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Fehlurteile zum Weaning und zur HFNC-Versorgung führen zu Unverständnis und dreistelligem Millionenschaden für deutsche Kliniken! mydrg.de





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Fehlurteile zum Weaning und zur HFNC-Versorgung führen zu Unverständnis und dreistelligem Millionenschaden für deutsche Kliniken!

Fehlurteile zum Weaning und zur HFNC-Versorgung führen zu Unverständnis und dreistelligem Millionenschaden für deutsche Kliniken! - Lernendes System habe nicht nur nichts gelernt, sondern versagt (Kaysers Consilium, PDF, 183 kB).



Übersetzungsfehler und fehlendes medizinisches Wissen resultieren in massiven Erlösverlusten für Intensiv- und Beatmungsstationen; nicht nachvollziehbare Interpretationsversuche er Sozialrichter von Gewöhnungsphasen lassen Ärzte verzweifeln;
die Selbstverwaltung sieht untätig zu, wie komplette medizinische Versorgungsbereiche
und –konzepte an den Rand des Ruins gedrängt werden.
Kommentare zur Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (L 11 KR717/18
ZVW) in Verbindung mit dem BSG-Urteil B 1 KR 18/17 R/ BSG B1 KR 13/18R
Die sperrigen Begründungen der aktuellen Sozialgerichts-Urteile im Zusammenhang
mit dem komplexen Thema der Beatmung lassen sich im Prinzip zu einem recht einfachen
„Problem“ zusammenfassen: Das Bundessozialgericht und die dem BSG in
seiner Auslegung folgenden Sozialgerichte unterliegen einem begrifflichen Missverständnis,
wenn sie „Entwöhnung“ (und der daraus entstehenden Forderung nach einer
vorherigen „Gewöhnung“) und „Weaning“ trennen.
Zur Aufklärung des Sachverhaltes reichen drei Dinge:
1. der prüfende Blick ins Wörterbuch - alternativ auch Google Translate,
2. die kritische Auseinandersetzung mit dem Entstehungsprozess und Fortschreibung
der Deutschen Kodierrichtlinien,
3. die ergänzende Heranziehung der ursprünglichen Australian Codings Standards.
Der Blick ins Wörterbuch
Man traut es sich ja kaum zu schreiben, aber was soll mit „Weaning“ bitte anderes
gemeint sein als eine „Entwöhnung“? Dazu muss man weder Beatmungsmediziner
noch Sozialrichter sein. Es reicht der einfache Blick ins Wörterbuch oder ins Internet:
Screenshot aus: Google Translate (Zugriff am 07.08.2019)
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Weaning ist also Entwöhnung und genau das ist nach unserer Auffassung auch mit
und in den Deutschen Kodierrichtlinien zur Beatmung so gemeint.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der Entwicklung der DKR 2003 bis 2019 zeigt:
Die Deutschen Kodierrichtlinien wurden durch die Selbstverwaltung in Anlehnung an
die bestehenden australischen Kodierregeln (ICD-10-AM, Australian Coding Standards,
1st Edition) entwickelt.
Die erste Version des Jahres 2003 stellt daher im Wesentlichen eine Übersetzung der
englischsprachigen Vorlage und Anpassung an die Verwendung der ICD-10-SGB-V,
Version 2.0 und des OPS-301 dar.
Die Regelungen zur Beatmung finden sich in der DKR 1001 - Maschinelle Beatmung,
in der die Beatmung definiert und Hinweise zur Berechnung einschließlich Festlegung
von Beginn und Ende der Beatmungszeit getroffen werden.
Der Vergleich der Versionen 2003 zu dem Stand 2019 offenbart, dass diese Kodierrichtlinie
wie in Stein gemeißelt erscheint:
1. Die Definition der Beatmung wird seit 2003 unverändert fortgeschrieben:
„Maschinelle Beatmung („künstliche Beatmung”) ist ein Vorgang, bei dem Gase
mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. : Bei
intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung
auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese an Stelle der bisher üblichen
Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden.“
Nicht vergessen werden sollte der Hinweis, dass die australischen Coding Standards
selbstverständlich längst an die Weiterentwicklung der Beatmungsmethoden angepasst
wurden.
Mit anderen Worten taucht z.B. Nasal High Flow Cannula bzw. High Flow Therapy
längst als eigener Punkt in der Auflistung nicht invasiver Beatmungsmethoden auf. Seit
2011 wird die High Flow Therapy daher der CPAP-Beatmung gleichgestellt (siehe
NCCC - National Casemix and Classification Centre December 2011 Coding Question
and Answers). Zu diesem wichtigen Punkt kommen wir später noch einmal!
