Ein Gutachten zur Misswirtschaft in der Internationalen Abteilung des Klinikums fordert personelle Konsequenzen für weitere Mitarbeiter. Es sollen hohe Beträge gezahlt worden sein, ohne dafür eine Gegenleistung erhalten zu haben.

Stuttgart - Der Krankenhausausschuss ist am Freitag nichtöffentlich über den Abschlussbericht des Anwaltsbüros BRP Renaud und Partner zur Misswirtschaft in der Internationalen Abteilung (IU) des Klinikums informiert worden. Einblick in das Gutachten erhalten die Stadträte in einem separaten Raum. Bürgermeister Michael Föll (CDU) hat sie auf besondere Geheimhaltung eingeschworen.

 

Die Verdächtigen

Der Kreis der Beschuldigten ist erweitert worden. Nun steht auch die Direktorin für Controlling und Finanzen, Antje Groß, vor der fristlosen Kündigung. Sie soll in der nächsten Woche angehört werden. Dieses Schicksal droht auch dem Ex-IU-Geschäftsführer Andreas Braun. Zumindest personalrechtliche Konsequenzen braucht der Hauptverantwortliche Ralf-Michael Schmitz nicht zu befürchten. Mit ihm wurde im März 2016 ein Aufhebungsvertrag mit 900 000 Euro Abfindung geschlossen. Außerdem hat ihm 2005 der heutige Staatsminister Klaus-Peter Murawski (Grüne) als damals zuständiger Bürgermeister eine sehr gut dotierte Pensionszusage ab dem 63. Lebensjahr genehmigt. Das wird auch noch ein Ausschussthema sein.

Regressforderungen gegen Verantwortliche

Die Stadt erwägt, die Aufhebungsvereinbarung wegen arglistiger Täuschung anzufechten; Beweise dafür müsste aber die Staatsanwaltschaft liefern. Außer Reichweite für personalrechtliche Konsequenzen befinden sich die ehemaligen Ärztlichen Direktoren Jürgen Graf (wechselte zur Johann-Wolfgang-von-Goethe-Klinik Frankfurt) und Claude Krier (Ruhestand). Gegen alle Verantwortlichen in der Führungsspitze werden aber Regressforderungen geprüft. Sie verfügen alle über Managerversicherungen.

Die Stadt hat auf Antrag der AfD untersucht, ob der in der fraglichen Zeit zuständige Bürgermeister Werner Wölfle (Grüne) eine Mitverantwortung für das Chaos bei der Abrechnung der Behandlungen von 371 libyschen Kriegsversehrten tragen könnte. OB Fritz Kuhn teilte dazu mit, die Verwaltung sei erstmalig im Mai 2015 – der letzte Libyer hatte sich längst auskuriert – über Wertberichtigungen von 8,9 Millionen Euro informiert worden. Danach habe Wölfle Sofortmaßnahmen wie eine Risikobewertung und eine Abmahnung gegenüber Braun veranlasst, später Rückforderungen gestellt, Verträge mit 80 Patientenvermittlern gekündigt und die Gutachter in Marsch gesetzt. Wölfle habe den Ausschuss zeitgerecht und vollständig informiert. Dennoch wird sich der Ausschuss am 24. Februar mit der Personalie befassen.

Humanitärer Akt, aber großes Defizit

Das Klinikum hat sich seit 2012 auf Bitten der Bundesregierung bereit erklärt, libysche Kriegsopfer zu behandeln. Das ließen sich die Stuttgarter mit dem 2,2-Fachen des normalen Abrechnungssatzes bezahlen, auch die Chefärzte verdienten gut daran. Die Stadt übernahm gegen Vorkasse zudem „Aufenthalt im Hotel, Taschengeld u. ä.“, so eine Mitteilung an Wölfle im April 2015. Wegen des aufflammenden Bürgerkriegs stoppte zwar der Geldfluss bei 19 Millionen Euro – aber in Kenntnis der Problemlage nicht die Aufnahme weiterer Patienten und Barauszahlungen für Essen und Taschengeld, die allesamt als nicht vereinbart bewertet werden. Die Folge: Ausgaben von 28,4 Millionen und somit ein Defizit von 9,4 Millionen Euro. Es heißt zwar, es schlummerten acht Millionen auf einem libyschen Sperrkonto, und die Stadt hat angekündigt, dem Gerücht nachzugehen. Hoffnungen macht sie sich aber nicht.

Die Summe von 15 Millionen Euro für die Behandlungen ist strittig. Zur Ermittlung der umsatzabhängigen Provision für den Patientenbetreuer Nabil Abu-Rikab diente dem Klinikum eine komplette Liste von 486 Abrechnungen – im Umfang von nur 9,43 Millionen Euro. Nach StZ-Informationen sind auch für Taschen- und Essensgeld sowie für Hotels, Reinigung, VVS-Tickets, Visumverlängerungen und Heimflüge maximal neun Millionen Euro angefallen. Wie kommt die Stadt aber auf 13,4 Millionen Euro? Einen Hinweis liefert das Gutachten vom BRP: Es gibt grundlose Überweisungen in astronomischer Höhe an dubiose Dritte. So sollen an eine libysche Consultingfirma einmal 837 000 Euro überwiesen worden sein. Der Eigentümer war fürs Versehrtenkomitee tätig.

Hilfe in Kuwait, aber auch hier droht Verlust

Auch das Geschäft zwischen Klinikum und dem kuwaitischen Gesundheitsministerium über die Entsendung eines Ärzteteams in das Al Razi Hospital für drei Jahre ist heikel: Erneut tauchen Auszahlungen ohne erkennbare Gegenleistung auf. „Nennen Sie es Serviceleistung, Schmiergeld oder Bakschisch, es meint dasselbe“, stöhnt Bürgermeister Föll. Ein Anwaltsbüro hatte gewarnt, weil der Vertrag in Arabisch abgefasst und schlampig übersetzt sei. Inakzeptabel sei der Gerichtsstand Kuwait – das bekommt das Klinikum zu spüren. Der Minister klagt, was nicht verwundert, denn die personelle Anforderung, ständig fünf Orthopäden für ein halbes Jahr abzustellen, die fünf Jahre in Stuttgart gearbeitet haben, konnte nicht erfüllt werden. Das Ministerium schränkte die Zahlungen ein, statt 46,2 Millionen flossen 21 Millionen. Das hindert die Firma Aryak aber nicht, auf ihren Anteil von 12,6 Millionen Euro zu bestehen. Was diese Summe rechtfertigen soll, weiß niemand. Womöglich werden vor Ort kostenpflichtig Kontakte gepflegt.

Ein weiterer Empfänger ist laut Gutachten die Europe Health GmbH in München. Auch über deren Leistungen ist man sich nicht klar. Die Royal European stellte den Ärzten Autos und Fahrer zur Verfügung – für 650  000 Euro jährlich. Mit 15 000 Euro monatlich beschied sich der Ludwigsburger Nabel Rikab. Mit seinem Team dolmetschte er in der Klinik und putzte nach eigener Aussage in den Behörden Klinken, um den Geldfluss nach Deutschland am Laufen zu halten. Er wehrt sich weiter gegen den Vorwurf, nebenbei die Hand aufgehalten zu haben.