Tablettenintoxikation bei zugrundeliegender psyhcologischer Störung

  • Guten Tag allerseits,
    :)
    Hätte gerne Meinungen zu folgendem Problem:

    Ein 16-jähriges Mädchen wird mit [c=#ff00b6]Tablettenintoxikation[/code] vorgestellt. Die Art und Menge der Tabletten ist relevant, die Gabe von Kohle und eine Intensivmedizinische Überwachung angezeigt. In der Aufnahmesituation ist ebenfalls klar, dass hinter dem Suizidversuch auch eine ernsthafte [c=#5b00ff]psychologische Störung [/code]steckt, und dass diese im Rahmen dieses stationären Aufenthaltes geklärt/behandelt gehört, um das Wiederholungsrisiko nach Entlassung zu minimieren.

    So weit so gut.

    Das Mädchen wird über 1 Tag intensivmedzinisch überwacht und kann anschließend auf Normalstation verlegt werden. In den anschließenden 7 Tagen findet eine ausführliche psychologische Exploration mit Einbeziehung von Familie und Schule statt, es wird eine Anpassungsstörung (F43.2) diagnostiziert. Die Patientin kann nach emotionaler Stabiliserung in eine ambulante Weiterbahndlung entlassen werden.

    Ich sehe die Anpassungsstörung und die Tablettenintoxikation als konkurrierende Hauptdiagnosen, da beides für sich genommen in der Aufnahmesituation zur stationären Behandlung geführt hätte. Hätte die Patientin z.B. in suizidaler Absicht ein unschädliches Medikament genommen, so hätten wir sie trotzdem aufgenommen. Wenn beide Diagnosen als konkurrierende Hauptdiagnosen anerkannt werden, so hat sicherlich die Anpassungsstörung mehr Ressourcen verbraucht und ist als Hauptdiagnose zu wählen.

    Der MDK sah es - auch im Zweitgutachten - anders. Der Vorstellungsgrund sei schließlich die Intoxikation gewesen, ohne die das Mädchen ja gar nicht erst vorbeigekommen wäre.

    Meiner Meinung spielt die Motivation oder der Grund eines Patienten, sich vorzustellen, überhaupt keine Rolle für die Kodierung. Entscheidend ist die Einschätzung des Arztes, warum dieser Patient stationär behandelt werden muss. Und in unserem Fall hatte er - wie ausgeführt - 2 (dokumentierte) Gründe dafür.

    Was hätten Sie als Hauptdiagnose genommen?
    Und mit welcher Begründung?
    Und wie entkräften Sie ggf. das Argument der konkurrierenden Hauptdiagnosen?

    Ist bestimmt nicht der erste derartige Fall, aber wir erwägen schon, unsere Kodierung auf dem Rechtsweg überprüfen zu lassen (und ds wäre dann vielleicht schon eine Premiere...)

    Freue mich auf Ihre Beiträge

    Christian Voll

    [center]C. Voll[/center]

    [center]Kinderarzt, Neonatologe, Medizincontrolling
    Kinderklinik Dritter Orden, Passau[/center]

  • Tag Herr Voll,

    welcome...

    Ihre Formulierung

    Zitat

    Ein 16-jähriges Mädchen wird mit Tablettenintoxikation vorgestellt.

    deutet zunächst auf einen recht eindeutigen Sachverhalt hin. Sie schreiben allerdings:

    Zitat

    wird vorgestellt

    weiter unten aber

    Zitat

    sich vorzustellen

    um Ihre Argumentation auf der Motivation der Patientin aufzubauen.

    Der Grund für die stationäre Vorstellung war auch in Ihrer Analyse aber zunächst die Intoxikation und somit nach DKR für den KH-Aufenthalt verantwortlich.

    Die Aufnahme wäre doch ohne die Akutsituation nicht oder nicht zu diesem Zeitpunkt erfolgt.

    Es gelingt m.E. nicht, die Intoxikation als Symptom eine Grunderkrankung darzustellen, dazu ist ihr Charkater zu eigenständig.