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2. Bei der Berechnung der Dauer gab es in den letzten 15 Jahren in den Deutschen
Kodierrichtlinien nur eine redaktionelle Kürzung; ansonsten ist der Text
seit 2003 unverändert: „:Die Berechnung der Dauer beginnt : mit der Intubation;
die Intubation ist in diesem Fall zu kodieren, obwohl sie zur Operation
durchgeführt wurde.
Eine Beatmung, die nicht zum Zweck einer Operation begonnen wurde, z.B. in
der Intensivbehandlung nach einer Kopfverletzung oder einer Verbrennung
zählt unabhängig von der Dauer immer zur Gesamtbeatmungszeit. Werden bereits
beatmete Patienten operiert, so zählt die Operationszeit zur Gesamtbeatmungszeit.
Bei einer/mehreren Beatmungsperiode(n) während eines Krankenhausaufenthaltes
ist zunächst die Gesamtbeatmungszeit gemäß obigen Regeln
zu ermitteln, die Summe ist zur nächsten ganzen Stunde aufzurunden.“
Es „fehlt“ nur der Hinweis auf die Verwendung des OPS 8-718, inhaltlich bleibt
es vollständig gleich.
3. Der Beginn der Behandlung wird ebenfalls genauso definiert wie 2003:
a. „Endotracheale Intubation: Für Patienten, die zur künstlichen Beatmung
intubiert werden, beginnt die Berechnung der Dauer mit dem Anschluss
an die Beatmungsgeräte. :
b. Maskenbeatmung: Die Berechnung der Dauer der künstlichen Beatmung
beginnt zu dem Zeitpunkt, an dem die maschinelle Beatmung einsetzt.
c. Tracheotomie (mit anschließendem Beginn der künstlichen Beatmung).
Die Berechnung der Dauer der künstlichen Beatmung beginnt zu dem
Zeitpunkt, an dem die maschinelle Beatmung einsetzt.
d. Aufnahme eines beatmeten Patienten: Für jene Patienten, die maschinell
beatmet aufgenommen werden, beginnt die Berechnung der Dauer
mit dem Zeitpunkt der Aufnahme :
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4. Bei der Festlegung der Beendigung der Beatmung wurde nur ein zusätzlicher,
erläuternder Satz eingefügt:
„Die Berechnung der Dauer der Beatmung endet mit einem der folgenden Ereignisse:
a. Extubation
b. Beendigung der Beatmung nach einer Periode der Entwöhnung. :
c. Entlassung, Tod oder Verlegung eines Patienten, :
Ergänzt wurde: Die Dauer der Entwöhnung wird insgesamt (inklusive beatmungsfreier
Intervalle während der jeweiligen Entwöhnung) bei der Berechnung
der Beatmungsdauer eines Patienten hinzugezählt. :“
Wenn man jetzt noch zum Äußersten schreitet und sich die englischsprachige Originalfassung
der Australian Coding Standards (ACS) einmal anschaut, wird es endgültig
skurril: In der ACS 1006 Ventilatory Support wird das Ende der Beatmung präzise
definiert als: „Termination of ventilation after a period of weaning“.
Australian Coding Standard ACS 1006 Deutsche Kodierregel DKR 1001 (Versionen
2003 bis 2019)
Termination of ventilation after a period
of weaning.
Beendigung der Beatmung nach einer
Periode der Entwöhnung.
Es ist überflüssig zu erwähnen, dass es in den ACS keine Betrachtungen zum Thema
„Gewöhnung an die Beatmung“ gibt.
Wie jetzt das BSG zu der Einschätzung kommt „Schon begrifflich setze eine Entwöhnung
eine zuvor erfolgte Gewöhnung an die maschinelle Beatmung voraus“,
ist daher schon begrifflich (Achtung: Ironie!) nicht nachvollziehbar.
Der bestellte Sachverständige hat wohl auch sein Bestes getan, da ja in der Beatmungsmedizin
der Begriff der Gewöhnung und damit eine Definition ebenso wenig
existiert wie eine Methode, diesen Zustand zu ermitteln.
Darauf wurde im Gutachten des Medizinischen Sachverständigen auch hingewiesen.
