Direktprüfung ohne MDK

  • Hallo Forum,

    eine größere KK bedrängt uns, in großem Stil Fallprüfungen ohne den MDK durchzuführen. Dazu würden (medizinische!) Informationen fallbezogen bei uns abgefragt werden und eine Abrechnungsstelle der KK würde dann Stellung nehmen, ob die Abrechnung (ihrer Ansicht nach) korrekt ist.
    Auf eine Aufwandspauschale für unveränderte Fälle soll selbstverständlich verzichtet werden.

    Meiner Meinung nach würde damit der §275 verletzt, evtl. auch bestehende Landesverträge und insbesondere die ärztliche Schweigepflicht.
    Möglicherweise würden die ärztlichen MedCos der Abteilung sich persönlich strafbar machen...

    Laut Auskunft der betreffenden KK würden bereits \"zahlreiche Häuser\" teilnehmen und davon \"profitieren\". (Wovon denn bloß?)

    Wie kann man damit umgehen?
    Anzeige erstatten wegen Aufforderung zu einer Straftat?
    Sehe ich das zu eng oder zu formalistisch?
    (Wo kein Kläger.....)
    Was meint der MDK dazu (falls jemand mitliest)?

    Für Standpunkte und Argumente wäre ich dankbar.

    Vielen Dank!
    RT

  • Hallo Rotes_Tuch,

    das bedeutet auf jeden Fall eine Verletzung der Schweigepflicht. Wie Sie mit diesem Problem umgehen, müssen Sie wissen. Falls dann doch mal ein Kläger, dann haben Sie u. U. ein Problem. Mir ist auch nicht ganz klar, wie die Häuser denn \"profitieren\" sollen, vielleicht lassen Sie sich dazu mal ein paar Zahlen geben?

    Viele Grüße,

    V. Blaschke

    _____________________
    Dr. med. Volker Blaschke

  • Hallo,

    Zitat


    Original von Blaschke:
    vielleicht lassen Sie sich dazu mal ein paar Zahlen geben?

    und vielleicht auch mal ein paar der \"zahlreiche Häuser\".

    Mein Lieblingssatz der KK ist immer noch: \"...mit allen anderen haben wir wegen xy keine Probleme. Sie sind die Einzigen. \"

    Gruß

    MiChu ;)
    Sei nicht unglücklich vor der Zeit, denn was dich, als dir drohend, in Angst versetzt, wird vielleicht nie kommen. (Seneca)

  • Hallo MiChu,
    das ist ja lustig, dass wir fast den selben Lieblingssatz haben. \"Alle anderen Krankenkassen zahlen das aber...\"

    Viele Grüße

    Michael Bauer :)
    Krankenkassenbetriebswirt

  • Hallo Herr Bauer,
    stimmt aber wirklich oft.....

    Allerdings würde ich in oben genanntem Fall Bauchschmerzen haben und keinesfalls darauf eingehen.
    Denn wenn man einmal darauf eingeht, braucht man irgendwann auch keine Schweigepflicht mehr.
    Schönen Tag noch
    Anne

  • Hallo zusammen,
    ich glaube Ihnen das auch. Mein Einwand war zu einem guten Teil spaßig gemeint, denn hier herrscht offenbar auf beiden Seiten die selbe Sprachregelung ;)
    Ein Agreement, wie es hier von der Kasse vorgeschlagen wird, hat halt keinerlei gesetzliche Grundlage. Da wird es schwer, wenn sich beide nicht hundertprozentig einig sind. Und es ist ja doch ein streitbefangenes Thema, oder? Sonst wäre dieses Forum hier auch nicht so frequentiert!

    Viele Grüße

    Michael Bauer :)
    Krankenkassenbetriebswirt

  • Hallo RotesTuch,

    also auf solche Spielchen würde ich mich keinesfalls einlassen.

    Verweisen Sie auf 275 Abs. 1c SGB V:

    (1c) Bei Krankenhausbehandlung nach § 39 ist eine Prüfung nach Absatz 1 Nr. 1 zeitnah durchzuführen. 2 Die Prüfung nach Satz 1 ist spätestens 6 Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen. 3 Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 EUR zu entrichten.

    -> kein MDK, keine Unterlagen, keine Fallprüfung.

    Pech für die KK.

    Somit ist die Frage nach Schweigepflichtverletzung hinfällig.

    GLG

  • Hallo -

    wie kann eine - auch noch große - Kasse so etwas nur wollen - wenn doch fast jede zweite Rechung falsch ist? Ich versteh es nicht mehr.

    Herzlichst.

