Vollkodierung auch in der Psychiatrie?

  • Hallo zusammen,

    als MedCo-Umsteiger vom DRG-Haus in eine Psychiatrie werde ich mit Fragen konfrontiert, ob man denn wirklich auch in der Psychiatrie sämtliche Prozeduren und Diagnosen verschlüsseln muss oder ob nicht die \"Komplexcodes\" und die \"Pseudo-OPS-Codes\" erstmal reichen.

    Natürlich sehen die DKR-Psych die vollständige Kodierung vor, aber Anspruch und Realität weichen ja gelegentlich etwas voneinander ab. Der Umstellungsprozess bezügl. der Komplexcodes fordert schon jede Menge Kraft und Zeit. Nun auch noch zu fordern, dass sämtliche übrigen OPS-Codes (und Nebendiagnosen) ebenso anzugeben und zu kodieren sind, fällt mir angesichts der allgmeinen Überforderung nicht leicht.

    Meine Fragen:

    - wie wird das aktuell in anderen Häusern gehandhabt: nur Erfassung der Komplexcodes und Pseudo-OPS oder Vollkodierung ICD / OPS?

    - braucht man in der Psychiatrie eine Kodiersoftware oder reicht für \"die paar Ziffern\" auch der alphabetische Katalog?

    - braucht man (perspektivisch) in der Psychiatrie Kodierfachkräfte?

    - wie realistisch ist meine Einschätzung, dass im fertigen Psych-Entgeltsystem analog zum \"somatischen\" DRG-System die komplette Kodierung von Diagnosen und Prozeduren eine wesentliche Rolle bei der Entgeltfindung spielen wird (und nicht nur die Komplexcodes in Kombination mit einer irgendwie gearteten täglichen Schweregradeinstufung)?

    Ich bin gespannt auf Ihre Statements..

    Beste Grüße - NV

  • Hallo NV,

    zu Frage 2: Sie brauchen immer und überall nicht nur das Alphabetische Verzeichnis sondern auch das Systematische. Ob Sie das mit Software machen oder mit Buch ist zweitrangig. Ich finde SW gut wenn sie ausgereift ist und funktioniert. Mancher hat aber lieber ein Buch in der Hand.

    [size=12]Freundlichen Gruß vom Schorndorfer MDA.

  • Schönen guten Tag NuxVomika,

    Es mag sein, dass sich die Entgelte in der Psychiatrie mehr oder weniger vollständig aus den psychiatrie OPS und den psychiatrischen Diagnosen ergeben. Auch ich gehe davon aus, dass CT, somatische Konsile, und die meisten somatischen Diagnosen (Ausnahme Gerontopsychiatrie! ) nicht die Entgelte beeinflussen werden.

    Ich meine jedoch, dass ein Prozess zu etablieren ist, der die Leistungsabbildung und Kodierung umsetzt. Und so wie ich mir diesen Prozess vorstelle, ist die vollständige Kodierung auch nichtpsychiatrischer Kodes der geringste Aufwand.

    Letztenendes werden durch den mit der Leistungsabbildung und Kodierung verbundenen Aufwand ( insbeondere in dieser Darstellung übre Komplex-OPS ) der Patientenversorgung erhebliche Ressourcen entzogen. Das ist sicher nicht zu vermeiden, jedoch ist mein Ziel, dass diese Ressourcen nicht unbedingt oder so gering wie möglich die Qualifikation und die Kosten von Ärzten haben. Daher befürworte ich - genau so wie in der Somatik - die Unterstützung durch Kodierkräfte.

    Für mich enthält der Prozess der Kodierung (neben der Behandlung an sich )drei wesentliche Phasen: Leistungszuordnung - Leistungdokumentation - Kodierung (einschließlich Püfung)

    Die Leistungszuordnung ist dabei fast das anspruchvollste: Die Leisungserbringer müssen sich über die Kriterien der verschiedenen abbildbaren Leistungen im Klaren sein und (leider) ihre Leistung danach ausrichten. Die 25 Minuten dauer der TE ist ein sicherlich inzwischen allgemeines Beispiel dafür. Aber auch hinsichtlich der Unterscheidung einer Erbrachten Zeiteinheit bezüglich Diagnostik, Therapieeinheit oder Zusatzaufwand sollte Klarheit herrschen (was bei der Formulierung im OPS allerdings problematisch ist )

    Die Leistungsdokumentation muss neben der Leistung an sich auch diese Kriterien berücksichtigen. Zudem muss für den Fall, dass die MDK-Prüfungen in der Psychiatrie irgenwann einmal ähnlich verlaufen wie in der Somatik, auch eine inhaltliche Dokumentation (Indikation, Inhalte der Therapie, Verlauf) vorhanden sein. Hier ist es einfach von Vorteil, wenn die Dokumentatin durch Formulare oder die EDV entsprechend gesteuert wird und man sich nicht den Freitext aus der Akte zusammensuchen muss.

