Fallpauschalen
Hebammen haben Hochbetrieb, weil Mütter früher aus Spital müssen

Mütter werden mit ihren Babys heute schon am zweiten oder dritten Tag nach der Geburt aus dem Spital entlassen. Das beschert frei praktizierenden Hebammen viel Arbeit. Zwei Drittel der Wöchnerinnen nehmen die Betreuung von Hebammen heute in Anspruch.

Karen Schärer
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Medizinische Nachbetreuung und Unterstützung für Mutter und Kind: Hebamme beim Hausbesuch. Key

Medizinische Nachbetreuung und Unterstützung für Mutter und Kind: Hebamme beim Hausbesuch. Key

In den 1990er-Jahren lagen Mütter nach der Geburt eine volle Woche im Spital. Noch 2010 durften sie rund fünf Tage in der Klinik bleiben. Seit Einführung der Fallkostenpauschalen 2012 ist dies anders: Viele Spitäler entlassen Mütter bereits zwei bis drei Tage nach der Geburt. Konnten Kliniken früher Aufenthaltstage verrechnen, werden Geburten mit dem neuen Abrechnungssystem SwissDRG pauschal vergütet.

Wie Elisabeth Kurth, Dozentin am Institut für Hebammen an der Zürcher Hochschule ZHAW, berichtet, führen neuerdings etwa in der Region Basel häufig Hebammen den sogenannten Guthrie-Test zu Hause durch. Die Blutabnahme für den Stoffwechseltest kann frühestens 72 Stunden nach der Geburt erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Säuglinge früher in der Regel noch im Spital.

Bett nach drei Nächten freigeben

Lucia Mikeler Knaack, die als Beleghebamme am Bethesda-Spital in Basel tätig ist, stellt fest: «Gibt es keine medizinische Indikation, die einen längeren Aufenthalt rechtfertigen würde, gibt es klare Empfehlungen. Nach spätestens drei Nächten sollte das Bett wieder frei werden.» Dabei wird nicht erst ab dem Zeitpunkt der Geburt, sondern ab Spitaleintritt gerechnet.

Auch in der Region Zürich kehren Mütter mit ihren Babys rascher nach Hause zurück: «Wir haben die Wöchnerinnen rund einen Tag früher zu Hause zum Betreuen als in den Vorjahren», sagt Petra Graf Heule, Präsidentin des Vereins Hebammenzentrale Zürich. Bei einer solch frühen Entlassung bräuchten die Frauen zu Hause eine gute Betreuung, sagt Clara Bucher, Leiterin Pflegedienst an der Frauenklinik des Universitätsspitals Zürich. «Dazu gehört eine Hebamme, die täglich vorbeikommt.» Die Grundversicherung vergütet Hebammenbesuche bis zehn Tage nach der Geburt.

Kein Hebammenmangel

Erhebungen des Schweizerischen Hebammenverbands zeigen, dass die Nachfrage nach Hebammen für die nachgeburtliche Betreuung stark angestiegen ist. 2005 nahmen erst 40 Prozent der Wöchnerinnen Hebammen-Hilfe in Anspruch. 2010 waren es rund 58 Prozent, 2011 schon 64 Prozent. Die Zahlen fürs Jahr 2012 sind noch nicht verfügbar. Aber: Mit der Einführung der Fallpauschalen und der weiteren Verkürzung der Aufenthaltsdauer im Spital dürfte die Nachfrage nochmals angestiegen sein. Elisabeth Kurth von der ZHAW schätzt, dass aktuell rund 70 Prozent der Mütter zu Hause Besuch von einer Hebamme erhalten.

Vor Einführung der Fallpauschalen warnte der Hebammenverband vor einem Hebammenmangel. Doch die allermeisten Wöchnerinnen, die eine Hebamme brauchen, finden nach wie vor eine. Engpässe gibt es an Feiertagen oder wenn die Hebamme erst vom Spital aus kontaktiert wird. Dass die Befürchtungen der Hebammen sich nicht erfüllt haben, hat verschiedene Gründe. Hebammen organisieren sich vermehrt in Netzwerken: «Seit Einführung der Fallpauschalen haben sich die Hebammen im Raum Aargau-Solothurn besser vernetzt», sagt die im Raum Lenzburg frei praktizierende Hebamme Tanja Fögele. Elisabeth Kurth hebt hervor, dass Hebammen eine hohe Einsatzbereitschaft zeigen, um allen Bevölkerungsschichten nach der Geburt eine gute Grundversorgung bieten zu können.

Zudem bieten immer mehr Hebammen Wochenbettbetreuung an, wenngleich das Angebot nicht gleich rasch wächst wie die Nachfrage. «Heute sind viele Hebammen nur teilweise freischaffend; sie behalten ein besser entlöhntes Teilpensum in einer Praxis oder einem Spital. Denn bei frei praktizierenden Hebammen wurde der Lohn seit 20 Jahren nicht mehr angepasst», sagt Kurth. «Um einen Betreuungsengpass ganz zu vermeiden, bräuchte es eine existenzsichernde Entlöhnung der frei praktizierenden Hebammen.»