    „Quod non in actis est, non est in mundo.“ (Was nicht in den Akten ist, ist nicht in der Welt)

  • Hallo allerseits,

    Zitat

    Meiner Meinung nach würde damit der §275 verletzt, evtl. auch bestehende Landesverträge und insbesondere die ärztliche Schweigepflicht.
    Möglicherweise würden die ärztlichen MedCos der Abteilung sich persönlich strafbar machen...

    auch wenn ich mich jetzt möglicherweise unbeliebt mache: die immer wiederkehrende Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht und § 203 StGB i.Z. mit Rechnungsprüfungen ist für meine Begriffe nichts als eine Legende und sollte in unseren Kreisen endlich ad acta gelegt werden.

    Zitat [url=http://lexetius.com/2009,2355]BSG-Urteil[/url] vom 22. 04. 2009 - B 3 KR 24/ 07 R:

    Zitat

    Der Beigeladene übersieht, dass die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB V von der Krankenkasse erst nach Prüfung der Leistungsvoraussetzungen erfolgen kann und dazu die Kenntnis des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderlich ist. Dem stehen die Vorschriften über den Sozialdatenschutz nicht entgegen. Die dazu getroffenen Regelungen rechtfertigen keine Einschränkung der Sachaufklärungspflicht der Krankenkasse in dem Sinne, dass sie befugt oder gar verpflichtet wäre, einem Leistungsantrag stattzugeben, ohne dass die Anspruchsvoraussetzungen mit der notwendigen Gewissheit festgestellt sind. Vielmehr bestätigen die einschlägigen Vorschriften die trotz des Sozialdatenschutzes bestehende Sachaufklärungspflicht. Die Krankenkassen sind nach § 284 Abs 1 Satz 1 Nr 4, Abs 3 SGB V zur Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Sozialdaten berechtigt, soweit diese zur Prüfung der Leistungspflicht und die Gewährung von Leistungen an Versicherte erforderlich sind. Eine derartige Vorschrift genügt nach § 35 Abs 2 SGB I, § 67a Abs 1, Abs 2 Nr 2 Buchst b, aa), § 67b Abs 1, § 67c Abs 1 Satz 1 SGB X, um vom Datenschutz unabhängige Ermittlungsbefugnisse der Krankenkasse zu ermöglichen, ohne dass dafür jeweils das Einverständnis des Betroffenen erforderlich wäre. In diesem Sinne ist die Rechtsprechung des BSG ebenfalls zum Ergebnis gelangt, dass der Vertragsarzt trotz der sich aus § 203 StGB ergebenden Schweigepflicht auch ohne Einwilligung des Versicherten verpflichtet ist, der Krankenkasse die von ihm erhobenen Befunde und die Informationen über die bisherige Behandlung zur Verfügung zu stellen, um die Begutachtung einer geplanten Behandlung durch einen von der Krankenkasse beauftragten Sachverständigen zu ermöglichen (..)

    Dazu muss fairerweise angemerkt werden, dass sich das Urteil mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Übermittlung von Patientenunterlagen an den MDK (nicht an die Kasse) auseinandersetzt (und diese natürlich bejaht); die Begründung befasst sich jedoch mit allen Stufen der Rechnungsprüfung durch die Krankenkasse (und ist daher dringend zur Lektüre empfohlen!).

    Aus meiner (juristisch laienhaften) Perspektive sagt das BSG: Grundlage für die Übermittlung von Sozialdaten an die Krankenkasse bei einer Rechnungsprüfung ist § 100 SGB X, der sogar eine \"Auskunftspflicht\" des behandelnden Arztes definiert. Ein Verstoß gegen § 203 StGB liegt daher nicht vor, und die besondere Stellung des MDK im Prüfverfahren ist nicht etwa dem Datenschutz geschuldet , sondern vielmehr dem medizinischen Sachverstand.

    Zitat

    Anzeige erstatten wegen Aufforderung zu einer Straftat?


    ist daher unsinnig.

    Zum § 275 SGB V: wann eine \"Auffälligkeit\" i.S. Abs. 1 Nr. 1 vorliegt ist durch den Gesetzestext ja nicht genauer definiert; insofern hat eine Kasse schon einen gewissen Spielraum, ob sie gleich den MDK einschaltet oder zunächst das Krankenhaus kontaktiert (siehe auch die in den meisten Landesverträgen definierten \"Kurzberichte\"). Wenn Sie als Haus diesem Vorgehen zustimmen, liegt natürlich kein \"Verstoß\" gegen § 275 vor.

