In Englands Krankenhäusern geht es zu „wie in der Hölle“

London · Patienten sterben auf dem Flur, Polizisten ersetzen Sanitäter: Die Krise im britischen Gesundheitswesen spitzt sich zu – und die Regierung wiegelt ab.

 Englands Gesundheitssystem ist krank, klagen Kritiker. Proteste gab es schon öfter, wie hier bei einem Streik des Klinik-Personals in London. Foto: dpa

Englands Gesundheitssystem ist krank, klagen Kritiker. Proteste gab es schon öfter, wie hier bei einem Streik des Klinik-Personals in London. Foto: dpa

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() Krankenhäuser in Großbritannien schlagen Alarm: Vor allem die Notaufnahmen sind wie nie zuvor seit der Gründung des staatlichen Gesundheitsdienstes National Health Service (NHS) vor fast 70 Jahren unter Druck. Patienten und Angehörige berichten von weinenden Krankenschwestern und Zuständen "wie in der Hölle".

So starben zwei Patienten kürzlich in Notbetten auf dem Flur einer Klinik in Worcester in der Nähe von Birmingham, wie Medien berichteten. Mehr als 35 Stunden hatte eine 66-Jährige nach einem Schlaganfall auf dem Flur gelegen, als ihr Herz aufhörte, zu schlagen. Zwei Tage später starb ein Mann dort an den Folgen einer Hirnblutung. "Mehrere Tage musste unser Freund, der Prostatakrebs hat, auf ein Krankenbett warten", berichtete eine Britin über dieselbe Klinik. "Und als wir ihn dort besuchten, sahen wir überall auf den lauten Fluren kranke Menschen in Rollstühlen oder mit Rollatoren, die noch kein Bett hatten."

Mehr Kliniken als je zuvor mussten im vergangenen Dezember Krankenwagen mit Patienten abweisen. Sie wurden in andere Hospitäler umgeleitet. Für Patienten in kritischem Zustand sei der längere Transportweg oft "lebensbedrohlich", sagte Clive Haswell, ein Notarzt im Londoner Charing Cross Hospital.

In der ersten Januarwoche lösten 20 Krankenhäuser einen "schwarzen Alarm" aus, berichtete die Zeitung "The Independent". Das müssen sie tun, wenn sie "nicht in der Lage sind, eine umfassende Versorgung zu garantieren". Der NHS stößt in jedem Winter an seine Grenzen, doch in diesem Jahr ist die Situation besonders schwierig. Die Wartezeiten in den Notaufnahmen haben sich extrem verlängert. Die Zahl älterer Patienten, die in Notbetten auf eine Behandlung warten, hat sich in den vergangenen zwei Jahren verdreifacht, berichtete das Finanzmagazin "MoneyWeek".

Der Chef des Britischen Roten Kreuzes, Mike Adamson, sprach im Parlament von einer "humanitären Krise" im Gesundheitssystem und löste mit seiner Wortwahl Empörung aus. Die Situation sei doch "nicht vergleichbar mit Syrien oder dem Jemen", sagte die konservative Abgeordnete und Medizinerin Sarah Wollaston. Premierministerin Theresa May wies die Kritik als "maßlos übertrieben" zurück.

Explodierende Patientenzahlen und zu wenig Geld im Gesundheits- und Sozialwesen sind Experten zufolge die Gründe für die Krise. Die Behandlung von immer mehr älteren Menschen mit chronischen Krankheiten treibe die Kosten in die Höhe, erklärte eine Sprecherin der British Medical Association (BMA), des als Gewerkschaft anerkannten britischen Ärzteverbandes.

Trotz aller Probleme halten die Briten zäh an ihrem Gesundheitssystem fest. Der NHS basiert auf der Idee des Wohlfahrtsstaates, und viele schätzen das System, das ihnen eine fast kostenfreie Versorgung bietet. Es wird überwiegend aus Steuern finanziert, nur ein geringer Teil wird von Sozialversicherungsbeiträgen abgedeckt. Die langen Wartelisten sind indes ein Dauerthema.

May möchte trotz aller Kritik am NHS festhalten und strebt Verbesserungen an, die Finanzmittel seien ausreichend. Viele Gesundheitsexperten kritisieren dies. "Statt einen Plan vorzulegen, spielt die Regierung das Problem herunter", heißt es in einer BMA-Mitteilung.

Vielerorts wird angesichts der schwierigen Lage improvisiert. In Cambridgeshire im Osten Englands transportieren Streifenwagen immer öfter Patienten. Wenn stundenlang kein Krankenwagen zur Verfügung stehe, müsse in Notfällen eben die Polizei einspringen, sagte der örtliche Polizeichef einer Zeitung.

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