Wider das politische Getöse einiger Krankenkassen

  • Schönen guten Tag allerseits,

    noch ist es einige Zeit hin, bis zum Reformationstag, dem Tag, an dem Martin Luther vor fast 500 Jahren seine Thesen verfasst haben soll.

    Dann aber ist die die Bundestagswahl bereits gelaufen und aufgrund der von Prof. G. Neubauer nachgewiesenen Periodizität der Reformen die nächste Gesundheitsreform bereits in Vorbereitung.

    Die Krankenkassen stimmen bereits ihre politischen Instrumente. Es gilt - bleiben wir in religösen Metaphern - wie einst vor Jericho mit lautem Getöse um den angeblichen Erfolg und die Notwendigkeit der MDK-Prüfung und die vielen falschen Abrechnungen der Krankenhäuser die Mauer Aufwandspauschale einzureißen.

    Beispiele dafür gibt es in den MyDRG-Neuigkeiten: z. B. Zahlen für den Rechnungs-Check? Aufwandspauschale ein Unding (AOK-Bundesverband, PDF, 493 kB).

    Das Getöse zeigt erste Erfolge: Es gibt Landesministerien, die die Landeskrankenhausgesellschaften zur Stellungnahme angesichts der hohen Anzahl falscher Abrechnungen auffordern.

    Diesem politischen Getöse gilt es daher meines Erachtens, von Seiten der Krankenhäuser Thesen entgegenzusetzen, um die Argumente der Krankenkassen zu entkräften und die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Aufwandspauschale darzustellen. Wie dereinst Luther - um wieder auf das Ausgangsbild zu kommen - stelle ich meine Thesen hier öffentlich vor und bitte um rege Diskussion und Ergänzung (keine Angst, es sind (noch) keine 95)

    Wider das politische Getöse der Krankenkassen (medco-hessen.de; PDF; 1,3 MB)

    Ich wünsche noch einen schönen Tag

    • Offizieller Beitrag

    Guten Tag,
    guten Tag Herr Schaffert

    Vielen Dank für Ihren Beitrag und die sehr klaren und aussagekräftigen Folien.

    Sie zeigen eindrucksvoll, dass die Ergebnisse der „Rasterfahndungen“ unter ökonomischen Gesichtspunkten absolut nichts bringen.
    Grundkenntnisse in Mathematik und Statistik reichen aus, um die Zahlen richtig einzuordnen.

    Kommentar:

    Es wird immer wieder nicht beachtet: bei den MDK - „Parteigutachten“ handelt es sich um Werturteile, nicht um die Behauptung von Tatsachen

    Die postulierten Einsparpotenziale sind nur virtuell.
    Durch die Prüfungen wurde es bis zum heutigen Tag nicht geschafft, trennscharf die „schwarze Schafe“ zu identifizieren.

    Auch die Transaktionskosten müssen in einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung berücksichtigt werden.
    Die Personenbindung für die Massenprüfungen erfüllen den Tatbestand einer Fehlallokation und Verschwendung von volkswirtschaftlichen Ressourcen (kein Beitrag zur Wertschöpfung).

    Die „Kollateralschäden“ sind bisher noch von niemanden finanziell quantifiziert worden. Gutachter bezweifeln, lehnen ab etc. Es wurde eine „Misstrauenskultur“ aufgebaut, die Klinikärzte sind immer mehr frustriert wenn ihre Tätigkeit mit einem lapidaren Satz (Gutachten: „stat. Behandlung war nicht notwendig“) bezweifelt wird.

    Erst heute habe ich wieder ein Gerichtsurteil gelesen, dass eine eintägige stat. Behandlung für eine Arthroskopie (kein multimorbider Risikopatient) medizinisch absolut gerechtfertigt ist.

    „Prüfungs- und Kontrollwahn“ und oberflächliche Gutachten haben eine Spirale in Gang gesetzt, die allen schadet. Worüber keiner offen spricht: viele Kassen haben das erkannt und führen unter Umgehung des MDK direkte „Fallbesprechungen“ mit den Krankenhäusern durch.

