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Senatorin weist Vorwürfe zurück Erneute Kritik am Klinikum Bremen-Ost

Ans Bett gefesselte Patienten, Medikamente statt Therapie und Patienten, die zu früh entlassen werden. Die Kritik am Klinikum Bremen-Ost schlägt hohe Wellen.
27.01.2017, 07:28 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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Erneute Kritik am Klinikum Bremen-Ost
Von Antje Stürmann

Ans Bett gefesselte Patienten, Medikamente statt Therapie und Patienten, die zu früh entlassen werden. Die Kritik am Klinikum Bremen-Ost schlägt hohe Wellen.

Die Kritik am Klinikum Bremen-Ost schlägt hohe Wellen. Die erreichen jetzt auch Gesundheits-Senatorin Eva Quante-Brandt (SPD). Patientenfürsprecher Detlef Tintelott hatte unter anderem beklagt, dass die Patienten der Psychiatrie zu viele Medikamente nehmen müssten sowie zu oft und zu lange ans Bett gefesselt würden.

Ob die Patienten in der Psychiatrie und die Insassen des Maßregelvollzugs angemessen untergebracht sind und ob ihre Rechte gewahrt sind, prüft das Parlament. Doch dazu haben die Politiker nach Ansicht der Linken nicht ausreichende Möglichkeiten. Zum einen entstünden die Berichte der unabhängigen Besuchskommission immer dann, wenn die in ihr vertretenen Abgeordneten wechselten. Zum anderen verfasst die Behörde den Abschlussbericht, der zur Beratung an die Deputation gegeben wird. Behördenchefin Eva Quante-Brandt (SPD) hat als Aufsichtsratsvorsitzende der Gesundheit Nord, zu der das Klinikum Bremen-Ost gehört, in der Psychiatrie die Fachaufsicht.

Claudia Bernhard (Die Linke) war Mitglied der Besuchskommission. Sie sagt, vor drei Jahren habe es bereits eine ganze Reihe von Nachfragen und Beschwerden über die Zustände der Psychiatrie gegeben. Angehörige und Patienten hätten moniert, dass im Abschlussbericht „die Dinge unvollständig dargestellt sind“. Bernhard selbst hatte die Zustände im Klinikum Ost vor drei Jahren als „unbeschreiblich“ schlecht wahrgenommen. Auf den grauen Gängen der Station 63 habe es keine Ausstattung gegeben, die Fenster seien verdreckt gewesen, zum Teil sei das Mobiliar kaputt gewesen und es habe kein Personal gegeben, um die Patienten an die frische Luft zu lassen. Alle Mitglieder der Besuchskommission seien entsetzt gewesen. Das jedoch spiegele sich nicht im Abschlussbericht wider.

Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) weist die Vorwürfe, Berichte geschönt zu haben, von sich: Die Besuchskommission sei eine unabhängige Kommission. „Wenn der Kommission Mängel gemeldet werden, werden sie selbstverständlich auch im Bericht stehen, mit den Klinikleitungen erörtert und möglichst rasch behoben“, so Quante-Brandt. Alle Mitglieder der Besuchskommission könnten noch Änderungen und Ergänzungen des Berichtes einreichen, bevor er fertiggestellt werde. Zu den Beschwerden der Patienten sagt Quante-Brandt: „Wir prüfen selbstverständlich die Vorwürfe, die im Raum stehen.“ Die Kritik des Patientenfürsprechers Detlef Tintelott, der über zu viel Gewalt und zu häufige Zwangsbehandlungen berichtete, sei der Besuchskommission nicht bekannt gewesen. Um den Sachverhalt aufzuklären, will die Behörde sowohl mit den Patientenfürsprechern als auch mit der Klinikdirektion Kontakt aufnehmen.

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Aus dem aktuellen Bericht der Besuchskommission der Jahre 2013 bis 2016, der bereits im August in der Deputation diskutiert worden ist, geht allerdings hervor, dass in der geschlossenen Psychiatrie zum Beispiel keine Psychotherapie angeboten werde und stattdessen hauptsächlich eine pharmakologische Behandlung stattfinde. Das entspreche nicht den Standards einer fachlich und fundierten und die Würde der Patienten berücksichtigende Behandlung.

