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Wie viel darf eine Depression kosten?

Psychiatrische Kliniken sollen nächstes Jahr auf ein neues Tarifsystem umstellen.

Ein Spitalaufenthalt hat einen festgelegten Preis. 6434 Franken kostet zum Beispiel eine Blinddarmoperation in einem regionalen Spitalzentrum des Kantons Bern. Auch für alle anderen körperlichen Diagnosen und Behandlungen lässt sich der Preis nachschlagen. Wie viel hingegen die Behandlung einer Depression kostet, hängt von der Anzahl Tage ab, die der Patient in der psychia­trischen Klinik bleibt.

Daran wird auch Tarpsy nichts ändern. Tarpsy ist die erste schweizweit einheitliche Tarifstruktur für die stationäre Psychiatrie. Sie soll für Erwachsene 2018 in Kraft treten. Der grosse Unterschied zu den Spitälern: Tarpsy beruht nicht auf Fall-, sondern auf Tagespauschalen.

Der neue Tarif geht auf einen Parlamentsbeschluss aus dem Jahr 2007 zurück: Für stationäre Behandlungen – ob im Spital oder in der Psychiatrie – soll eine schweizweit einheitliche Struktur für Pauschalpreise festgelegt werden, und zwar «in der Regel» für Fallpauschalen. 2012 setzten die Spitäler diesen Auftrag um und wechselten auf das Fallpauschalensystem Swiss DRG.

In den Psychiatrien ist hingegen bis heute keine nationale Tarifstruktur in Kraft. Die Entwicklung von Tarpsy dauerte lange, und verschiedene Versionen wurden verworfen. Rasch war klar, dass Fallpauschalen nicht passen, weil sich die «Fälle» zu stark unterscheiden, als dass ein Pauschalpreis sinnvoll wäre. «Es gibt nicht die Depression», sagt etwa Andreas Daurù, Geschäftsleitungsmitglied der Stiftung Pro Mente Sana, die sich für psychisch beeinträchtigte Menschen einsetzt. Bei einer Depression sei der Genesungsprozess und dessen Dauer sehr individuell.

Degressiver Tarif

Ein System mit Tagespauschalen kann jedoch die Gefahr bergen, dass Kliniken Patienten aus finanziellen Gründen unnötig lange behalten. Laut Simon Hölzer birgt Tarpsy diesen Fehlanreiz nicht, weil die Pauschalen kontinuierlich mit der Dauer des Aufenthalts sinken. «Finanziell lohnt es sich für die Kliniken weder die Patienten länger zu behalten noch sie vorzeitig zu entlassen», sagt er.

Hölzer ist Geschäftsführer von Swiss DRG, seine Organisation ist sowohl für die Fallpauschalen in den Spitälern als auch für Tarpsy zu­ständig. Je nach Diagnose und Schweregrad der Krankheit können Psychiatrien einen anderen Tagestarif verrechnen. Bei Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung ist der Preis zum Beispiel während der ersten Tage tiefer als bei Patienten mit einer depressiven Störung.

Behandlungen nicht im Tarif

Das Parlament schrieb «leistungsbezogene» Pauschalen vor. Es stellt sich die Frage, wie Tarpsy dies erfüllt, denn 2018 wird es noch nicht möglich sein, Behandlungen explizit in die Tarifstruktur aufzunehmen. Aufgenommen würden aber die Diagnose, das Alter und der medizinisch definierte Schweregrad: Daraus ergebe sich die Behandlung, sagt Hölzer und nennt als Beispiel die Durchführung eines Entzugs. Zudem sei Tarpsy entwicklungsfähig und könne später ausgebaut werden.

Das ist laut Stefan Gerber, Finanzdirektor der Psychiatriezentrum Münsingen AG, nötig. Das Psychiatriezentrum gehört zu jenen Kliniken, die für die Entwicklung des neuen Tarifs ihre Daten zur Verfügung stellten. «Es ist offensichtlich, dass die Behandlungen noch zu wenig berücksichtigt sind», sagt Gerber. Doch im Moment habe man keine andere Wahl, denn es stünden keine geeigneten Instrumente dafür zur Verfügung, die unterschiedlichen Behandlungen standardisiert zu erfassen.

Positiv ist laut Gerber, dass der Tarif nicht unnötig kompliziert ist und keine zusätzlichen Datenerhebungen verlangt. Auf die Kliniken komme trotzdem eine grosse Umstellung zu. Dass man diese bereits auf 2018 und ohne Pilotphase vorsehe, sei «mutig». In Details sieht Gerber noch Korrekturbedarf, im Grossen und Ganzen führe Tarpsy aber in die richtige Richtung.

Dem pflichten die Krankenversicherungsverbände bei: Laut Santésuisse ist der Tarif viel besser als die heute geltenden Abrechnungssysteme. Zwar sei mit der unzulänglichen Berücksichtigung der Leistungen noch eine Schwäche vorhanden, doch könne diese künftig behoben werden. Laut Curafutura ermöglicht Tarpsy Transparenz bei Kosten und Leistungen, was zum gewünschten Qualitätswettbewerb und zu mehr Effizienz führe.

Weniger positiv fällt das Urteil von Pro Mente Sana aus. Auf die Einteilung in Diagnosen und auf eine Abstufung der Tarife hätte man dort lieber verzichtet. «Das erzeugt ökonomischen Druck», kritisiert Andreas Daurù. «Für uns ist zudem unklar, was in den Tagespauschalen enthalten ist.» Bedauerlich sei, dass für den ambulanten und den stationären Teil nach wie vor unterschiedliche Tarifsysteme gälten. «Man hat die Chance verpasst, ganzheitliche Lösungen zu suchen.»

Noch nicht unter Dach

Die Tarifpartner reichten Tarpsy letzte Woche dem Bundesrat zur Genehmigung ein. Über den dazugehörigen Rahmenvertrag verhandeln die Kliniken und die Versicherer allerdings noch. Dabei sind die Kosten zentral: Tarpsy müsse in den zwei Einführungsjahren grundsätzlich kostenneutral sein, fordert Curafutura. Darum gehörten ein national definiertes Monitoring und Korrekturmassnahmen zwingend zum Tarifvertrag. Bis Ende Februar sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein.

Vor der Einführung muss zudem die konkrete Höhe der Tagespauschale geklärt werden: Wie beim Spitaltarif Swiss DRG oder beim ambulanten Tarif Tarmed bildet Tarpsy mit seinen Kostengewichten nur das Gerüst, die dazugehörenden Preise legen Kliniken und Versicherer individuell fest.