    Um nicht falsch verstanden zu werden, Prüfungen müssen sein. Ein Verfahrenswechsel bzw. eine grundlegende Neuorientierung ist dringend erforderlich. Eine Eskalation der jetzigen Verfahrensweise nutzt niemanden. Andere Möglichkeiten (regelmäßige Audits) sollten diskutiert werden.

    Im Ausland wird für das hier praktizierte Verfahren der „Massenprüfungen“ der Begriff „die deutsche Krankheit“ verwendet.


    Gruß

    Eberhard Rembs

  • Hallo Herr Schaffert,

    herzlichen Dank! Sie sprechen mir aus der Seele.
    Die Wartburg haben Sie erfolgreich durchlaufen, jetzt bräuchte man nur noch den geeigneten Platz zum Anschlag Ihrer Thesen...


    MfG

    Mit freundlichen Grüßen

    Dr. med. Roland Balling

    Chirurg
    Medizincontroller
    "Ärztliches Qualitätsmanagement"
    Chirurgische Klinik, 82229 Seefeld

  • Danke Herr Schaffert - mit ihrer pdf. Präsentation sprechen sie auch mir aus der Seele!

    Der schlechte Nachgeschmack in der Grundsatzdiskussion bleibt - es geht doch nicht um Auseinandersetzung einer ordentlichen Rechnungsstellung (Check= senden sie doch am besten gleich die Kopein der gesamten Akte) sondern nur um Lobbyarbeit der beiden Herren Mahlzahn und Handschuh im Namen des AOK Bundesverbandes.

    Ich würde mich freuen, wenn noch in diesem Jahr das BSG das Urteil des LSG Mainz vom 07.02.2008 bestätigen würde. Damit wären über 80% aller KK Anfragen
    (Überschreitung der UGVD) sowieso vom Tisch. Mit und ohne Lobbyarbeit.

    Ritter mit der Lanze

  • Schönen guten Tag Herr Ritter,

    Zitat


    Original von ARitter:
    Ich würde mich freuen, wenn noch in diesem Jahr das BSG das Urteil des LSG Mainz vom 07.02.2008 bestätigen würde. Damit wären über 80% aller KK Anfragen
    (Überschreitung der UGVD) sowieso vom Tisch. Mit und ohne Lobbyarbeit.

    Was den Zeitrahmen betrifft, sind Sie erhört worden: Die Revision wird am 30.06.2009 gegen 13:00 Uhr vor dem 1. Senat des BSG verhandelt. Siehe auch hier: http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechts…m=2009&nr=10992 (Punkt 6). Was das Ergebnis betrifft, so gilt: Vor Gericht und auf hoher See...

    P.S.: Ich erwäge, mir das mal anzusehen...
    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Hallo zusammen,

    Zitat


    Original von R. Schaffert:
    ... vor dem 1. Senat des BSG ...

    oha, vor dem ersten Senat? ich wette eine Kiste Bier, dass das LSG-Urteil gekippt wird.

    MFG

    Bern

    ehemaliger Versicherungsvertreter

  • Schönen guten Tag allerseits, insbesondere Herr Rembs,

    vielen Dank für die Anregungen, ich habe entsprechende Aussagen in die Präsentation eingebaut. Ich bitte jedoch weiterhin um Anregungen, Ergänzungen, Korrekturen.

    Hier noch einmal der Link:
    Wider das politische Getöse der Krankenkassen (medco-hessen.de; PDF; 1,3 MB)

    Ich wünsche noch einen schönen Tag

  • Hallo,

    ich fürchte wohl dass die KK´s wohl auch teilweise Erfolg haben werden und eine sog. Regelung für falsch kodierte Fälle wohl kommen werden also sog. Strafzahlungen, solange noch in den Augen der KK es zuviele KH´s gibt.

    Wenn man so manchen Kassenmitarbeiter fragt, ob er sich gewisse Eingriffe ambulant unterziehen lassen würde, so bekommen diese oftmals ein kaltes Schaudern über den Rücken, woran das wohl liegen kann...

