VAC-Therapie nur als Ultima ratio möglich?

  • Liebes Forum,

    Folgender Fall:
    Pat. mit großem, akut abszedierten Sinus pilonidalis wurde als Notfall aufgenommen. Der Sinus pilonidalis wurde in toto offen exzidiert, und eine VAC-Versiegelung angelegt. Nach 3 Tagen VAC-Behandlung wurde eine Sekundärnaht durchgeführt und der Pat. nach insgesamt 7 Tagen mit pp heilender Wunde entlassen. Begründung der behandelnden Ärzte für die VAC-Therapie war die Verkürzung der Wundbehandlung durch die Möglichkeit der frühen Sekundärnaht. Nebenbei: eine VAC-Therapie ist in solchen Fällen keine Standardtherapie bei uns.
    Abgerechnet wurde die DRG J22B.

    Prüfung durch den MDK ob OPS sachgerecht mit dezidierter Fragestellung einer großen Kasse ob es sich bei der VAC-Therapie um eine Ultima ratio gehandelt habe.
    Beurteilung durch den MDK: \"gefragte OPS sachgerecht, offene Wundbehandlung wäre die Alternative gewesen, deutlich längere Wundbehandlung wäre erforderlich.\"

    Die Kasse lehnt jetzt die Kodierung der VAC-Therapie ab, da eine alternative Behandlungsform möglich gewesen wäre. Unter Bezug auf das BSG Urteil B 1 KR 5/08 R (Abs. 51-54) sei die Kodierung der VAC-Therapie nicht annehmbar.
    Link: http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechts…Art=en&nr=10581

    Bei telefonischer Rücksprache ergab sich, daß die Kasse bzw. ihre Rechtsabteilung aus dem Urteil, das eigentlich ein ganz anderes Thema hat, die Folgerung zieht, nicht ausdrücklich durch den GBA zugelassene Methoden seien nur bei Alternativlosigkeit oder als Ultima ratio anwendbar. Ich lese das Urteil anders.

    Hat jemand bereits ähnliche Erfahrungen gemacht?

    Viele Grüße aus Frankfurt

    pmoeckel

  • Schönen guten Tag Peter,

    auf diese Idee muss man erst einmal kommen...
    :respekt:

    Mal abgesehen davon, dass das angegebene Urteil den Wunsch nach Zulassung als Vertragskrankenhaus der GKV eines \"Krankenhauses\" behandelt, das weit überwiegend onkologische Patienten mit Methoden weit außerhalb der Schulmedizin behandelte und deshalb unter vielen anderen Gesichtspunkten das BSG darauf hinweist, dass nicht automatisch eine Methode für ein Krankenhaus erlaubt ist, wenn sie der GBA nicht ausgeschlossen hat, ist der folgende Satz in dem Urteil vermutlich der Anlass der (gewagten) Interpretation:

    Zitat

    Dabei begegnet es keinen durchgreifenden Bedenken, Beurteilungen des GBA aus dem Bereich der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen des § 135 Abs 1 SGB V auch für die Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Bereich der stationären Behandlung heranzuziehen, wenn diese Beurteilungen gebietsübergreifende Aussagen beinhalten. Sie sind mithin zu berücksichtigen, wenn sie sachliche Geltung nicht nur für die Behandlung in ambulanter, sondern auch in stationärer Form beanspruchen, etwa weil das aufbereitete wissenschaftliche Material generelle Bewertungen enthält.

    Allerdings enthält dieser Satz auch Einschränkungen, die meines Erachtens die Anwendung auf das VAC-Verfahren nicht zulassen, nämlich \"...wenn diese Beurteilungen gebietsübergreifende Aussagen beinhalten.\" und \"...wenn sie sachliche Geltung nicht nur für die Behandlung in ambulanter, sondern auch in stationärer Form beanspruchen, etwa weil das aufbereitete wissenschaftliche Material generelle Bewertungen enthält\"

    Der GBA hat das Verfahren der VAC-Behandlung nämlich keineswegs ausgeschlossen, sondern die Bewertung des Verfahrens ist derzeit ausgesetzt, mithin noch nicht abgeschlossen. (Siehe GBA)

    Im Fazit der tragenden Gründe zum GBA-Beschluss heißt es insbesondere:

    Zitat

    Trotz unzureichender Daten zum Beleg des Nutzens der Vakuumversiegelungstherapie sollte die Methode aufgrund der Hinweise zum Nutzen derzeit nicht ausgeschlossen werden.

