video-Chat erfolgen. Bei fortschreitender Behandlungssituation darf dann die Video-Sprechstunde eingesetzt werden. Das macht Sinn, wenn der Arzt die Therapie kontrollieren möchte. Auch bei der Anpassung der Dosierung eines Medikamentes ist die kurze Mitteilung über den Bildschirm von Vorteil.

Digitale Portale

Portale für die Online-Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten gibt es schon. Versicherte einzelner Kassen können auf „TeleClinic“ oder „Patientus“ das digitale Angebot nutzen. Auch Zweitmeinungsportale wie das Krebszweitmeinungsportal der Health Management Online AG bieten eine digitale Arzt-Patienten-Kommunikation an. Durch ein interdisziplinäres Tumorboard können die Patienten bei schwierigen Situationen oder mehreren Therapieoptionen dort ihre Krankheitsgeschichte begutachten lassen.

Europäische Anbieter drängen seit Jahren auf den deutschsprachigen Markt. DrEd aus Großbritannien bietet seit November 2011 eine Online-Sprechstunde in deutscher Sprache an. Während in Deutschland online ausgestellte Rezepte noch nicht vorgesehen sind, können nach der sogenannten „Patientenmobilitätsrichtlinie“ Rezepte, die von den Ärzten bei DrEd ausgestellt werden, auch in Deutschland eingelöst werden. 

Quo vadis, medicus?

Bei vielen Behandlungsanlässen und bestehender Arzt-Patienten-Konstellation ist die Video-Sprechstunde genauso effektiv wie der Praxisbesuch. Stoppen lässt sich der Trend im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung nicht. Einen real existierenden Arzt zu fragen und sei es nur über das Internet, ist sicherlich besser als Dr. Google zu Rate zu ziehen. Ob das Angebot einer Online-Sprechstunde die am Wochenende stark überlasteten Notaufnahmen der Krankenhäuser entlasten könnte, ist ungewiss. Auf jeden Fall wird die Arzt-Patienten-Kommunikation vielfältiger. Den persönlichen Arztkontakt und die individuelle Behandlung kann die Video-Sprechstunde jedoch nur ergänzen, nicht ersetzen.

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