    Aber vielleicht sind diese dann bei der KOK Plus versichert...

    Will damit sagen, dass nun teilweise nicht mehr die Masse von Kodierpürfungen ansteht sondern nun ist es wohl eher modern bzw. culture die prim. und sek. Fehlbelegung zu prüfen, das ja mittlerweile nach dem laufenden Urteil interessant sein wird wie die Entschaeidung fallen wird... Ich erwarte nich viel für die Kh´s.


    Diese umgekehrte Aufwandspauschale wurde auch schon heftig beim MDK diskutiert, solche Kommentare hat man da such schon des öfteren gehört.


    So manches Auftreten eines Kassenmitarbeiters erinnert eher an Angestellte eines Autohauses, in dem monatlich geprüft wird wieviel der Mitarbeiter in diesem Monat verkauft hat, die Belohung ist dann hierfür ein Ranking nach dem Motto \"Unser Mitarbeiter des Monats\" .... Aber natürlich um umgekehrten Sinne...


    Schönen Tag noch!

    MfG
    Ductus
    Die Welt ist global, das Denken lokal

  • Schönen guten Tag allerseits,

    selbst wenn am Dienstag ein für die Krankenhäuser günstiges Urteil herauskommt, wird nach meiner Einschätzung das Getöse nur noch lauter werden.

    Es geht mir auch nicht unbedingt um die Aufwandspauschale. Man wird hier im Forum sicherlich noch den ein oder anderen Beitrag zur Einführung der Aufwandspauschale finden, in dem ich dargestellt habe, dass es für mich nicht die beste Lösung ist. Ich hätte mir eher ein höherhängen der Prüflatte gewünscht, d. h. klare Kriterien für die Einleitung einer Prüfung und klare Kriterien für die Gutachten hinsichtlich Prüfgenauigkeit und Qualität.

    Was mich bei dem Getöse jedoch stört, ist die Darstellung der Krankenhausrechnungen als falsch und überhöht, die Unterstellung eines Betugs (in der Regel ohne dies so auszusprechen) und die Spielereien mit nicht nachvollziehbaren Zahlen, und die Uminterpretation von Begrifflichkeiten und Tatsachen um eine bestimmte politische Aussage zu erzielen. Dem muss etwas entgegengesetzt werden, nicht wegen der Aufwandspauschale, sondern wegen des Ansehens der Krankenhäuser insgesamt.

    Ich wünsche noch einen schönen Tag

    • Offizieller Beitrag

    Guten Tag,

    Zitat


    Original von R. Schaffert:
    Was mich bei dem Getöse jedoch stört, ist die Darstellung der Krankenhausrechnungen als falsch und überhöht, die Unterstellung eines Betugs (in der Regel ohne dies so auszusprechen) und die Spielereien mit nicht nachvollziehbaren Zahlen, und die Uminterpretation von Begrifflichkeiten und Tatsachen um eine bestimmte politische Aussage zu erzielen. Dem muss etwas entgegengesetzt werden, nicht wegen der Aufwandspauschale, sondern wegen des Ansehens der Krankenhäuser insgesamt.


    Daher: Fakten statt Getöse


    1) Gutachter

    Ori und Rom Brafman untersuchen die „psychischen Unterströmungen“, die unser Verhalten jenseits von Logik und Vernunft beeinflussen.
    Sie zeigen, daß wir oft schnell Wertzuweisungen vornehmen. Oder daß wir uns von „Verlustvermeidung“ und Gerechtigkeitsempfinden zu eigentlich irrationalen Entscheidungen treiben lassen.
    Verhaltensweisen lassen sich dadurch erklären läßt, daß es im Gehirn offenbar ein „Lustzentrum“ und ein „Altriusmuszentrum“ gibt, die in Konkurrenz zueinander stehen.