    Ein Nutzen ist zwar somit nicht sicher belegt, aber aufgrund der vorliegenden Daten durchaus möglich. Dies unterscheidet sich in erheblichem Maße von der Sachlage des zitierten Urteils.

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Guten Abend,

    ja auf eine solche Idee muss man erst einmal kommen. Da hat der GBA keine ausreichende Datenbasis und möchte die Beurteilung der VAC-Therapie daher für einige Zeit aussetzen, da werten die Kassen dies als Absage für die \"normalen\" Versorgung. Auf diese Weise wird die Bewertung auch zukünftig durch den GBA nicht möglich sein. Kein ungeschickter Schachzug.

    Zudem wäre mir nicht bekannt, dass der Leistungserbringer stets auf die billigste Alternative der Versorgung zurückgreifen muss. Zum einen ist eine diesbezügliche Einschätzung nicht immer einfach (kürzere aber aufwendigere Behandlung vs. längere weniger aufwendige Behandlung) zum anderen kann es nicht sein, dass Vorteile der Behandlungsmethode ausgeklammert werden.

    Mit der MDK-Gutachten auf Ihrer Seite würde ich mir allerdings nicht allzu große Sorgen machen.

    Viele Grüße
    S. Seyer

    • Offizieller Beitrag

    Guten Tag,


    ambulant:
    Nutzen muss durch GBA vor Anwendung anerkannt sein
    (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt; § 135 Abs. 1 SGB V)


    stationär:
    kein Nutzennachweis erforderlich
    (Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt; § 137c SGB V)


    §137c SGB V und §2
    Folgende Sätze werden vermutlich auch von der Kasse zur „Argumentation“ genutzt


    52
    Diese Regelung darf nicht im Sinne einer generellen Erlaubnis aller beliebigen Methoden für das Krankenhaus mit Verbotsvorbehalt ausgelegt werden. Die Regelung des § 137c SGB V setzt die Geltung des Qualitätsgebots aus § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V auch im stationären Bereich nicht außer Kraft. Gegenteiliges bedeutete, die Einheit der Rechtsordnung zu gefährden.


    http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechts…Art=en&nr=10581


    Was jedoch jetzt verschwiegen wird:

    Prüfung der med. Behandlung (eingesetzte Methode)


    Vorher:
    Eine Prüfung der eingesetzten Methode erfolgt durch die Ärzte des
    Krankenhauses


    Nachher:

    durch die Kasse (MDK)
    durch das Gericht


    Fazit:

    1. Die Behandlung ist med. vertretbar und in Übereinstimmung mit geltenden Rechtsvorschriften. Es besteht anhand der wissenschaftlichen Literatur kein Verstoss gegen das Qualitätsgebot. Dieses wurde auch vom MDK bestätigt

    2. Die Textpassage aus dem Urteil eignet sich hier nicht zu einer Leistungsverweigerung.


    Gruß

    Eberhard Rembs

  • Vielen Dank für die Diskussionsbeiträge.

    @ S. Seyer: Sorgen mache ich mir in diesem Fall wirklich nicht.

    Viele Grüße aus Frankfurt

    pmoeckel

  • Moin,

    Zitat


    Beurteilung durch den MDK: \"gefragte OPS sachgerecht, offene Wundbehandlung wäre die Alternative gewesen, deutlich längere Wundbehandlung wäre erforderlich.\"

    Das heißt ja übrigens auch: Eine OGV-Überschreitung mit entsprechend teurerer Behandlung wäre immerhin möglich gewesen.
    Ex ante waren die Behandlugnskosten sicher nicht abzuschätzen.
    F
    alls dann argumentiert würde, die deutlich längere Wundbehandlung hätte ambulant gemacht werden können, ist ein neues Diskussionsfeld eröffnet.

    Ggf. hätte die Differenz der beiden DRG einen monetären Gegenwert, der unter dem der ambulanten Behandlungskosten liegt:

    Was ist dann führend?
    - ambulant vor stationär oder
    - Wirtschaftlichkeitsgebot?

    Dies wird beider Kasse in manchen Fällen nicht beleuchtet, da die Sektoren ja auch dort strikt getrennt betrachtet werden.

    Gruß

    merguet

  • Guten Tag,

    nach längerer Pause melde ich mich mal wieder zu Wort.

