Der Wirtschaftswissenschaftler Bert Rürup bezweifelt, dass die Bürgerversicherung kommt. Foto: dpa

Wie lässt sich die Qualität in Krankenhäusern in Deutschland verbessern? Vielen Bundesländern droht die Pleite – sie ziehen sich deshalb aus der Klinikfinanzierung zurück. Der langjährige Regierungsberater Bert Rürup macht Lösungsvorschläge.

Wie lässt sich die Qualität in Krankenhäusern in Deutschland verbessern? Vielen Bundesländern droht die Pleite – sie ziehen sich deshalb aus der Klinikfinanzierung zurück. Der langjährige Regierungsberater Bert Rürup macht Lösungsvorschläge.
Stuttgart - Herr Rürup, in den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen geht es natürlich auch ums Gesundheitswesen. Was erwarten Sie von den Verhandlungen?
Zunächst muss man sagen: Reformen im Gesundheitswesen sind immer extrem schwierig. Zum einen, weil man gar nicht so genau sagen kann, wo die Schwächen des Systems liegen. Es ist im internationalen Vergleich gar nicht so teuer, wie man gemeinhin glaubt. Wir haben die niedrigste Ausgabendynamik im OECD-Vergleich. Zwar ist immer wieder von gigantischen Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsreserven die Rede, doch gezeigt hat die eigentlich noch niemand. Zum anderen ist es selbst für eine Große Koalition ungeheuer schwierig, weitreichende Reformen durchzusetzen.
Warum?
Die Gesundheitswirtschaft ist mit einem Ausgabenvolumen von 300 Milliarden Euro – das entspricht etwa elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts – fast der wichtigste Wirtschaftsbereich. Da arbeiten fünf Millionen Menschen, die alle glänzend organisiert sind.
Bert Rürup. Foto: dpa-Zentralbild
Das hört sich jetzt fast so an, als könnte alles bleiben, wie es ist.
Nein, es gibt trotzdem eine Menge zu tun. Wir haben gewaltige Probleme in der stationären Versorgung, die eigentlich nur eine Große Koalition abstellen kann. Es gibt etwa 2000 Krankenhäuser, die Zahl der Betten liegt bei 500.000. Obwohl die Fallzahlen rasant steigen, ist die Kapazitätsauslastung immer noch relativ niedrig. Weil die Behandlungen über Fallpauschalen finanziert werden, stehen die Kliniken unter dem Druck, sehr viel operieren zu müssen. Und in der Tat haben wir ja sehr hohe OP-Zahlen.
Was hilft dagegen?
Man müsste das System neu aufstellen. Die Kliniken müssten sich spezialisieren und sich vom Komplettangebot verabschieden. Zudem müsste man ihnen die Möglichkeit eröffnen, für planbare Eingriffe selektiv mit den Krankenkassen zu kontrahieren, also beispielsweise Verträge für eine bestimmte Anzahl von Hüftoperationen abzuschließen. Dadurch könnten qualitätsorientierte Spezialisierungsprozesse angetrieben werden. Und natürlich muss die Krankenhausfinanzierung insgesamt auf eine neue Grundlage gestellt werden.
Was bedeutet das?
Gegenwärtig werden die Investitionen über Steuern finanziert, dafür sind die Länder zuständig. Alles andere finanzieren die Krankenkassen. Da einige Länder aber so gut wie pleite sind und die Schuldenbremse vor der Tür steht, haben wir einen schleichenden Rückzug der Länder aus der Krankenhausfinanzierung.
Mit anderen Worten: Sie wollen, dass die Länder sich zurückziehen. Glauben Sie, dass die Länder da mitmachen?
Für Gesundheitsökonomen ist völlig klar, dass die Kliniken aus einer Hand finanziert werden sollten, genauso wie die niedergelassenen Ärzte. Wer soll das durchsetzen, wenn nicht eine Große Koalition? Schwarz-Rot hat schließlich die absolute Mehrheit im Bundesrat.
Vor der Wahl gab es eine heftige Debatte über die Frage, ob Deutschland reif ist für einen einheitlichen Krankenversicherungsmarkt. Trauen Schwarze und Rote sich da ran?
Ich glaube nicht, dass die Bürgerversicherung kommt. Der einheitliche Versicherungsmarkt scheitert ja schon daran, dass wir es nicht mit einem dualen System, sondern mit einem dreifachen System zu tun haben. Wir haben abhängig Beschäftigte, wir haben Selbstständige, und wir haben Beamte. Beamte beziehen Beihilfe. Die private Versicherung ist für sie ja nur eine Zusatzversicherung, weil die vom Staat aus Steuermitteln gezahlte Beihilfe 50 bis 70 Prozent der Krankenversicherung der Beamten ausmacht. Da geht es um gewaltige Summen. Darauf hat auch der SPD-Experte Karl Lauterbach, der die Bürgerversicherung will, keine Antwort.
Welche Möglichkeiten bleiben denn Schwarz-Rot für Reformen auf der Einnahmenseite?
Die Krankenkassen sollten ja Zusatzbeiträge erheben, wenn sie mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen. Die künftigen Koalitionspartner sollten sich eingestehen, dass dieser Ansatz gescheitert ist. Der allgemeine Beitragssatz wurde so hoch angesetzt, dass die Kassen im Geld schwimmen.
Das ließe sich ändern.
Es gibt zwei Möglichkeiten. Man kann den Beitragssatz runtersetzen, dann würden die Zusatzbeiträge echte Wettbewerbsparameter für die Krankenkassen. Oder – und das wollen die meisten Krankenkassen – man kehrt wieder zum kassenindividuellen Beitragssatz zurück, über den die Kasse selbst entscheidet. Allerdings steckt da der Teufel im Detail, denn der Risikostrukturausgleich bleibt ja beim Gesundheitsfonds. Man müsste also einen neuen Mechanismus schaffen, wie man Kassen unterstützt, deren Versicherte nicht so viel verdienen. Das sind die beiden Positionen, die entschieden werden müssten. Das jetzige System hat jedenfalls nicht funktioniert.
Gibt es einen großen Wurf?
Es wird letztlich im Klein-Klein bleiben. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn man den Steuerzuschuss an die Gesetzliche Krankenversicherung auf eine stabile Grundlage stellt. Letztlich ist der Zuschuss eine konjunkturpolitische Manövriermasse. oder er wird zu Konsolidierungszwecken missbraucht.