An der Uniklinik Ulm herrschen Unmut, Frust und ein vergiftetes Klima. Hier eskaliert ein Konflikt um das Diktat der Zahlen, der an vielen Krankenhäusern schwelt. Auslöser ist der Führungsstil des obersten Managers.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart / Ulm - Die Pressemitteilung las sich für Außenstehende wenig spektakulär, aber sie war ein Schock für viele Bedienstete des Universitätsklinikums Ulm. „Die gute Entwicklung weiterführen“ – unter dieser Überschrift berichtete die Unternehmenskommunikation jüngst über eine wichtige Personalentscheidung. Der Aufsichtsrat habe den Vertrag des Kaufmännischen Direktors Joachim Stumpp bis Ende 2022 verlängert. Damit könne der Manager und promovierte Mediziner, der das Klinikum seit 2014 „in wirtschaftlich sicheres Fahrwasser gesteuert“ habe, seine erfolgreiche Arbeit fortsetzen, lobte die Kontrollgremiumschefin Simone Schwanitz. Es sei gut, dass man bei der langfristigen strategischen Entwicklung „weiter auf die große Erfahrung von Herrn Dr. Stumpp setzen“ könne, sekundierte der Leitende Ärztliche Direktor, Professor Udo X. Kaisers. Und der Wiederbestellte versprach, auch fortan dazu beizutragen, dass sich das Klinikum „auf solider Grundlage“ der Zukunft widmen könne.

 

So einmütig offenbar der Aufsichtsrat hinter dem obersten Manager steht, so umstritten ist dieser im Uniklinikum selbst. In ihm sehen viele Kritiker die Ursache für einen Ungeist, der in dem Großkrankenhaus eingezogen sei. Nicht mehr die Menschen zählten, ob Patienten oder Mitarbeiter, sondern nur noch die Zahlen – das ist der Tenor des Echos, das Stumpp von allen Seiten entgegenschallt. Mit großer Sorge sehen Ärzte, Pflegekräfte, Verwaltungsleute und sogar Seelsorger Stumpps hartes Regiment. Die Folgen seien ein vergiftetes Klima, Frust und Resignation, der Weggang guter Leute – und zunehmend Risiken bei der Versorgung der Patienten. Am Ende stünden der Ruf und die Zukunft des Klinikums auf dem Spiel.

Hilferufe an Kretschmann

Seit Wochen gab es daher Versuche, die sich abzeichnende Vertragsverlängerung noch zu verhindern. Anonym oder mit vollem Namen, teils einzeln, teils in Gruppen wandten sich Bedienstete an Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seine zuständige Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (beide Grüne). Von Verzweiflung ist in den Schreiben die Rede, von Angst und Misstrauen, von einem menschenverachtenden Führungsstil. Meist endeten sie mit einem flehentlichen Appell: „Unser Haus brennt, und die Menschen schreien um Hilfe.“ – „Bitte setzen Sie diesem Treiben ein Ende!“

Aus Stuttgart kam, so empfanden es die Kritiker, meist nur „Kanzleitrost“. Die eigentliche Antwort – die Nachricht über Stumpps Vertragsverlängerung – traf sie gleich doppelt. Nicht genug, dass sich das Land über alle Bedenken hinwegsetzte. Die Entscheidung des Aufsichtsrats war offenbar schon im Dezember gefallen, wurde aber erst Wochen später bekannt gegeben. Damit zerstob die Hoffnung, man habe für den Abwehrkampf noch Zeit bis zur nächsten regulären Sitzung im Frühjahr. Viele Kollegen seien „absolut erschüttert und extrem enttäuscht“, beschreibt ein Mediziner die Stimmung.

Ulm als Exempel für die Probleme

In Ulm eskaliert damit ein Konflikt, der an fast allen Krankenhäusern schwelt. Eigentlich sollte es dort vorrangig um die Gesundheit gehen, aber es geht immer mehr ums Geld. Das fehlt an allen Ecken und Enden, vor allem seit vor zwölf Jahren zur Begrenzung der Kosten die Fallpauschalen eingeführt wurden. Meist wachsen die Ausgaben schneller als die zur Verfügung stehenden Mittel. Der Druck, rentabel zu arbeiten, prägt daher den Klinikalltag, oft ist auch vom „Diktat der Ökonomie“ die Rede. Die vier Universitätskliniken in Baden-Württemberg – zusammen eigentlich ein Konzern mit einem Milliardenumsatz und 30 000 Beschäftigten – sind davon nicht ausgenommen. Im kleinsten, dem Ulmer, spiegeln sich die Probleme wie in einem Brennglas: Die Finanznot war hier besonders groß – und die Reaktion darauf besonders rigide.

Ursache der Schieflage war ein Neubau für die Chirurgie, zu dem der Uniklinik ein hoher Eigenanteil abverlangt wurde. Ein Defizit von fast 40 Millionen Euro lief auf, das Land musste mit einer „Überbrückungshilfe“ einspringen. Voraussetzung: Das Klinikum müsse alles tun, um finanziell wieder handlungsfähig zu werden. Den geeigneten Manager dafür fand man 2013 in Ludwigshafen: Joachim Stumpp, Geschäftsführer des dortigen Großklinikums. Dem Medizinmanager eilte ein zweischneidiger Ruf voraus: als Sanierer sei er exzellent, aber auch „eiskalt“. Die Zahlen hätten bei ihm gestimmt, die Menschen aber gelitten. Ein Aufatmen sei zu seinem Abschied durchs Klinikum gegangen, hieß es. In Ulm formierte sich noch vor seiner Ankunft Protest, aber er blieb wirkungslos.

