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Patienten in Kliniken müssen Datenlücken fürchten

War diese OP wirklich notwenig? Krankenkassen hinterfragen viele Abrechnungen der Kliniken War diese OP wirklich notwenig? Krankenkassen hinterfragen viele Abrechnungen der Kliniken
War diese OP wirklich notwenig? Krankenkassen hinterfragen viele Abrechnungen der Kliniken
Quelle: Getty Images/ABSODELS RF
Die Klinikkette Helios beklagt sich darüber, dass die Krankenkassen bei Unstimmigkeiten die Herausgabe intimer Patientendaten fordern. Jetzt stellt sich der Betreiber quer und muss dafür büßen.

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Der Umgang mit persönlichen Daten ist gerade aus Sicht von Patienten eine heikle Angelegenheit: Wer sich in die Hände von Ärzten begibt, vertraut darauf, dass die sensiblen Informationen zur eigenen Gesundheit vertraulich behandelt werden.

Das gilt besonders bei Krankenhausaufenthalten, wo aufgrund meist komplexer Behandlungen in der Regel mehr Daten erhoben werden als während der regulären medizinischen Versorgung in Arztpraxen.

Ausgerechnet bei Krankenhäusern ist ein umfassender Datenschutz jedoch aus Sicht der Betreiber nicht immer gewährleistet. Wie die Helios-Kliniken in Nordrhein-Westfalen monieren, führt die Abrechnungspraxis verschiedener Krankenkassen in NRW dazu, dass die Krankenhäuser gezwungen werden, in so genannten Fallbesprechungen Patientendaten an Kassenmitarbeiter herauszugeben – was aus Sicht der Kliniken klar gegen die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Datenschutzbestimmungen verstößt.

Kritik vom Datenschutzbeauftragten Schaar

Nachdem bilaterale Fallbesprechungen zwischen Kassen und Kliniken über Jahre hinweg Usus gewesen seien, habe die Politik bei Unstimmigkeiten über Abrechnungen bewusst den mit unabhängigen Ärzten besetzten Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK) als schlichtende Institution vorgesehen, sagte Manuel Berger, bei Helios Regionalgeschäftsführer der Region West, der „Welt“.

„Dass diverse Kassen trotzdem nach wie vor auf Fallbesprechungen bestehen, verletzt den Datenschutz unserer Patienten. Das besagt auch ein Urteil des Bundessozialgerichts vom Mai 2012.“

Auch dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Peter Schaar, ist dieser Vorgang bereits zu Ohren gekommen – nicht nur aus NRW, auch aus anderen Bundesländern hätten ihn bereits Berichte über derlei Treffen zwischen Krankenhausärzten und Kassenmitarbeitern erreicht, heißt es bei der Behörde in Bonn.

„Das ist problematisch, weil hier ein Austausch über individuelle Gesundheitsdaten stattfindet, der gesetzlich nicht vorgesehen ist“, kritisiert Schaar. Dieses Vorgehen seitens der Kassen sei nicht durch das Sozialgesetzbuch gedeckt, sagt er und verweist ebenfalls auf den MDK, dessen ärztliche Gutachter an die Schweigepflicht gebunden sind und der im Falle medizinischer Streitfragen zuständig sei.

Helios wird von den Kassen abgestraft

Während allem voran kleinere, finanziell angeschlagene Kliniken in der Praxis eher dazu tendieren, sich den Forderungen der Kassen nach Fallbesprechungen zu beugen, einfach um ihre Rechnungen bezahlt zu bekommen, will sich die größte deutsche Klinikkette Helios dies nicht mehr gefallen lassen:

Bereits seit Herbst vergangenen Jahres habe man die Fallbesprechungen abgelehnt, berichtet Helios-Manager Berger, und man werde diese auch bis auf Weiteres nicht durchführen.

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Diese Protesthaltung hat allerdings ihren Preis. Seit dem seien die Kassen nun vermehrt dazu übergegangen, die beanstandeten Rechnungen einfach willkürlich zu kürzen.

Berger zufolge haben sich die Außenstände der Kliniken in seinem Verantwortungsbereich im Zuge dessen binnen weniger Monate verdreifacht und liegen nun bereits bei 30 Millionen Euro statt bei zehn Millionen Euro, wie es vorher im Schnitt der Fall war.

Barmer, AOK & Co. sind sich keiner Schuld bewusst

Auf Kassenseite ist man sich bezüglich der Fallbesprechungen keiner Schuld bewusst: Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot seien Kassen verpflichtet, die ordnungsgemäße Abrechnung von Krankenhausleistungen sorgfältig zu prüfen, heißt es etwa bei der Barmer GEK.

Um bürokratischen Aufwand zu vermeiden, versuche man, strittige Fragen in bilateralen Gesprächen mit den Kliniken im Vorfeld zu klären und erst im letzten Schritt den MDK einzuschalten. Dies schone Ressourcen und sei juristisch zulässig – auch vor dem Hintergrund mehrerer Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu den Informationspflichten der Leistungserbringer gegenüber Krankenkassen.

Ökonomisch betrachtet zahlt sich der Klärungsweg über Fallbesprechungen für die Kassen tatsächlich gleich doppelt aus. Zum einen können sie in ihren Augen unnötige Kosten vermeiden. Außerdem sparen sie durch das Weglassen des MDK viel Geld. Denn der finanzielle Mehraufwand für das geforderte Plus an Informationen müsste von den Kassen getragen werden.

Auch bei der AOK Rheinland/Hamburg verweist man auf die Berechtigung von Kassenmitarbeitern, Erläuterungen vom Krankenhaus anzufordern, wenn die Abrechnung einer stationären Krankenhausbehandlung unplausibel erscheint. Die Fragen würden je nachdem mit Telefonaten, Anschreiben oder persönlichen Gesprächen beantwortet und alle gesetzlichen Bestimmungen eingehalten.

Die Kassen bleiben stur

Entsprechend groß ist das Unverständnis für die Warte der Kliniken: „Sicherlich wünschen sich einige Beteiligte, dass Rechnungen ohne Prüfung beglichen werden. Dieser Wunsch wird sich aber nicht erfüllen", sagte Günter Wältermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, der „Welt“. Die DAK in Nordrhein-Westfalen indes wollte auch mit Verweis auf anhängige Verfahren keinen Kommentar abgeben.

Um grundsätzlich Klärung zu schaffen, hat Helios nun das Bundesversicherungsamt (BVA) sowie das NRW-Gesundheitsministerium angeschrieben und um Unterstützung gebeten. Beim BVA heißt es, man wolle die betreffenden Kassen um Stellungnahme bitten. Im Gesundheitsministerium jedoch wollte man sich am Freitag nicht zu den Vorgängen äußern.

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