Verletztenartenverfahren

  • Hallo zusammen,
    eigentlich kein Thema für die DRG-Abrechnung, aber für die Abrechnung mit BG-Fällen, bei denen ich auf die Mithilfe des hier versammelten Sachverstandes hoffe:

    Zum Sachverhalt:
    Eine Patientin erlitt einen Arbeitsunfall.
    Es erfolgte die Primärbehandlung in einer externer Klinik (unfallnah), dann Weiterleitung zur heimatnahen Versorgung.

    Aufnahmebefund: ausgeprägte hämatöse Verfärbung im Bereich linker Oberarm mit dtl. Schwellneigung, DMS o.B.

    im durchgeführten CT: Subkapitale eingestauchte Humerusfraktur. Begleitende Absprengung des Tuberculum majus links. V.a. AC-Gelenksprengung bei path. Weichteilformation periarthrikulär. Jedoch Gelenkspalt nomral weit.

    OP-Bericht: Hautschnitt, Darstellen der Fraktur, Reposition, temporäre Fixation mittels Kirschnerdraht. Auflage einer winkelstabilen Königssee-Platte. Schrittweises Besetzen. Bildwandlerkontrolle in 2 E., die Stellung ist regelrecht. Nun noch Zuggurtung des Tuberculas gegen die Platte und Naht des Rotatorenmanschetteneinrisses. Bildwandlerkontrolle, Spülung, Redon etc. ….

    Nun weigert sich die BG, den Fall zu bezahlen, mit folgendem Argument:

    Es liegt eine VAV-Verletzung vor, weil ein großes Gelenk (Schulter) betroffen ist. Das Ausmaß der Verletzung war bereits zum Zeitpunkt der OP-Planung ersichtlich, so dass eine Verlegung in eine Einrichtung mit VAV-Zulassung möglich und zwingend erforderlich gewesen wäre.

    Das Argument unseres Hauses, bzw. des Operateurs:
    Nach den bei Aufnahme vorliegenden Befunden (dislozierte Absprengung des Tuberculum majus im CT) war primär eine Refixation geplant, welches nicht unter das Verletzenartenverfahren fällt.
    Intraoperativ wurde dann von einer Schraubenosteosynthese auf eine Plattenosteosynthese gewechselt, um die subcapitale Humerusfraktur mit zu behandeln.
    Es handelt sich nicht um eine primär erkennbare Rotatorenmanschettenverletzung.

    Wie sehen das die Fachleute hier? Ich danke bereits im Voraus für hilfreiche Kommentare.

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Hallo Herr Horndasch,

    Das Verletzungsartenverfahren ist zur Qualitätssicherung durch die
    Berufsgenossenschaften eingesetzt worden. Im kurz VAV genannten Verfahren werden Diagnosen (keine Therapien!) aufgelistet, die nur in von den Berufsgenossenschaften zugelassenen Kliniken versorgt werden dürfen.
    Die Zulassung steht jeder Klinik offen, die die Qualitätsmerkmale (sächlich und personell) erfüllt.

    Zu Ihrer konkret beschriebenen Verletzung:
    Komplexe Knochenbrüche stehen als Punkt 8 im Verzeichnis, operativ rekonstruktionsbedürftige Verletzungen großer Gelenke als Punkt 7.
    In den Erläuterungen zur Liste sind Brüche des Oberarms mit Gelenkbeteiligung nochmals präzisiert. Somit dürfte Ihr Operateur die Liste falsch interpretieren.

    Die Liste müsste ihr Durchgangsarzt eigentlich haben, er ist auch vertraglich (Ärztevertrag) verpflichtet, den Verletzten in eine zugelassene Klinik zu überweisen.

    Zur Abrechnung: Die Landesverbände der DGUV weisen die Berufsgenossenschaften darauf hin, dass die Einhaltung des VAV zwingend notwendig ist, um die Qualität der Behandlungen nach SGB VII zu sichern.
    Vieleicht können sie einen Kompromiss auf Kulanz erzielen, vor allem dann, wenn die Versorgung gut gelungen ist.

    Gruß

    P. Host

  • Hallo Herr Horndasch,

    die Absprengung des Tuberculum maius gehört in diesem Fall zur subkapitalen Humerusfraktur. Die Frakturversorgung sollte alle Fragmente berücksichtigen, denn wer kann schon garantieren, dass die Fraktur eingestaucht bleibt? Dies hat der Operateur auch sinnvollerweise mit der Plattenosteosynthese umgesetzt.

    Da das Frakturausmaß bereits vorab bekannt war, fällt mir gegen die Argumentation der BG keine plausible Erwiderung ein.

    Mit freundlichen Grüßen

    Dr. med. Roland Balling

    Chirurg
    Medizincontroller
    "Ärztliches Qualitätsmanagement"
    Chirurgische Klinik, 82229 Seefeld

  • Guten Tag zusammen,

    ich hoffe, dass meine Frage zu diesem Thread passt.

    Folgender Fall: in 1999 wurde nach einem Unfall zuerst eine Knieprothese und danach ein Arthrodesenagel implantiert. Jetzt, also sehr viele Jahre später kommt es zur tiefen Infektion des operierten Kniegelenks. Es erfolgten mehrfache Wundrevisionen, Debridements, VAC-Behandlung und schließlich eine plastische Deckung bei dem entstandenen Hautweichteildefekt mit freiliegendem Metall. Der zuständige Kostenträger (BG) verweigert die Vergütung mit Verweis auf Schwerstverletzungsartenverfahren-Ziffer (Abschnitt 11).

    Im Verletzungsartenverzeichnis steht: „Das Verletzungsartenverzeichnis bezieht sich mit den Ziffern 1 bis 10 prinzipiell auf die Akutphase nach dem Unfall, die mit einem Zeitraum von 4 Monaten ab Unfalltag festgelegt ist. In Ziffer 11 werden Komplikationen beschrieben, die sowohl innerhalb der ersten vier Monate nach dem Unfall als auch später im Behandlungsverlauf auftreten können. Treten Komplikationen nach Ziffer 11 auf, sind diese zu jedem Zeitpunkt als SAV-Verletzungen zu behandeln.“

    Frage: ist es wirklich so, dass die Begriffe „später“ und „zu jedem Zeitpunkt“ in diesem Zusammenhang „bis ans Lebensende“ bedeuten? Gibt es dazu eine Rechtsprechung?

    Vielen Dank im Voraus!

  • Hallo C-3PO,

    Rechtsprechung ist mir hierzu nicht bekannt, allerdings steht in den von Ihnen zitierten Erläuterungen ja gerade, dass die Komplikationen nach 11 zu "jedem Zeitpunkt" dem SAV unterfallen, was mE recht eindeutig gegen ein zeitliches Limit spricht. Gab es denn eine Einweisung durch einen D-Arzt, ggf. muss sich die BG dann dessen Entscheidung zurechnen lassen?

    MfG, RA Berbuir