Dass es Handlungsbedarf gibt, bestätigen die zahlreichen Reaktionen auf die Berichterstattung des WESER-KURIER. Einige Leser schreiben, sie hätten genau das erlebt, was Tintelott schildert. Andere setzen dagegen: Gewalttätige Patienten nicht zu fixieren und nicht mit Medikamenten zu beruhigen, wäre unverantwortlich gegenüber den Mitpatienten und dem Personal. Jürgen Busch betont in einem Leserbrief: Die Gesundheitssenatorin habe die Pflicht, dem Krankenhaus fachliche psychiatrische Weisungen zu geben. „Man kann nicht erkennen, dass sie dieser Aufgabe gemäß des Krankenhausgesetzes und des Psychisch-Krankengesetz im Sinne einer Behandlungspflicht nachkäme.“

Auch Grünenpolitiker Jan Saffe meint, dass beim Thema Psychiatrie besonders bezüglich des Klinikum Ost viel Unzufriedenheit herrscht. „Da muss sich etwas ändern“, fordert er. Die Linken hatten bereits 2014 davor gewarnt, dass die Anzahl der Zwangsbehandlungen weiter ansteigen werde. Damals habe der Landtag Zwangsmaßnahmen gesetzlich legitimiert, ohne hinreichend und gründlich geprüft zu haben, welche Alternativen es gibt, so der Vorwurf der Linken. Zwangsmaßnahmen seien nur im Notfall zu rechtfertigen. Es sei denn, ein Landesgesetz weite, wie in Bremen, die Möglichkeiten der Anwendung aus. „In vielen Fällen resultiert der Bedarf (...) schlicht daraus, dass andere Behandlungsformen mehr Personal, bessere Formen der Unterbringung oder einfach mehr Zeit erfordern“, heißt es im damaligen Antrag der Linken. Zwangsbehandlungen seien häufig eine Form der „Sparbehandlung“. In Bremen sei nicht ausgelotet worden, wie man die Ausstattung der psychiatrischen Abteilung verbessern und damit Zwangsbehandlungen vermeiden könnte.

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Rainer Bensch, ebenfalls Mitglied der unabhängigen Besuchskommission, bewertet die Zustände der Psychiatrie am Klinikum Ost als „mangelhaft“ bis „ungenügend“, an manchen Stellen als „gerade noch ausreichend“. Teilweise unbefriedigend sei insbesondere auch die personelle Situation. Das habe für den Alltag der Patienten zum Teil gravierende Folgen: Es fielen Ausgänge an die frische Luft weg, es mangele an Zuwendung und therapeutischen Angeboten insbesondere auf den Akutstationen. Dies wiederum führe zu eskalierenden Situationen und könne den Behandlungserfolg gefährden. Zum Beispiel dann, wenn „anstelle menschlicher Zuwendung vermehrt Medikamente gegeben werden“. Die Besuchskommission fordert in ihrem Bericht, so viel Personal einzusetzen, wie es der Gesetzgeber vorsieht. Im Sommer waren nach Angaben des Klinikums Ost noch 25 Stellen unbesetzt, inzwischen sind laut Geschäftsführung einige Stellen wieder besetzt worden. Eine genaue Zahl wird hierzu nicht genannt.

Laut Bensch will die Besuchskommission mit dem Leiter des Zentrums für Psychosoziale Medizin ein Grundsatzgespräch führen. Insbesondere über die Zustände der Psychiatrie am Klinikum Bremen-Ost. Claudia Bernhard: „Wir wollen keinen an den Pranger stellen, sondern dass sich etwas ändert.“

Unabhängige Besuchskommission

Das Gesetz sieht vor, dass eine unabhängige Besuchskommission regelmäßig unangemeldet im Klinikum Bremen-Ost Wünsche und Beschwerden der Patienten aufnimmt. Zu dieser Kommission gehören unter anderem Vertreter der Gesundheitsbehörde, des Landesverbandes der Psychiatrieerfahrenen, des Landesverbandes der Angehörigen psychisch kranker Menschen sowie Fachärzte für Psychiatrie und ein Richter. Auch die Fraktionen entsenden Mitglieder. Der Landtag erhält mindestens alle zwei Jahre einen zusammengefassten Bericht.

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