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Studie zu Klinikpersonal Wie viel Pflege braucht der Patient?

In deutschen Krankenhäusern kümmert sich ein Pfleger im Schnitt um 13 Patienten - ein schlechtes Verhältnis im internationalen Vergleich. Die Gewerkschaft Ver.di will den Mangel zum Wahlkampfthema machen.
Pflegekraft umsorgt ein Frühchen

Pflegekraft umsorgt ein Frühchen

Foto: Fredrik von Erichsen/ picture alliance / dpa

Alles sah nach einem Sieg in einem jahrelangen Kampf aus. Ab Anfang des Jahres sollte sich deutschlandweit je eine Pflegekraft um ein therapiepflichtiges Frühchen unter 1500 Gramm Geburtsgewicht kümmern - nicht wie so oft um mehrere der anfälligen Säuglinge. Zumindest auf den Intensivstationen für Neugeborene hatten die Verfechter fester Personalschlüssel in der Pflege einmal gewonnen.

Ihre Freude allerdings währte kurz. Der für die Regel zuständige Gemeinsame Bundesausschuss kippte seine Vorgabe Mitte Dezember kurzerhand wieder. Kliniken haben nun bis 2019 Zeit, das nötige Personal bereitzustellen. Sie hatten darüber geklagt, nicht genügend Pflegekräfte zu finden.

So läuft es oft. Seit Jahren kämpfen Mediziner, Patientenvertreter und die Gewerkschaft Ver.di dafür, dass deutsche Kliniken ihre Kräfte in der Pflege deutlich aufstocken. Da sich die Kliniken kaum bewegen, fordern die Befürworter feste Personalschlüssel als politische Vorgabe. Bislang scheitern ihre Versuche.

Nun, im Wahljahr, hofft Ver.di auf eine neue Chance und bereitet sich für einen weiteren Vorstoß vor. So wird die Mindestbesetzung in deutschen Kliniken am 16. Februar in der Expertenkommission beim Bundesgesundheitsministerium diskutiert. Bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung regte Ver.di eine Analyse an, wie andere Länder weltweit das Thema angehen. Die von der Stiftung finanzierte Studie, deren Ergebnisse SPIEGEL ONLINE vorab vorliegen, gibt den Verfechtern klarer Personalvorgaben Vorschub: Der US-Bundesstaat Kalifornien und Australien demonstrieren, wie Pflegeschlüssel funktionieren können.

Die Regulierung in anderen Ländern zeige, wie sich eine angemessene Personalausstattung in deutschen Krankenhäusern sicherstellen ließe, argumentieren die Studienautoren. Ver.di hat das Ergebnis hochgerechnet: Würde Deutschland die Vorgaben Australiens für die Mindestzahl an Pflegekräften in Kliniken zumindest für die oft besonders knapp besetzten Nachtschichten übernehmen, fehlten 19.500 Pflegekräfte - sie kosteten im Jahr rund eine Milliarde Euro.

Nachts ist die Lage besonders prekär

Deutschland liegt gegenüber vielen Ländern weit zurück bei der Personalausstattung in der Krankenhauspflege. Ein Pfleger kümmert sich hier im Schnitt um 13 Patienten, in den USA sind es 5,3, in der Schweiz und Schweden knapp acht. Insgesamt 70.000 Pflegekräfte fehlen laut Ver.di-Analysen hierzulande in Krankenhäusern.

Um sie einzustellen, würden jährliche Kosten von knapp vier Milliarden Euro anfallen. Leistbar wäre es dennoch: Genauso viel Geld fehlt Krankenhäusern in der Kasse, das eigentlich die Bundesländer zur Finanzierung der Klinikinvestitionen bereitstellen müssten. Doch die Länder drücken sich vor ihrer gesetzlich verankerten Pflicht und zahlen nur etwa halb so viel, wie sie es müssten.

Nachts wird es angesichts des knappen Personals besonders prekär, dann muss eine Pflegekraft in Deutschland durchschnittlich 26 Patienten versorgen. In Australien dagegen sind es je nach Klinikgröße acht bis zehn Kranke. Durch die hohe Patientenzahl pro Pfleger oder Schwester verschlechtere sich die Qualität der Behandlungen, warnen Experten. Die Hygiene wird vernachlässigt, weil Pflegekräften zu wenig Zeit zur Desinfektion bleibt, belegen Studien.

"Wenn wir in Deutschland den Pflegeschlüssel Australiens in der Nachtschicht hätten, würde das zugleich die Arbeit in den Tagschichten entspannen", sagt Ver.di-Experte Niko Stumpfögger. "Bedarfsdeckend wäre es allerdings selbst dann noch nicht." Das zeigt, wie gravierend die Notlage in der deutschen Pflege derzeit ist.

Gefahr wachsweicher Formulierungen

Selbst da, wo hierzulande eingelenkt wird, passiert das halbherzig. Das zeigt die Studie der Böckler-Stiftung am Beispiel Nordrhein-Westfalens (NRW): Vor zwei Jahren erließ das Bundesland Vorgaben für die Pflegekräfte auf Intensivstationen. Sie folgten der Empfehlung von Medizinern, eine Kraft maximal zwei Patienten betreuen zu lassen. Realität in deutschen Kliniken sind doppelt so viele Kranke. Doch NRW formulierte die Ansage so weich, dass Experten kaum eine Veränderung in den Krankenhäusern des Landes wahrnehmen.

Mit unverbindlichen Appellen höhlen auch andere Staaten ihre Vorgaben für die Klinikpflege aus, stellen die Macher der Böckler-Studie fest. Da, wo klare Ansagen gemacht werden, komme es wiederum auf die Höhe der vorgegebenen Mindestbesetzung an. So werde etwa in Belgien die vorgegebene Zahl an Pflegekräften "nicht als Untergrenze, sondern als Norm oder sogar Obergrenze gehandhabt", warnen die Studienautoren. Dies sei ein Risiko der Vorgaben.

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