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Allerdings hat das Gericht wohl nicht danach gefragt, ob mit dem Begriff „Entwöhnung“
in den Deutschen Kodierregeln nicht schlicht und ergreifend „Weaning“ gemeint sein
könnte. Dies sind aber auch durchaus Hinweise, die von anderer Seite hätten kommen
können oder müssen. Auch muss man die Frage stellen, warum die australischen,
aber nicht die Deutschen Kodierrichtlinien an die Entwicklung der Beatmungsmedizin
angepasst wurden.
Somit muss man zusammenfassend festhalten, dass die Vorstellung der Sozialrichter,
der Begriff der Entwöhnung nach den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) 1001h sei
enger zu verstehen als der in der medizinischen Fachsprache vorkommende Begriff
des „Weaning“ (Entwöhnung vom Respirator), schlicht und ergreifend eine Fehlinterpretation
ist.
Besorgniserregend sind die jetzt schon kursierenden Interpretationen und „Hilfestellungen“,
wie man „Gewöhnung“ von „Weaning“ abgrenzen kann und wann
was zu zählen ist. Diese Diskussionen sind nicht zielführend und werden es niemals
werden!
Auf den Intensivstationen wird nicht mehr wie 2003 beatmet, dann können wir
auch nicht mehr wie 2003 kodieren.
Die Selbstverwaltung bzw. deren zuständigen Mitarbeiter/-innen zur Erstellung und
Anpassung der Deutschen Kodierrichtlinien haben es trotz aller Hinweise von Anwenderseite
versäumt, die Kodierrichtlinien weiter zu entwickeln bzw. anzupassen.
Hier hat das Lernende System nicht nur nichts gelernt, sondern versagt! Man hat gehofft,
das Problem löse sich von alleine und es der Rechtsprechung überlassen. Nach
mehrmaligem Hin- und Herwerfen der heißen Kartoffel existiert nun ein Urteil, mit dem
keiner etwas anfangen kann, da es schlichtweg medizinische Sachverhalte verlangt,
die es nicht gibt und somit auch nicht nachvollzogen werden können – auch nicht vom
MDK.
Was ist jetzt zu tun: Der Sachverhalt muss von übergeordneter Stelle möglichst rückwirkend
geklärt werden. Dies könnte z.B. durch eine Anpassung der DKR oder eine
Protokollnotiz zur DKR geschehen (analog Corrigenda des DIMDI zum Umgang mit
der geriatrischen Komplexbehandlung oder den Transportzeiten beim Schlaganfall).
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HFNC-Nasenkanülen: Dauer der Anwendung zählt nicht als Beatmungszeit
Eine vergleichbare betriebswirtschaftliche Katastrophe findet sich in der „Beatmungstherapie“
der Neonatologie. Hier ist zwar die Argumentation der Sozialgerichte bzgl.
der Auslegung der Speziellen Kodierrichtlinien sprachlich und inhaltlich nachvollziehbar
– aber nicht medizinisch.
Der Aufwand im Rahmen der personellen Betreuung dieser HFNC-versorgten Neugeborenen
ist mindestens genau so groß wie die Versorgung der intubierten bzw. CPAPversorgten
Kinder.
Jedem klinisch Tätigen ist bewusst, dass sich insbesondere in der Intensivtherapie der
Früh- und Neugeborenen in den letzten 16 Jahren seit Einführung der Kodierrichtlinien
weltweit - und somit auch in Deutschland - eine Menge geändert hat.
Die HFNC-Versorgung ist tatsächlich keine Beatmung im Sinne der Kodierrichtlinien;
sie ist auch keine CPAP-Therapie – wenngleich sie von manchen Krankenhäusern so
kodiert und abgerechnet wurde.
Bis 2018 bestand theoretisch und praktisch die Möglichkeit durch die unterschiedliche
sozialgerichtliche Interpretation der OPS-Hinweise und der Kodierrichtlinien zumindest
teilweise diese Zeiten zu berechnen.
Seit der Klarstellung der OPS-Kodierung zum 01. Januar 2019 fällt diese Möglichkeit
weg; seit der Verkündung des Bundessozialgerichtes am 30. Juli 2019 fehlt jegliche
formale Begründung zur Anerkennung der HFNC-Therapie als Beatmungszeit.
Aber mit welchen Folgen bzw. Konsequenzen für die Neonatologie?
Wie wurden denn bislang die Neugeborenen-DRGs vom InEK berechnet? Welche Beatmungsparameter
sind dort eingeflossen? Wurde überprüft, ob nicht Äpfel mit Birnen
verglichen werden? Wie hoch ist der Aufwand der HFNC-Versorgung im Vergleich zur
CPAP-Versorgung? Wie soll denn die Pflegekostenausgliederung in solchen personalintensiven
Bereichen gelingen, wenn schon die Datengrundlagen nicht valide sind?