    Zahlreiche Erkrkankungen hätten schon im VOrfeld einer Exazerbation behandelt gehört, die Hauptdiagnose bleibt m.E. aber das akute Geschehen.

    Gruß

    merguet

  • Hallo Herr Voll,
    das Problem haben wir auch. Grundsätzlich stimme ich ihnen zu, das die Psyche die Ursache des Ganzen ist und mehr Ressourcen verbraucht etc. Als Krankenhaus der Grundversorgung ohne Psychatrie/Psychosomatik habe ich das schon mehrfach erfolglos diskutiert. Wenn der MDK nämlich einsieht, dass das Ganze ein psychisches Problem ist, dann möchte er gerne eine Verlegung in eine entsprechende Behandlung und/oder ambulante psychatrische Betreuung - egal ob es da Therapieplätze gibt oder nicht. Und da sich das Ganze in den Schwanz beisst, habe ich es aufgegeben und kodiere die Tabletteningestion und sage den Pädiatern, verlegt die durchgeknallten Mädels, wenns geht.
    Vermutlich ist das gewollt, Reparaturmedizin statt ganzheitliche Betrachtung....

    Viele Grüße aus Sachsen
    D.Zierold

  • Hallo Herr Merguet

    Danke für die rasche Antwort!

    aber auf was ich hinauswollte, ist:

    Der Grund oder die Motivation der [c=#ff009a]Vorstellung [/code](egal ob man sich selbst vorstellt oder vorgestellt wird) wird in den Kodierrichtlinien überhaupt nicht erwähnt und ist somit für mich in keiner Weise kodierrelevant. [c=#ff0024]Relevant ist doch der Grund, warum der Arzt den stationären Aufenthalt veranlasst.[/code]

    Ich finde es nicht zu akribisch oder akrobatisch, diese Sichtweisen auseinander zu halten. Als Extrembeispiel könnte man den Patient aufführen, der sich wegen eingewachsener Zehennägel vorstellt und dann wegen irgendeiner zufällig dabei entdeckten gravierenden Erkrankung aufgenommen wird.

    Dass die zugrundeliegende psychische Störung auch ein eigenständiger Aufnahmegrund gewesen war, hatte ich versucht darzulegen:
    Wenn dass Mädchen komplett harmlose Medikamente in suizidaler Absicht geschluckt hätte, hätten wir sie auch dabehalten. Wir haben eine anerkannte psychosomatische Einheit.
    Es war in der Aufnahmesituation klar, dass auch dieses psychische Problem eine unverzügliche akutstationäre Abklärung unabhängig von dem Management der Intoxikation erfordert. Dies haben wir auch mit dem entsprechenden hohen Personalaufwand durchgeführt.

    Ich will nicht die Intoxikation als Symptom der Anpassungsstörung darstellen (das wäre mir auch zu weit hergeholt), sondern gerade wegen ihrer Eigenständigkeit finde ich, dass man die Anpassungsstörung (ohne DRG-Brechstange) als konkurrierende Hauptdiagnose werten kann.

    Ich finde, die Begutachtungen im DRG-System laufen insgesamt ein wenig Gefahr, sich von den niedergeschriebenen Regeln in Richtung \"Bauchentscheidungen\" und \"akzeptierte Kompromisse\" zu bewegen. Das hat in einem gewissen Grad seine Berechtigung, aber ein bisschen back-to-the-roots (oder back-to-the-rules :) ) schadet auch nix.

    Und deswegen will ich ein bisschen stur sein und weiß immer noch nicht genau, was genau gegen die Anwendung der Kodierrichtlinie der konkurrierenden Hauptdiagnosen spricht.

    Grüße, Voll

    [center]C. Voll[/center]

    [center]Kinderarzt, Neonatologe, Medizincontrolling
    Kinderklinik Dritter Orden, Passau[/center]

    • Offizieller Beitrag

    Guten Morgen Hr. Voll,

    Zitat


    Original von Christian Voll:
    1) Als Extrembeispiel könnte man den Patient aufführen, der sich wegen eingewachsener Zehennägel vorstellt und dann wegen irgendeiner zufällig dabei entdeckten gravierenden Erkrankung aufgenommen wird.