    Die Kodierung und Prüfung ist dann etwas, was ich Kodierkräften übergeben würde. Die Kodierung ist bei guter Dokumentation mehr oder weniger eine Rechenleistung (TE zählen). Hier ist natürlich eine Software hilfreich. Man kann die Dokumentation auf Papier machen und dann in ein Formular (z. B. den Excel-OPS-Rechner von TicTac ) eingeben. Konsequenter finde ich, wenn schon die Dokumentation im KIS stattfindet und das KIS die OPS-Berechnung unterstützt. Wesentlich ist jedoch in diesem Schritt für mich die Überprüfung der Dokumentation und dann ggf. auch die Vervollständigung der somatischen Kodes.

    Auch wenn es schwierig ist, die Geschäftsleitungen jetzt davon zu überzeugen, dass in die Etablierung dieses Prozesses investiert werden muss. Das Entgeltsystem wird auf die Psychitrie ähnliche Auswirkungen haben, wie das DRG-System in der Somatik. Da werden erhebliche Finanzvolumen verschoben werden. Die Auswirkungen in der Somatik kann man sich ja mal unter http://www.kliniksterben.de (einer Schwesterseite von myDRG) ansehen. Gerne werden wirtschafltiche Schwierigkeiten mit dem Entgelsystem begründet. Hier ist von denjenigen, die den Auftrag haben, die Psychiatriekodierung oft mal so nebenbei einzuführen, auch gegenüber ihrer Geschäftsführung Aufklärungsarbeit und Hartnäckigkeit gefragt.

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Hallo Nux Vomica !

    ich bin Kodierkraft in einer rein psychiatrischen Klinik. Wir codieren voll. Das heißt, wir erfassen alle Nebendiagnosen, sofern wir einen Aufwand damit hatten.

    Wir codieren daneben eben auch sämtliche Untersuchungen wir CTs, MRTs und und und.

    Unser Hauptaugenmerk richten sich aber auf die Erfassung der Therapieeinheiten und der Zusatzcodes wie Kriseninterventionelle Behandlung oder 1:1 Betreuung. Hier ist es natürlich die große Herausforderung, zu überpüfen, ob die Dokumentation auf den Stationen wasserdicht ist, d.h. einen Code rechtfertigt.

    Dazu arbeite ich täglich mit den Stationen, Ärzten, Pflege zusammen. Weise sie darauf hin, mache aufmerksam und sorge dafür, dass die Doku stimmt. Das ist aufwendig , lohnt sich aber. Noch ist das alles nicht entgeltrelevant, aber wenn es irgendwann mal soweit ist, dann haben wir das drauf.

    Natürlich mit entsprechender EDV Unterstützung. D.h. mein Rechner gibt mir alle TE\'s automatisch an. Ich brauche da keine Exel Tabellen oder irgendwas. Ich überpüfe dann nur, ob alle eingegebenen TE\'s so stimmen. Manchmal rechne ich etwas raus oder ähliches.

    Ich hoffe, das sind ein paar nützliche Infomationen .

    Gruß, Kodikas

  • Hallo Nux Vomica, Herr Schaffert und Kodikas,

    ich schließe mich voll uns ganz Kodikas an. Glücklicherweise hat unsere Geschäftsleitung früh die Zeichen der Zeit erkannt. Ähnlich haben wir uns auf das neue Entgeltsystem eingerichtet. Ich bin zusammen mit zwei Kolleginnen Medizinische Dokumentarin in der Psychiatrie (vorher in einem DRG-Haus). .
    In unserem Haus wurde lediglich die Dokumenation \"kodierfähig\" und möglichst \"MDK-sicher\" angepasst (Mitarbeiterschulung und -begleitung aller am Patienten tätigen Berufsgruppen). Dafür sind diese im Wesentlichen von der eigentlichen Kodierung der TE und Haupt- Nebendiagnosen entlastet. Ärzte haben lediglich abschliessende Überprüfungsfunktion.(Stichworte: Ressourcenorientierung in Zeiten von Personalknappheit und Personalzufriedenheit)

    Die Volldokumentation ist absolut notwendig. Wenn erst Personal geschult wird, um die Dokumentation und Kodierung anzupassen, wenn die Erlösrelevanz eingetreten ist, geht viel Entgelt verloren.

    Es gibt interessante Untersuchungen über die betriebswirtschaftlichen Vorteile beim Einsatz von Kodierfachpersonal in somatischen Häusern (im Internet recherchierbar). Interessant ist übrigens bei Publikationen aus der Anfangszeit der DRG, daß die Diskussionen und Fragestellungen, die jetzt den psychiatrischen Sektor umtreiben, den damaligen im somatischen Bereich sehr ähnlich sind.

    §17d Häuser haben aber einen Vorteil: Wir können aus den damals gemachten Fehlern lernen und müssen sie nicht alle erst selber in die vielfältigen Fallen treten.