Chefärzte wie Schulbuben behandelt?

Nun, drei Jahre später, bietet sich an der Donau ein ganz ähnliches Bild wie weiland am Rhein. Die Zahlen stimmen offiziell wieder: Aus einem zweistelligen Millionen-Minus wurden kleine Überschüsse, erst fünf-, dann sechsstellig – bei 500 Millionen Euro Gesamtumsatz. Das vergangene Jahr werde man wohl mit einer „schwarzen Null“ abschließen, heißt es beim Klinikum. Doch Stumpps Erfolg hatte einen hohen Preis: Auf der Strecke blieben vielfach die Motivation der Mitarbeiter, ihre Identifikation mit dem Klinikum, zunehmend auch dessen Attraktivität als Arbeitgeber. Früher sei er auf diesen stolz gewesen, bekannte ein Altgedienter dieser Tage – mit der Betonung auf früher.

Rundum beliebt sind die kaufmännischen Chefs wohl nirgendwo, auch nicht an den anderen Unikliniken. Sie haben eine schwere Aufgabe, müssen harte Entscheidungen treffen. Strecken lässt sich die Finanzdecke kaum; ziehen sie an der einen Ecke, klemmt es an einer anderen. Doch keiner verkörpert das Diktat der Ökonomie so wie Stumpp, den seine Kritiker buchstäblich als Diktator schildern. Nur seine Zahlen sehe er, die Menschen dahinter interessierten ihn nicht, ihre Argumente wische er weg. Selbst Chefärzte würden von ihm wie Schulbuben abgekanzelt – und seien darob so verdattert gewesen, dass sie sich anfangs kaum gewehrt hätten.

Kein Job für einen „Beliebtheitspreis“

Inzwischen hat sich das geändert. Bei einer internen Aussprache Mitte Januar wurde Klartext geredet, mit am deutlichsten von den Ärztlichen Direktoren. Ihr Sprecher beklagte einen „autokratischen“ Führungsstil, den „Verlust an Unternehmenskultur“ und Alibidiskussionen, deren Ergebnis von vornherein feststehe. Natürlich sei die Ökonomie wichtig, aber man wolle keine „auf die Spitze getriebene Profitorientierung“ – so wie bei einem privaten Klinikkonzern, über den der „Spiegel“ unlängst groß berichtete. Ein Vertreter des Personalrats verwahrte sich gegen das „Durchregieren von oben nach unten“; Menschen seien „kein Profitcenter“. Auch die Vertreter der Pflege geißelten das „Rennen nach immer besseren Jahresabschlüssen“, das am Ende das Wirgefühl am Klinikum zerstöre. Stumpp soll die Vorwürfe laut Teilnehmerberichten ruhig, aber bestimmt zurückgewiesen haben. In seiner Rolle, erwiderte er, gewinne man eben „keinen Beliebtheitspreis“. Auf Anfrage unserer Zeitung wollten er und das Klinikum sich nicht zu der Kritik äußern.

Der Protest einer Ulmer Krankenschwester (und Personalvertreterin) erreichte inzwischen sogar die Kanzlerin. Per offenem Brief an Angela Merkel schilderte sie, wie sie einst hoch motiviert in den Beruf startete – und allmählich beinahe resigniert. „Patienten sind zu Wirtschaftsfaktoren geworden“, zu bloßen Fallzahlen, lautet ihr Befund. Die Finanz- und Personalnot gefährde zunehmend deren Versorgung, überarbeitete und übermüdete Pflegekräfte würden immer mehr zum Risiko, für andere und sich selbst. Ihr Fazit: „Wohl dem“, der nicht in ein Krankenhaus müsse.

Lob von Merkel für „stille Helden“

Im Internet fand der Hilferuf große Resonanz, unlängst wurde sogar Merkels Regierungssprecher bei einer Pressekonferenz in Berlin darauf angesprochen. Die Bundeskanzlerin beschäftige sich sehr mit der Situation der Pflegekräfte, versicherte der Staatssekretär, für sie seien diese Menschen „stille Helden“ und eine „tragende Säule unseres Gesundheitswesens“. Man bemühe sich, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, etwa durch zusätzliche Millionen. Genaueres durfte dann der Sprecher des Gesundheitsministeriums ausführen.

Ähnlich klingt es beim Wissenschaftsministerium in Stuttgart. Das Land bemühe sich stets um bessere finanzielle Rahmenbedingungen, auch mit Vorstößen beim Bund, beteuert der Sprecher von Theresia Bauer; zuletzt habe es aus Berlin eine „bemerkenswert positive“ Reaktion darauf gegeben. Die Kritik an der Ulmer Situation sei „zum Teil sicher berechtigt“, man habe darauf schon ganz konkret reagiert. So sei für die Pflegekosten statt der Chefärzte nun eine Pflegedirektorin zuständig, die den Personaleinsatz übers ganze Klinikum hinweg flexibler steuern könne. Zudem habe man „Maßnahmen beschlossen, um die klinikinterne Kommunikation zu verbessern“ – wie die interne Diskussionsrunde im Januar. Dies könne indes „nur der Anfang eines dauerhaften Prozesses sein“.

Wie glaubhaft diese Bekundungen den Mitarbeitern erscheinen, kann Ministerpräsident Winfried Kretschmann spätestens Ende Februar feststellen: Als Festredner kommt er dann zum 50-Jahr-Jubiläum der Universität nach Ulm.