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Interview mit Bremer Gesundheitssenator Schulte-Sasse: "Es regiert das Gießkannenprinzip"

Bremen. Bremen schließt sich einer Bundesratsinitiative an, damit eine Reform der Krankenhausfinanzierung auf den Weg gebracht wird. Wigbert Gerling sprach darüber mit dem parteilosen Gesundheitssenator Schulte-Sasse.
27.04.2013, 05:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Schulte-Sasse:
Von Wigbert Gerling

Bremen. Das Bundesland Bremen schließt sich der Bundesratsinitiative von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen an, damit eine Reform der Krankenhausfinanzierung auf den Weg gebracht wird. Für den Senat ist Gesundheitssenator Hermann Schulte-Sasse in Berlin. Er wird in der Länderkammer ans Rednerpult gehen, um für eine bessere finanzielle Grundlage der Kliniken zu werben. Wigbert Gerling sprach mit dem parteilosen Bremer Ressortchef Schulte-Sasse.

Im Bundesrat werden die bundesweiten Finanzprobleme von Kliniken benannt, aber nicht nur. Ungewöhnlich deutlich wird angesprochen, dass Krankenhäuser der Versuchung erliegen könnten, auch ohne hinreichende medizinische Begründung zu operieren. Welches Anliegen steht für Sie im Vordergrund, wenn Sie Bremen in der Länderkammer vertreten?Hermann Schulte-Sasse:

Das Finanzielle, aber eben auch deshalb, weil es von den medizinischen Problemen gar nicht zu trennen ist.

Kann man diese Verzahnung in Kurzform beschreiben?

Im Kern geht es darum, dass die Krankenhäuser in Deutschland unter einer unzureichenden Finanzierung leiden. Auf der Kostenseite schlagen die Tarifabschlüsse mit Gehaltserhöhungen sowie die steigenden Energiekosten mit voller Wucht durch. Auf der Erlösseite hingegen haben Krankenhäuser keine Möglichkeit, darauf zu reagieren, wie es beispielsweise die Bahn mit teureren Fahrkarten kann. Die Kliniken kommen aus dieser Kosten-Erlös-Schere im heutigen Finanzierungssystem nicht heraus.

Wie kommen die kritischen Zwischentöne zur ärztlichen Versorgung in den aktuellen Bundesratsantrag?

Wenn Krankenhäuser immer weniger in der Lage sind, ihre Betriebskosten mit den Erlösen zu decken, dann hat das nicht nur Konsequenzen für das wirtschaftliche Ergebnis, sondern kann sich auch auf die medizinische Klinikstrategie auswirken. Dann könnten Krankenhäuser geneigt sein, die Zahl der zu behandelnden Patienten zu erhöhen, um mit unverändertem Personalaufwand so für höhere Erlöse zu sorgen.

In der Debatte wimmelt es von Begriffen wie "DRG" und "Landesbasisfallwerten". Erstens: Was sind das für Vorgaben, zweitens, welche Stellschrauben haben sie bei der geforderten Reform vor Augen?

Hinter den DRGs, den Diagnosis Related Groups, also diagnosebezogenen Gruppen, steht ein Punktesystem, nach dem die Behandlungen in Abhängigkeit von ihrem jeweiligen Aufwand eingruppiert sind – für eine Blinddarmoperation gibt es weniger Punkte, für eine Magenoperation mehr. Der Preis für die medizinische Leistung entsteht, wenn diese Punktzahl mit dem Landesbasisfallwert multipliziert wird. Während das Punktesystem in der Republik einheitlich ist, wird der Landesbasisfallwert zwischen den Kassen und den Kliniken auf Landesebene verhandelt. Das Problem ist nun, dass die Bundespolitik für diese Verhandlungen enge Grenzen setzt und den Kliniken Teile der verhandelten Erlöse wieder entzieht. Das Ergebnis davon ist die Kosten-Erlös-Schere.

Wie soll auf Bundesebene was geändert werden?

Ziel ist es, dass die Kliniken aus den unverschuldeten Schwierigkeiten mit steigenden Kosten und den nicht dazu passenden Erlösen herauskommen. Kassen und Krankenhäuser müssen mehr Spielraum bei der Festlegung der Landesbasisfallwerte bekommen. Wir wollen keine ungesteuerte Entwicklung, aber es muss gesichert werden, dass die Kliniken über die Runden kommen und es eben nicht den Anreiz gibt, bei gleichem Personal mehr Behandlungen zu erzeugen, auch wenn diese gegebenenfalls verzichtbar sind.

Derzeit wird vorbereitet, dass die Bundesregierung eine knappe Milliarde als Klinik-Soforthilfe bereitstellt. Läuft da nicht der Bundesrats-Vorstoß ins Leere?

Ganz und gar nicht. Unbestritten ist die Belastung für die Krankenhäuser bundesweit ein Problem – Tendenz steigend. Die Bundesregierung will offenbar Druck herausnehmen, wenn sie nun mit Blick auf die Bundestagswahl im September eine Unterstützung von etwa einer Milliarde Euro ankündigt. Das wird den unterschiedlichen Problemen der Häuser – ob auf dem platten Land, ob große Einrichtungen auf Universitätsniveau und mit Maximalversorgung – überhaupt nicht gerecht. Da regiert das pure Gießkannenprinzip .

Wer soll wie viel aus Berlin bekommen? Und was geht an Bremen?

Das ist noch unklar. Die Hauptkritik richtet sich dagegen, dass eine solche Einmal-Hilfe des Bundes keinen nachhaltigen Effekt auf das Finanzierungssystem der Krankenhäuser hat. Genau das aber ist unsere Zielsetzung. Eine Schenkung vor der Bundestagswahl lindert die Sorgen in diesem Jahr, ändert aber nichts an den strukturell bedingten Problemen. Es muss etwas geändert werden, damit wir die Zukunft der Kliniken sichern. Wir wollen eine Regeländerung. Das Punktesystem hat sich bewährt, Stellschrauben sind der Landesbasisfallwert und die nachträglichen Abzüge von den Erlösen der Kliniken.

Eine rein bremische Frage: SPD-Fraktionschef Björn Tschöpe setzt sich für eine Reform der vier städtischen Kliniken ein und schlägt vor, dass sie den Status als gemeinnützige GmbHs aufgeben und zu einer Einheitsgesellschaft umgeformt werden. Stößt das bei Ihnen auf positive Resonanz?

Es gibt auf jeden Fall kein Tabu. Wir müssen genau analysieren, was die Dachgesellschaft Gesundheit Nord bislang behindert hat und was uns bei der Umsetzung des Zukunftsplans 2017 helfen würde. Wenn die Antwort hierauf am Ende unter anderem auch Einheitsbetrieb heißt, dann sind wir als Politiker schon gegenüber dem Bürger und den Beschäftigten verpflichtet auch vor diesem Weg nicht zurückzuschrecken.

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