    Hat sich denn hier etwas getan? Ich bekomme immer noch regelmässige Anfragen, ob die stationäre VAC-Therapie, die wir hier erfolgreich bei einem großen infizierten Deket des Unterschenkelsdurchführeten als ultima-ratio zu bewerten ist. Im letzten GA des MDK stand dann zu lesen, dass feuchte Kompressen genügt hätten, die VAC-Behandlung wurde gestrichen und somit der Fallerlös um eine große Summe gemindert.

    Wie ist der Stand der Dinge 2011? Wie kann ich argumentieren.

    :rotwerd:

    schnippler2
    Med. Controller/Chirurg

  • Im Westen nichts Neues (im Osten leider auch nicht). Getan hat sich allenfalls, dass Krankenkassen und MDK jetzt noch gezielter vorgehen und wohl flächendeckend die Frage nach der \"ultima ratio\" stellen. Bei der Antwort wird es sich oftmals leicht gemacht: \"Bein ab\" ist schließlich auch eine Alternative - die zudem die deutlich kürzere VWD bietet...
    Die Studienlage ist unverändert, was auch an der vielseitigen Anwendbarkeit des VAC-Systems liegt; da wären Studien für jede Indikationsstellung erforderlich. Anscheinend sind aber größere Studien in der Umsetzung, mit Ergebnissen ist aber so schnell nicht zu rechnen beim Thema \"chronische Wunden\" :(
    Interessant in dem Zusammenhang allerdings: die Wirksamkeit an sich wurde ja offensichtlich nachgewiesen; kritisch ist die Kostenfrage. Aber in den USA ist die VAC-Therapie sogar zur ambulanten (!) Wundversorgung zugelassen und wird von Medicare bezahlt, weil dies die wirtschaftlichere Wundversorgung ist. Seht her!
    Aber unser aller g-BA hatte schon immer einen besonderen Anspruch...

    Schon uralte Zusammenfassung
    >hier<

    Schönen Gruß aus dem sonnendurchfluteten Südhessen!
    L. Nagel

    Dr. Lars Nagel
    Leiter Medizincontrolling
    Kreiskliniken Darmstadt-Dieburg
    [Groß-Umstadt | Seeheim-Jugenheim]

  • Hallo Schnippler2

    Zitat


    Original von schnippler2:
    Guten Tag,

    Hat sich denn hier etwas getan? Ich bekomme immer noch regelmässige Anfragen, ob die stationäre VAC-Therapie, die wir hier erfolgreich bei einem großen infizierten Deket des Unterschenkelsdurchführeten als ultima-ratio zu bewerten ist. Im letzten GA des MDK stand dann zu lesen, dass feuchte Kompressen genügt hätten, die VAC-Behandlung wurde gestrichen und somit der Fallerlös um eine große Summe gemindert.
    :rotwerd:

    Ohne jetzt ins Detail der VAC-Therapie zu gehen. Die VAC Therapie ist eben nicht nur ultima ratio sondern vielmehr in vielen Fällen Therapie der Wahl. Eine feuchte Kompresse ist keine Alternativbehandlung!

    Ultima ratio ist die Amputation oder die Kiste, das sollte auch ein MDK-Gutachter wissen.

    Solche Fälle sind bestens geeignet durchgeklagt zu werden. Und ich bezweifele, dass Ihnen der MDK-Gutachter Studien vorlegen kann, dass eine Kompresse besser ist als VAC.

    Ich würde gar nicht argumentieren sondern den Rechtsweg eingehen. Dann ist auch der MDK gefordert zu argumentieren und nicht nur subjektive Meinung abzugeben. Und damit wird es für die Gegenseite fast unmöglich die Streichung zu rechtfertigen.

    Gruß

    Dr. F. Schemmann
    FA f. Orthopädie, Chirurgie, O&U

    • Offizieller Beitrag

    Guten Tag,

    Zitat


    .... und somit der Fallerlös um eine große Summe gemindert.


    Für 6 andere Diagnosen wird aktuell berichtet:

    Ann Intern Med February 1, 2011 154:160-167


    Je nach Krankheit verringert sich das Sterberisiko in einem teuren Krankenhaus
    Wären die Kranken mit Herzinfarkt statt im Billig-Hospital in der teuren Behandlungsstätte eingeliefert worden, dann hätten zwischen 2004 –2008
    3090 Patienten gerettet werden können.


    “Admission to higher-spending hospitals was associated with lower risk-adjusted inpatient mortality; this association did not vary by region or hospital size.”

    “For patients presenting with AMI during 2004 to 2008, the number of potential lives saved was 3090, a 19% reduction in mortality. “


    http://www.annals.org/content/154/3/160.abstract


    Gruß

    E Rembs