    Freundliche Grüße

    E. Rah.

    E. Rah.

    Medizinische Dokumentarin

    • Offizieller Beitrag

    Guten Tag


    Zitat


    ... Glücklicherweise hat unsere Geschäftsleitung früh die Zeichen der Zeit erkannt.

    Vielen Dank für die anschaulichen und überzeugenden Berichte ( Schaffert, Kodikas, Rah ) von heute.
    Hier erfahren wir genau dass, was Michael Porter in seinem Bestseller \"Competitive Advantage“ beschreibt.
    Bei klar definierter Ausrichtung können Sie sich Wettbewerbsvorteile sichern.
    Porter beschreibt es als den schlimmsten strategischen Fehler, „in der Mitte stehen zu bleiben“ (stuck in the middle).


    Gruß

    E Rembs

  • Guten Morgen,

    und vielen Dank für Ihre Stellungnahmen. Ich stehe ebenfalls auf dem Standpunkt (nach langjähriger Erfahrung mit den somatischen DRGs), dass Kodierfachkräfte erforderlich und segensreich sind. Zumindest was die Entlastung der primären Leistungserbringer von Dokumentations- und Kodieraufgaben angeht und auch die Entlastung des MedCo von immer wiederkehrenden Schulungsaufgaben.

    Aber kann man davon ausgehen, dass sie auch erlöswirksam werden? DRG-Häuser mit Kodierkräften haben schnell festgestellt, dass eine Kodierkraft ein Mehrfaches ihres Gehalts \"herausholt\".
    Wenn aber, wie Hr. Schaffert vermutet, die exakte Kodierung der Prozeduren und Diagnosen, keinen (großen) Einfluss auf den Erlös haben wird, womit soll man dann gegenüber der Obrigkeit argumentieren? Nur zur Erfüllung der DKR-Psych wird man wohl nicht bereit sein, hier Stellen zu schaffen.

    Beste Grüße - NV

  • Schönen guten Tag Nux Vomica,

    ich kann mich nur wiederholen ( und rate Ihnen gegenüber Ihrer Geschäftsführung auch zu ständiger Wiederholung - stetes Wasse höhlt den Stein )

    Auch wenn - wie bei uns - die Psychiatrie \"nur\" 10% der Erlöse bringt und davon wieder nur ein Bruchteil über die Kodierung verteilt wird, weil das System am Anfang vermutlich genau so wenig gespreitzt ist, wie es in der Somatik war, wird es für die Psychiatrie betrachtet erhebliche Auswirkungen haben. Bei der komplxität der Leistungsabbildung durch den OPS in der jetzigen Form ist schon die Leistungsdokumentation alleine aufwändig genug. Wenn das medizinische Fachpersonal dann auch noch die Plausibilität und Vollständigkeit der Kodierung ( schon allein der Psych-Kodes ) überprüfen soll, wird nur noch wenig Zeit für die Patienten bleiben.

    Meiner Ansicht nach macht es in psychiatrischen Fachkrankenhäusern Sinn, ein Medizincontrolling einschließlich Kodierung aufzubauen, weil hier 100% der stationären Erlöse betroffen sind. Bei den Abteilungspsychiatrien dagegen gibt es in den Häusern ja in der Regel bereits ein Medizincontrolling für die Somatik, so dass hier Synergien möglich sind. Diese Erfahrung jedoch nicht zu nutzen, wäre meines Erachtens fahrlässig.

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Sehr geehrte Kollegen!
    Unsere Geschaeftsfuehrung hat die von Herrn Schaffert erwaehnten Zeichen erkannt und ein Medizincontrolling ins Leben gerufen. Wir sind eine komplett psychiatrisch- und psychosomatische Klinik und betreuen nun per Vollkodierung 220 stationaere Patienten (zu zweit).

    Ich teile Herrn Schafferts Meinung, allerdings nur zumm Teil, denn ich denke, dass die Nebendiagnosen un auch die \"somatischen\" OPS einen Grossen Anteil des Entgelts ausmmachen werden.
    Aber Meinungen hin und her - Ohne weitere Infos seitens des InEK koennen wir gaaaanz viel spekulieren.

    Viele Gruesse aus Thailand,

    B. Gohr

    Das Problem am Gesundheitssystem ist der aufrechte Gang. Der aufrechte Gang ist moralisch wünschenswert, orthopädisch aber eine Katastrophe.

  • Zitat


    Original von B. Gohr:

    Viele Gruesse aus Thailand,

    B. Gohr

    Manch einer kommt einfach nicht davon los... :sterne:

    Essen, Landschaft, Kultur, oder einfach nur faul am Strand liegen.... :sonne:

    stellv. Leitung Medizincontrolling
    Fachwirt Gesundheits- und Sozialwesen (IHK)
    MDA