Diese und andere Fragen können zum heutigen Tage nach unserer Auffassung von
niemandem beantwortet werden, da sich bislang keiner darum gekümmert hat!
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Zusammenfassung:
Diese an dieser Stelle nur in Auszügen dargestellte Problematik der Berechnung von
Beatmungs- und Entwöhnungszeiten stellt sich seit Anbeginn der DRG-Abrechnung
im Jahr 2003; die HFNC-Zeiten-Berechnung in der Neonatologie seit ca. 2008.
Von den Praktikern wurden die o. a. Mängel der Kodierrichtlinien frühzeitig benannt;
Abrechnungsstreitereien zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern waren die
Folge. Nach unserer Auffassung hätte im Rahmen der jährlichen „Entwicklung und Anpassung“
der Deutschen Kodierrichtlinien diese Thematik schon lange von der Selbstverwaltung
gelöst werden können und müssen.
Eigentlich müssen sich die Kodier-, Abrechnungs- und Regelwerke an den aktuellen
medizinischen Standard anpassen - nicht umgekehrt.
Stattdessen wartete man ab und ließ diese Fragestellungen von Sozialrichtern prüfen,
die sich in ihrer Entscheidungsfindung auf medizinische Gutachter/-innen verlassen
müssen. Diese vom Gericht berufenen Gutachter/-innen haben in der Konsequenz
also einen höheren Stellenwert als die Mitglieder der Arbeitsgruppe Klassifikation der
Selbstverwaltung, die sich bislang aus den unterschiedlichsten Gründen gegenseitig
blockiert haben.
Somit werden – ungewollt - wenige Menschen (Sozialrichter und deren Gutachter/-
innen) zu den verantwortlichen Personen gemacht, die über Hunderte von Millionen
Euro zu entscheiden haben (s. Pressemitteilung DKG vom 02. August 2019).
Verschärft wird dieses Thema aktuell durch die gesetzliche Initiative zur Verbesserung
der Rahmenbedingung der Beatmungsentwöhnung („Reha- und Intensivpflege-
Stärkungsgesetz“).
Wie sollen denn dessen Ziele erreicht werden, wenn durch die beschriebene, nicht
nachvollziehbare Definition des Weanings durch Sozialrichter kein Mensch mehr weiß,
was in welchem Umfang von den Krankenkassen dem Krankenhaus überhaupt noch
bezahlt wird. Es reden aktuell wieder Politiker, Mediziner, Krankenkassen und Krankenhausgesellschaften
von angeblich falschen und richtigen Anreizen in der Versorgung
von zu beatmenden und zu entwöhnenden Patienten, ohne überhaupt die wichtigsten
Hausaufgaben vorab erledigt zu haben: Wie wird diese Leistung definiert, dokumentiert
und finanziert?
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Ist es gewollt, dass auch in der Zukunft Kliniken mit dem MDK streiten, welche Stunden
an welchem Tag zu welchem Anteil noch gezählt werden dürfen? Oder ist es nicht
einfacher, durch klare, medizinisch nachvollziehbare und mit Beispielen aus der Praxis
belegten Fällen die Addition der Beatmungsstunden in den deutschen Kodierrichtlinien
zu veranschaulichen?
Ist es allen Beteiligten bewusst? Oder will keiner die Verantwortung dafür übernehmen,
etwas zu definieren, was ggf. zu Mindererlösen bei Krankenkassen oder Krankenhäusern
führt?
Welche Auswirkungen hat denn diese Umverteilung von Geld auf die ganzen Berechnungen
des InEk, wenn es aktuell um die Pflegekostenausgliederung geht? Krankenhäuser
können ohne die Anerkennung bzw. Berechnung der o. a. Beatmungs- und
Entwöhnungszeiten ihre „alten“ Budgets nicht mehr erzielen. Gegebenenfalls müssen
sie aufgrund der Sozialgerichtsurteile aus den letzten Jahren noch erhebliche Summen
zurückzahlen.
Wird das berücksichtigt? Welche Auswirkungen hat es auf die einzelnen Kliniken?
Diese und viele weitere Fragen sehen wir als sehr problematisch an und würden der
Selbstverwaltung empfehlen, diese noch vor dem Jahre 2020 verbindlich zu klären.

Quelle: Kaysers Consilium, 14.08.2019

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