    2) Dass die zugrundeliegende psychische Störung auch ein eigenständiger Aufnahmegrund gewesen war, hatte ich versucht darzulegen:
    Wenn dass Mädchen komplett harmlose Medikamente in suizidaler Absicht geschluckt hätte, hätten wir sie auch dabehalten.

    3) Es war in der Aufnahmesituation klar, dass auch dieses psychische Problem eine unverzügliche akutstationäre Abklärung unabhängig von dem Management der Intoxikation erfordert. Dies haben wir auch mit dem entsprechenden hohen Personalaufwand durchgeführt.

    4) Ich finde, die Begutachtungen im DRG-System laufen insgesamt ein wenig Gefahr, sich von den niedergeschriebenen Regeln in Richtung \"Bauchentscheidungen\" und \"akzeptierte Kompromisse\" zu bewegen.

    zu 1)
    Es geht hier gar nicht um die Frage, was die primäre Intention zur Vorstellung in der Klinik war. Schon über die DKR ist klargestellt, dass die Einweisungs- oder Aufnahmediagnose nicht der HD entsprechen muss. Deswegen ist Ihr Beispiel nicht der Kern des Problems und auch nicht auf Ihren Fall anwendbar.

    Zu 2)
    Es war aber eben nicht diese Situation. Wenn Sie Fälle haben, wo in suizidaler Absicht irgendwelche Substanzen verinnerlicht werden, ohne dass Gefahr für den Organismus resultiert, steht die psychische Komponente bei Aufnahme im Vordergrund und verursacht hauptsächlich die stationäre Aufnahme. Dann haben Sie auch keinerlei Problem bei der HD-Zuordnung.

    Zu 3)
    Das bedeutet immer noch nicht, dass hierdurch die HD-Zuordnung legitimiert wird.
    In Ihrem Fall muss zuerst die Vergiftung behandelt werden und zwar vorrangig vor der psychiatrischen Behandlung! Nehmen wir den Fall an, dass Ihre Patientin ohne medizinische Behandlung der Intoxikation versterben könnte, ist doch klar, dass dies im Vordergrund stehen muss. Dies völlig unabhängig von der Tatsache, dass auch eine stationäre Aufnahme aus psych. Gründen erfolgen würde. Auch in einem weniger dramatischen Verlauf muss erst der Körper vor Schäden bewahrt werden, bevor Sie sich um den Geist kümmern können.
    Somit verursacht der körperliche Schaden hauptsächlich die stationäre Aufnahme und die Frage nach konkurrierenden Diagnosen stellt sich gar nicht. Somit ist auch die Frage nach Ressourcenaufwand unerheblich.

    Anderes Beispiel: Patient synkopiert (bei Aufnahme wird angegeben, dass dies in der letzten Zeit schon 4 X passierte) und es resultiert sturzbedingt eine Commotio cerebri (oder auch kleine Kontusionsblutung). Wird überwacht, alles läuft gut ab. Eine Suche nach der Synkopenursache wird ebenfalls dann durchgeführt, allerdings ohne sichere Diagnose. Hätte man auch gemacht, wenn nicht das SHT resultiert wäre. Trotzdem ist hier die Commotio HD, weil dies bei Aufnahme vordergründig ist und zunächst auch die Behandlung bestimmt.

    Zu 4)
    Es ist nicht so sehr das Bauchgefühl, eher das Geldgefühl, was viel Streitpotential verursacht. Die DKR werden gerne in diesem Licht betrachtet, was teilweise nachvollziehbar ist, um damit Grauzonen auszuleuchten.

    Würde ich Ihren Fall begutachten, würde ich ebenfalls die Intox. als HD fordern und ehrlich gesagt mir mit dieser Meinung deutlich mehr Chancen bei einem Rechtsstreit zubilligen.

