BÜROKRATIE: Daniel gegen Goliath

Kann man eine Krankenkasse ganz ohne EDV führen? Man kann, wie ein kleines Institut in Turbenthal zeigt. Ob man es indes auch darf, entscheidet demnächst das Bundesverwaltungsgericht.

Richard Clavadetscher
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Krankenkassen-Geschäftsführer Daniel Rüegg mit seiner «Hermes Ambassador». (Bild: Rolf Hug/Der Tössthaler)

Krankenkassen-Geschäftsführer Daniel Rüegg mit seiner «Hermes Ambassador». (Bild: Rolf Hug/Der Tössthaler)

Richard Clavadetscher

«Halte es einfach!» Dies ist der Wahlspruch, dem Daniel Rüegg seit jeher nachlebt. Er tut dies seit 30 Jahren auch in seiner Funktion als Präsident und Geschäftsführer der Krankenkasse Turben­thal. Diese Kasse, 1888 gegründet, hat heute rund 400 Versicherte, und alle sind dem Geschäftsführer persönlich bekannt. Finanziell steht die Kasse gut da.

«Halte es einfach!» heisst im Fall der Krankenkasse, dass sie lediglich eine Grundversicherung mit Franchise von 300 Franken anbietet – und dies exklusiv für Einwohner der Gemeinden Turbenthal, Wila und Wildberg im zürcherischen Tösstal. Interessenten von anderswo nimmt sie nicht auf. Der Einfachheit nicht genug: Rüegg führt die Kasse als Ein-Mann-Betrieb – ohne Computer, Faxgerät oder Handy, sondern mit mechanischer Schreibmaschine Marke «Hermes Ambassador», Karteikarten und einem Festnetztelefonanschluss.

Diese spartanische Einfachheit hat ihren Preis. Einmal im positiven Sinne: Die Krankenkasse Turbenthal hat schweizweit die günstigste Prämie für eine Grundversicherung mit 300 Franken Franchise. Dann aber auch im negativen Sinne: Geschäftsführer und Präsident Daniel Rüegg befindet sich seit eh im Clinch mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG). Denn für eine zwar sauber geführte, aber aus Bundesamts-Sicht wohl anachronistisch verwaltete Krankenkasse sind die Vorgaben des Amtes nicht gedacht.

Man habe sich bisher gleichwohl immer einigen können, sagt Rüegg. Neuerdings jedoch bläst dem Ein-Mann-Betrieb ein rauerer Wind um die Ohren, wie ­Rüegg kürzlich dem Lokalblatt «Der Tössthaler» anvertraute: Das BAG hat den Geschäftsführer und Präsidenten vor Bundesverwaltungsgericht gezerrt. Über die exakten Gründe gibt das BAG auf Anfrage keine Auskunft, «da es sich um ein laufendes Verfahren handelt», so Sprecher Daniel Dauwalder gegenüber unserer Zeitung. Rüegg hingegen ist gesprächiger: Im Rahmen der gesetzlichen Überprüfung verlange das BAG von der Krankenkasse Turbenthal nun per Verfügung im Wesentlichen eine «differenzierte Lieferung» der Daten, die Einführung elektronischer Versichertenkarten und die Teilnahme an einer Plattform für Prämienverbilligungen.

Allein: Mit einer «Hermes Ambassador» und papierenen Karteikarten ist das nicht zu machen. Die Krankenkasse müsste also auf EDV umstellen. Dies aber bringt sie in die Bredouille: Anschaffung und Unterhalt von Computer und Spezialprogrammen würden die Verwaltungskosten massiv ansteigen lassen – laut Rüegg um nicht weniger als 65 Prozent. Damit durchbräche die Kasse die gesetzlich vorgeschriebene Limite von 400 Franken Verwaltungskosten pro versicherte Person. In der Konsequenz «müsste die Kasse aufgelöst oder in eine Grosskasse integriert werden», so Rüegg.

Das will Daniel Rüegg, 63-jährig und zeitlebens ein freiheitsliebender Idealist, natürlich nicht. Deshalb wird er vor Bundesverwaltungsgericht für seine Art der Kassenführung und damit für das Weiterbestehen der Krankenkasse Turbenthal kämpfen.

Weil er überzeugt ist, nichts Falsches, sondern vielmehr das Richtige zu tun, ist er zuversichtlich, dass das in St.Gallen domizilierte hohe Gericht Verständnis für ihn hat und zu seinen Gunsten entscheidet.

Denn dass die Krankenkasse Turbenthal mit ihren 400 günstig Versicherten eine Daseins- berechtigung hat, beweise sie schliesslich tagtäglich – seit 1888 immerhin.