    Ori Brafman / Rom Brafman
    Kopflos Wie unser Bauchgefühl uns in die Irre führt – und was wir dagegen tun können Campus, 2008

    und


    Dan Ariely

    Buchtitel: Predictably Irrational. The hidden Forces that shape our Decisions, 2008

    auch Keynote Sprecher im April d.J. 6th World health care congress

    hat nachgewiesen:


    die Illusion des logisch handelnden, rationalen Menschen ist kaum mehr als eine Illusion

    es betrifft Experten und Laien


    2) „Fachfremde“ Gutachter


    OLG Koblenz: Urteil vom 24.06.2002 - 14 W 363/02 (ArztR 8/2003, S. 226). Dem Sachverständigen wurde seine Entschädigung gemäß § 3 Abs. 1 ZSEG verweigert, da er vorab hätte erkennen müssen, dass das von ihm erwartete Gutachten Fragen betraf, die „außerhalb seines Fachgebietes“ lagen.

    Protokoll der 1. Sitzung der Ständigen Konferenz „Ärztliche Weiterbildung“ der BÄK am 25.6. 2003 in Kön: TOP 4 Seite 12: „Gebietsferne Gutachten sind prinzipiell abzulehnen“. Ausnahme: Unfallchirurgie/Orthopädie wegen der Nähe und Gemeinsamkeit der beiden Fachrichtungen.


    3) Wer entscheidet als „letzte“ Instanz?

    Der behandelnde Arzt?
    Stellungnahme der med. wiss. Fachgesellschaft?
    Der MDK Gutachter?
    Das Sozialgericht?

    Mittlerweile kein Problem mehr.
    Aber: zur Erinnerung
    schönes Beispiel über unterschiedliche Sichtweisen bez. Trastuzumab:


    http://www.universitaetsfrauenklinik-tuebingen.de/fileadmin/user…/pdf/Huober.pdf


    Vor dem Sozialgericht haben alle Frauen - nach ablehnendem MDK Gutachten - , die geklagt haben, die Therapie mit Trastuzumab zugesprochen bekommen.


    4) SEG 4
    Sozialmedizinische Expertengruppe

    Wie begründet sich Expertise?

    Ergebnisse der wissenschaftlichen Expertiseforschung:


    Die wissenschaftliche Expertiseforschung definiert Experten als Personen, die andere regelmässig in ihren Leistungen auf ihrem Gebiet übertreffen.

    Ein Experte wird man in ca. 6 Jahren bei tgl 6-8 stündiger Übung

    oder

    „Wer Experte werden will, muß sich zehn Jahre lang intensiv mit einem Problembereich auseinandersetzen“ (H. Mieg)


    Siehe z.B. SEG Kodierempfehlung Kachexie und Zystitis


    „Neben der allgemeinen Definition (schwere Form der Abmagerung mit Atrophie/körperliche Auszehrung) unter Berücksichtigung des klinischen Gesamtzustandes ist ein BMI unter 18,5 kg/m2 (Definition Untergewicht WHO) zu fordern“


    „one of the most interesting aspects of cachexia is the uncertainty in its definition


    Cachexia
    “a consensual definition is eagerly awaited.”

    http://www.dgem.de/material/pdfs/…Picard_2006.pdf


    \"Bei der akuten Zystitis N30.0 handelt es sich um eine infektiöse Entzündung der Blasenschleimhaut ....\"


    Fihn, Stephan D. Acute Uncomplicated Urinary Tract Infection in Women. New England Journal of Medicine. 349(3):259-266, July 17, 2003.

    “Most acute lower urinary tract infections (also termed acute bacterial cystitis) are uncomplicated…

    Clinical History
    Specific combinations of symptoms (e.g., dysuria and frequency…) raise the probability of cystitis to more than 90 percent.”


    Gruß


    E Rembs

  • Guten Tag ,
    kennt jemand schon einen Fall oder ein KH in der BRD, bei dem § 17c (3) KHG zur Anwendung kam?
    Zur Erinnerung:

    Soweit nachgewiesen wird, dass Fallpauschalen grob fahrlässig zu hoch abgerechnet wurden, ist der Differenzbetrag und zusätzlich ein Betrag in derselben Höhe zurückzuzahlen

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch