Schleudersitz im Spital

Übers Wochenende hat der Männedorfer Spitaldirektor seine Kündigung eingereicht. Vorausgegangen waren unter anderem Klagen über das Betriebsklima. Er ist nicht der erste und wird nicht der letzte Direktor sein, dem solches widerfährt.

Reto Scherrer
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Spital Männedorf (Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Spital Männedorf (Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Die Geschichte wiederholt sich. Im Spital Männedorf scheint das im 10-Jahres-Rhythmus der Fall zu sein. «Im Zusammenhang mit einer Umstrukturierung am Spital Männedorf ist es im Spätherbst 2002 zu einem Aufstand des medizinischen Personals und zu Kritik der Hausärzte aus der Region gekommen», schrieb die NZZ vor rund einem Jahrzehnt; etwa das Gleiche lässt sich heute schreiben. Vor rund zwei Wochen machten Medienberichte gravierende Unstimmigkeiten beim Pflegepersonal publik, was sich in einer Fluktuationsrate von 38 Prozent widerspiegeln soll.

Eskalation innert Wochen

Personalwechsel in dieser Kadenz sind sogar für Spitalbetriebe ungewöhnlich. In der Kritik fanden sich rasch der Spitaldirektor, Ralph Baumgartner, und die Leiterin des Pflegediensts, Colette Tschupp. Vergangene Woche teilte das Spital dann mit, es wisse um die grosse Verunsicherung bei den Mitarbeitern und habe konkreten Handlungsbedarf ausgemacht: «Neben zahlreichen strukturellen Fragen, die durch die Reorganisation aufgetaucht sind, beschäftigen die Mitarbeitenden vor allem der Strukturwandel und die damit verbundenen Probleme rund um das Arbeitsklima.»

Aus diesen Gründen und nach einer Aussprache mit dem Schweizer Pflege-Berufsverband versprach die Spitalleitung, die Mitarbeiter sollten stärker in den Veränderungsprozess einbezogen werden. Auch die innerbetriebliche Kommunikation solle verbessert werden. Etwa zeitgleich meldeten sich besorgte Ärzte aus einer Feldmeilemer Gemeinschaftspraxis und fügten den bereits kritisierten Punkten noch andere hinzu. Namentlich störten sie sich an der Absicht des Spitaldirektors, den ambulanten Bereich auszubauen, und an der Art, dies kundzutun. Sie fügten der Beschwerde Rücktrittsforderungen an Baumgartner und Tschupp bei.

Am Wochenende hat nun der Verwaltungsrat des Spitals mitgeteilt, dass der Direktor nach fünf Jahren Tätigkeit kündigt; dies tue er im Interesse des Spitals. Zugleich wurde der Leiterin des Pflegediensts uneingeschränkt der Rücken gestärkt, was prompt eine Erneuerung der Rücktrittsforderungen seitens des Berufsverbands zur Folge hatte. Derweil will der Verwaltungsrat die aufgegleisten Reformen weiterverfolgen.

Zahlreiche Beispiele

So undurchsichtig die Lage für Externe – und wohl auch für manchen Internen – ist, einmalig ist sie noch lange nicht. Im Gegenteil: In regelmässigen Abständen gerät ein Spitaldirektor stark in die Kritik. Meist wird diese öffentlich, so dass in vielen Fällen die Trennung nur noch eine Frage der Zeit ist; oft wird dann von «gegenseitigem Einverständnis» gesprochen. Zuletzt war die Phrase vor einem halben Jahr aus Bülach zu hören. In der Zeit davor waren die Direktoren der Klinik Lindberg, des Universitätsspitals, des Limmattalspitals und der Klinik Bethanien jeweils Adressaten öffentlich vorgetragener Kritik oder Subjekte von Rücktrittserklärungen.

Kommt es zu einer Gemengelage von erhöhter externer Unsicherheit – wie zurzeit durch die neue Spitalfinanzierung über Fallpauschalen und in Männedorf die Änderung der Rechtsform –, internen Reformbemühungen und Kommunikationsproblemen, wird der Direktorensessel rasch zum Schleudersitz. Unverschuldet gerät jedoch niemand auf diesen. Manch einem Verwalter fehlt das Augenmass im Durchsetzen unternehmerischer Überlegungen in einem Umfeld, das andern Gesetzen folgt und oft auch andern Werten gehorchen muss.

Während in vielen Betrieben Veränderungen ohne die breite Konsultation von Mitarbeitern über die Bühne gehen, führt dies beim medizinischen Personal stets zu gravierenden Disputen. Das darf die kaufmännischen Vorgesetzten aber nicht überraschen. Pflegende und Ärzte sind es gewohnt, ein sehr grosses Mass an Verantwortung in ihrer täglichen Arbeit zu tragen. Sie fällen zum Teil folgenschwere Entscheidungen – immer auch im Namen des ganzen Spitals. Als Erbringer der Kernkompetenz einer Klinik wollen sie daher entsprechend informiert und einbezogen werden.