Viersen Müssen Kranke bald zu früh gehen?

Viersen · Psychisch Kranke könnten bald nicht mehr so lange in der Süchtelner LVR-Klinik behandelt werden, wie sie es brauchen. Das fürchtet der Landschaftsverband Rheinland und wehrt sich gegen eine neue Verordnung.

 Wer krank ist, soll so lange im Krankenhaus bleiben, wie er es braucht – dieser Grundsatz könnte in Süchteln nach Befürchtung des Landschaftsverbands Rheinland bald nicht mehr gelten. Nicht betroffen ist die Sicherheitsverwahrung.

Wer krank ist, soll so lange im Krankenhaus bleiben, wie er es braucht – dieser Grundsatz könnte in Süchteln nach Befürchtung des Landschaftsverbands Rheinland bald nicht mehr gelten. Nicht betroffen ist die Sicherheitsverwahrung.

Foto: Busch

2015: Ein Patient mit einer schweren Depression wird in der LVR-Klinik in Süchteln behandelt. Seine Genesung lässt auf sich warten. Bald ist er länger als die meisten Patienten mit derselben Erkrankung in der Klinik. Diese erhält nun nur noch einen Bruchteil der Behandlungskosten. Soll sie den Patienten entlassen? Oder ihn weiterbehandeln und Verluste machen?

Vor dieses Dilemma könnte eine neue Verordnung die LVR-Klinik stellen. "Die Gefahr ist, dass wir Patienten nicht mehr so lange behandeln können, wie das nötig wäre", sagt Martin Kresse (Grüne), Mitglied der Landschaftsversammlung des LVR. Sie hat eine Resolution gegen die Verordnung verabschiedet.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr hat die Verordnung für pauschalierende Entgelte Psychiatrie und Psychosomatik im November unterschrieben. Sie regelt, dass Krankenkassen an psychiatrische Kliniken ab 2015 Pauschalen bezahlen. Das Krankenhaus meldet, welche Patienten es behandelt, die Kasse zahlt abhängig von der Diagnose Tagessätze für einen festgelegten Zeitraum. "Durch diese Entgeltsystematik werden Fehlanreize gesetzt, die zu Lasten gerade der psychisch schwer kranken Menschen gehen werden", heißt es in der Resolution.

Beispiel Behandlungsdauer: Bleibt ein Patient über einen vorab definierten Zeitraum hinaus krank, soll die Klinik nur noch 15 Prozent des ursprünglichen Satzes erhalten. "Nicht selten steigen die Kosten im Verlauf einer langen Erkrankung wieder an", erklärt dazu zum Beispiel der Ärzte-Verband Marburger Bund. Er kritisiert die Verordnung: Die Pauschalen erfassten zu wenige unterschiedliche Erkrankungen und seien auf unzureichender Datenbasis erstellt worden.

Bisher hat der Landschaftsverband mit den Krankenkassen jedes Jahr verhandelt, wie viel Geld seine großen Abteilungen erhalten. Dieses Finanzierungssystem gab es zuletzt nur noch in wenigen Kliniken. Die meisten Krankenhäuser erhalten seit Jahren Pauschalen, die viele Ärzte, Patientenverbände und Krankenhausvertreter kritisieren. Die Pauschalen führten zu verfrühten Entlassungen und setzten Fehlanreize. Eine Studie des an die Uni Münster angegliederten Centrums für Krankenhaus-Management zeigt, dass seit Einführung der Pauschalen die Zahl der Patienten gestiegen ist, die einen deutlich verschlechterten Gesundheitszustand aufwiesen, als sie in die Reha kamen. Das lässt sich zwar als Hinweis darauf deuten, dass sich die Behandlung der Patienten verschlechtert hat — ein Beweis ist die Studie nicht. Schließlich stieg im selben Zeitraum auch das Durchschnittsalter der Patienten.

Das Gesundheitsministerium lobt trotz aller Kritik die neuen Regeln. Die Pauschalen sorgten für Transparenz und hätten die Krankenhäuser dazu gebracht, sich besser zu organisieren und wirtschaftlicher zu arbeiten. Außerdem bleiben die Menschen heute kürzer im Krankenhaus. Anhaltspunkte für negative Auswirkungen zeige die Begleitforschung bisher nicht.

Sollte die neue Verordnung beibehalten werden, wären davon neun psychiatrische Krankenhäusern des LVR betroffen. Sie behandeln 60 000 Menschen im Jahr, 5000 von ihnen in der Süchtelner Klinik. Die Verordnung erstreckt sich dabei nicht auf die Menschen in Sicherheitsverwahrung, sondern auf die übrigen Patienten. Diese bleiben im Schnitt 25 Tage in der Klinik. Am häufigsten leiden sie an Depressionen, Schizophrenie und Suchterkrankungen.

2013 und 2014 können die Kliniken entscheiden, ob sie die Verordnung umsetzen oder nicht. "Der LVR wird sich nicht beteiligen", sagt ein LVR-Sprecher. 2015 müssen alle Kliniken nach dem neuen System abrechnen.

Im Krankenhausausschuss 3 hat der stellvertretende Ausschussvorsitzende Fritz Meies (CDU) nun den Landschaftsverband aufgefordert, mehr zu tun, als eine Resolution zu verabschieden. "Ich weiß aus meiner langjährigen politischen Erfahrung: Resolutionen werden meist einfach abgeheftet." Tatsächlich ändern würden sie oft nichts.

(RP)
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