    Andererseits: natürlich kann die Kasse sie nicht zwingen, dem geforderten Verfahren zuzustimmen. Sie sollten Ihre Beteiligung daher davon abhängig machen, ob ein solchermaßen \"beschleunigtes\" Verfahren für Ihr Haus eindeutige Vorteile mit sich bringt oder nicht.

    Mit freundlichen Grüßen

    Markus Hollerbach

  • Hallo Herr Hollerbach,

    das sind tatsächlich überraschende Aspekte! Ich bin bisher davon ausgegangen, dass auch gegenüber der Kasse (nicht dem MDK!) die Schweigepflicht gilt, ausgenommen die Daten nach §301 und der \"Kurzbericht\".

    \"die besondere Stellung des MDK im Prüfverfahren ist nicht etwa dem Datenschutz geschuldet , sondern vielmehr dem medizinischen Sachverstand\" - ist das irgendwo so festgelegt?

    Mir wäre eine Freigabe der Übermittlung medizinischer Sachverhalte an die Kassen eigentlich ganz recht - das würde viele Verrenkungen ersparen. Und spätestens nach Lektüre des MDK-Gutachtens weiß der Sachbearbeiter sowieso mehr oder weniger viele Details aus der Krankengeschichte seines Versicherten.

    Ist der ganze derzeitige Aufwand (z.B. MDK-Unterlagen im \"verschlossenen Kuvert\" zur Weiterleitung usw.) wirklich überflüssig und ungerechtfertigt?

    Bei Durchsicht des angeführten Urteils ergibt sich für mich folgendes Bild:

    \"Demgemäß können im Rahmen eines bis zu dreistufigen Prüfverfahrens Auskunfts- und Mitwirkungspflichten wie folgt bestehen:\"
    Stufe 1: die Daten nach §301, die zwingend zu übermitteln sind und dort \"abschliessend\" aufgelistet sind.
    Stufe 2: der Kurzbericht nach §2 (1) KÜV. Diesen kann die KK \"in Einzelfällen\" anfordern, um \"Notwendigkeit und/oder Dauer\" zu überprüfen. (Kodierung, Verlegung, Fallzusammenführung usw. demnach also nicht).
    Stufe 3: Einschaltung des MDK, dem dann auch als einziger Instanz die zur Überprüfung erforderlichen Unterlagen überlassen werden müssen / dürfen.

    Das Schlupfloch, deutlich über den §301 und den \"Kurzbericht\" hinausgehende Sozialdaten an den Sachbearbeiter einer Krankenkasse zu übermitteln, ohne sich angreifbar zu machen, kann ich nicht erkennen.

    Leider bin auch ich juristischer Laie und von daher vielleicht übervorsichtig.


    Viele Grüße
    RT

  • Hallo RT,

    Zitat

    \"die besondere Stellung des MDK im Prüfverfahren ist nicht etwa dem Datenschutz geschuldet , sondern vielmehr dem medizinischen Sachverstand\" - ist das irgendwo so festgelegt?

    nein, das habe ich freihändig und zugespitzt aus Punkt 18 der Begründung des BSG-Urteils abgeleitet. Außerdem hätte ich ergänzen müssen \"und den besonderen sozialrechtlichen Vorgaben\" (z.B. § 276 SGB V). Aber es ist natürlich unsinnig, den Kassen einerseits zwar die Erhebung von Diagnosen und Prozeduren zu gestatten, andererseits die Einsichtnahme in Behandlungsunterlagen zu verbieten, und das mit \"Datenschutz\" zu begründen.

    Zitat

    Aber ist der ganze derzeitige Aufwand (MDK-Unterlagen im \"verschlossenen Kuvert\" zur Weiterleitung usw.) wirklich überflüssig und ungerechtfertigt?

    Ebenfalls nein - der Krankenkasse steht ein eigenes Recht auf Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen (ebenfalls nach höchstrichterlicher Rechtsprechung) nicht zu. Das heisst aber nicht, dass der Kasse keine \"Auskunft\" über die darin enthaltenen Informationen gegeben werden darf. Klingt zugegebenermaßen paradox, und wahrscheinlich muss man Jurist sein, um in dieser Regelung irgendeinen Sinn zu finden.

    Letztlich bedeutet es aber, dass ich mit einer Kasse alle Aspekte einer Behandlung mündlich oder schriftlich diskutieren darf, nur Behandlungsunterlagen darf ich eben nicht versenden.

    Interessant ist übrigens auch die Überschrift, mit dem im vergangenen Jahr das DÄ über das zitierte BSG-Urteil berichtet hat: \"Bundessozialgericht rügt Neugier von Krankenkassen\". :i_baeh:

    Mit freundlichen Grüßen

    Markus Hollerbach