    Mit freundlichen Grüßen

    D. D. Selter

    Ärztlicher Leiter Medizincontrolling

    Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau

  • Guten Tag Herr Voll,

    Ich möchte auch noch eine Anmerkung zu Ihrer Argumentation machen:

    Zitat

    Der Grund oder die Motivation der Vorstellung (egal ob man sich selbst vorstellt oder vorgestellt wird) wird in den Kodierrichtlinien überhaupt nicht erwähnt und ist somit für mich in keiner Weise kodierrelevant. Relevant ist doch der Grund, warum der Arzt den stationären Aufenthalt veranlasst.

    Ein deutlicher Unterscheid liegt in der Art der Vorstellung:
    Patienten in dem von Ihnen geschilderten Zustandsbildern werden doch in der Regel von dritten vorgestellt.

    Entweder, weil dritte Angst vor den Folgen der Vergiftung haben, oder (meist ohne vorangegangene Vergiftung) weil sich psychisch dekompensieren.

    Die Selbstvorstellung dürfte hingegen häufiger Wegen der psychischen Alteration sein.

    In sofern birgt m.E. schon die Form der Vorstellung einen Hinweis auf das primär für die stationäre Behandlung verantwortliche Geschehen.

    Das von Ihnen geschilderte Beispiel greift hier in sofern nicht, als der Zehennagel i.d.R. nicht zur stationären Aufnhame führen dürfte, die nebenbefundlich entdeckte Errkanung aber durchaus.
    Sollte der Befund am Zeh sehr drastisch sein und eine Aufnahme rechtfertigen (Infektion Erysipel, Tierbefall), bleibt dies die HD.

    Gruß

    merguet

  • Hallo Herr Selter, hallo Forum!

    Wenn aber die Sturzursache in Ihrem „Gegenbeispiel“ keine banale Synkope sondern eine handfeste körperliche Erkrankung, z. B. ein Krampfanfall war und eine kurzfristige Überwachung auf Intensiv wegen einer Sturzfolge, vielleicht wirklich einer kleinen Kontusionsblutung, erfolgte, wäre dann Ihre HD auch die Hirnkontusion oder nicht doch die Epilepsie, die während der übrigen Behandlungstage näher abgeklärt, definitiv diagnostiziert und behandelt wurde? Habe ich nicht die Wahl, nach Analyse des gesamten Aufenthalts auch die Hauptdiagnose zu wählen, die bei Aufnahme bekannt war, aber möglicherweise nicht im Vordergrund stand (wenn sie größeren Aufwand im Behandlungsverlauf verursacht hat)?

    Aus neurologischer Sicht ist der Standpunkt von Herrn Voll durchaus nachvollziehbar, vielleicht haben da auch psychiatrische Erkrankungen einfach eine schlechte Lobby?

    Mit freundlichen Grüßen aus der rheinland-pfälzischen \"Sauna\"

    M. Hilgert

    • Offizieller Beitrag

    Guten Morgen,

    wir können uns immer Beispiele basteln, wo es schwieriger wird. Fakt ist aber, dass die im Vordergrund zur Aufnahme zur stationären Behandlung stehende Verletzung/Erkrankung als HD zu nennen ist und das dann der Ressourcenverbrauch nicht relevant ist. Im oben genannten Beispiel kann ich nicht sehen, dass die psychische Komponente im Vordergrund steht. Hauptsächlich hat der körperliche Schaden nach Intox die stationäre Aufnahme verursacht. Es wäre wahrscheinlich gar nicht schwer zu akzeptieren, wenn der Erlös hier höher wäre. Aber noch mal: Wenn sie zuerst den körperlichen Schaden behandeln müssen, weil ansonsten hier ggf. sogar der Tod resultiert, warum diskutieren wir dann noch um die Frage, was im Vordergrund steht, also, was HD ist?

    \"Ein 16-jähriges Mädchen wird mit Tablettenintoxikation vorgestellt. Die Art und Menge der Tabletten ist relevant, die Gabe von Kohle und eine Intensivmedizinische Überwachung angezeigt. In der Aufnahmesituation ist ebenfalls klar, dass hinter dem Suizidversuch auch eine ernsthafte psychologische Störung steckt, und dass diese im Rahmen dieses stationären Aufenthaltes geklärt/behandelt gehört\"

  • Guten Morgen,

    Es geht kaum eindeutiger....

    Gruß

    merguet