Erwartungen an die Psychiatrie-Entgelt-Reform

  • Liebes Forum,

    ich habe gestern versucht, mir ein wenig Wissen über das momentane und zukünftige Entgeltsystem der Psychiatrie anzulesen.

    Wenn ich das richtig verstanden habe, könnte man die Lage wie folgt knapp zusammenfassen:

    1.) Derzeit Finanzierung über Tagessätze (seit wann ist das so?)
    2.) Seit Anfang des Jahres zusätzliche nicht-erlösrelevante OPS-Kodierung (seit 1.1. freiwillig, seit 1.6. verpflichtend)
    3.) Ab 2013 tagesbezogene Fallpasuschalen auf Basis von OPS und Psych-PV

    Erste Frage: Ist das so korrekt?

    Zweite Frage: Welche Erwartungen hat man an das System?

    1.) Wird es dadurch zu einem Bettenabbau ähnlich DRG kommen?
    2.) Wird es Kalkulationskrankenhäuser geben, die das Entgelt für die übrigen Kliniken ermitteln?
    3.) Könnte man von einer Art \"Mini-DRG\" sprechen, oder sind die Diagnosen - sprich ICD - relativ stark aussen vor und fliessen nur im Rahmen der groben Einteilung über Psych-PV ein?
    4.) Läßt sich irgendwie grob quantifizieren, wie sich die Einkommenssituation bei den Kliniken ändern wird?


    Vielen Dank für alle Antworten,

    Viele Grüße,

    Markus

  • Schönen guten Tag Pisolo,

    zu Ihrer Zusammenfassung:

    1.
    Die Bundespflegesatzverordnung in ihrer jetzigen Form gibt es sein 1995. Darin ist geregelt, dass die Krankenhäuser eine Kostenkalkulation (LKA) aufzustellen haben, aus der sich unter bestimmten Randbedingungenen - wie z. B. dass das Budget in der Regel um nicht mehr als die sog. Einnahmeveränderungsrate steigen darf - ein Krankenhausbudget für ein Jahr errechnet. Aus dieser Kalkulation - sowie in der Psychiatrie der PsychPV - ergeben sich die Abteilungspflegesätze (grob: für die mediznischen Kosten) und der Basispflegesatz (grob: für die \"Hotelleistungen\" ) des Krankenhauses. Bis zur Einführung des DRG Systems in der Somatik galt dies für alle Abteilungen, seit 2003/2004 gilt die Bundespflegesatzverordnung nur noch für die Psychiatrie.

    2.
    Die zusätzliche OPS Kodierung gibt es seit Anfang 2010 und sie ist seit dem auch verpflichtend. Man hat lediglich von einer Sanktionierung bei Nichtkodierung bis zum 30.06.2010 abgesehen, allerdings auch nicht für alle OPS (nicht für die PsychPV OPS)

    3.
    Ab 2013 soll die Vergütung psychiatrischer Leistungen über ein \"durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem auf der Grundlage von tagesbezogenen Entgelten\" ( §17d Abs. 1 KHG ) erfolgen. Das sind eben keine \"Fall\"pauschalen, weil der \"Fall\" in der Psychiatrie in der Regel als zu kostenvariabel gilt. Allenfalls in Einzelbereichen kann es aufgrund einer Öffnungsklausel ggf. fallbezogene Entgelte geben. In der Regel wird vermutlich ein Tagessatz herauskommen, der jedoch abhängig von der Kodierung sein wird. Ob dieser Tagessatz dann innerhalb eines Falles tagesvariabel, wochenvariabel oder falldurchschnittlich ist, ist derzeit meines Wissens noch nicht festgelegt.

    Zu Ihren Fragen:

    1.
    Die politischen Ziele zur Einführung dieses Entgeltsystems sind in der Begründung zum Krankenhausfinanzierungsreformgesetz (KHRG, zu finden z.b. unter dip.Bundestag.de) beschrieben. Im Gegensatz zum DRG System steht dabei nicht so eindeutig eine Fall- oder Verweildauerreduzierung im Vordergrund.

    2.
    Das Kalkulationsverfahren ist ähnlich dem der DRGs. Siehe unter http://www.g-drg.de/cms/Psychiatrie_Psychosomatik

    3.
    Da es sich, wie oben dargstellt, nicht um Fallpauschalen handelt würde ich, schon um vom somatischen Entgeltsystem abzugrenzen, nicht von DRGs sprechen. Ich gehe davon aus, dass neben den leistungsbezogenen OPS auch die Diagnosen eine Rolle spielen werden, wenn sie sich in der Kalkulation als Kostentrenner darstellen.

    4.
    Die Veröffentlichung des ersten Entgeltkataloges ist für Mitte bis Ende 2012 vorgesehen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, ebenso wie eine gesetzliche Regelung für die Einführung des Entgeltsystems und die Verfügbarkeit von entsprechenden Groupern, um eine Abschätzung über die Erlössituation 2013 zu machen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es ähnlich wie bei der Einführung des DRG-Systems eine \"budgetneutrale\" Phase geben wird. Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich \"busgetneutral\" lediglich auf die Budgetplanung beziehen wird, bei den realen Erlösen kommen dann auch noch andere Effekte zum Tragen, wie beispielsweise eine Fehlplanung z. B. aufgrund mangelhafter Kodierung im Vorjahr sowie die mit der Entgeltrelevanz einsetzenden MDK-Prüfungen!


    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Hallo Herr Schaffert,

    ganz herzlichen Dank für die sehr ausführliche Antwort.

    Tatsächlich kann ich durchaus einige Parallelen zur DRG erkennen, ich würde durchaus auch von \"Fallpauschalen\" sprechen wollen, da der \"Fall\" sich ja auf die Diagnose bezieht. Diese findet über die Psych-PV bereits Eingang in die Berechnung des Entgeltes, ebenso wir dort bereits die Art der Therapie festgelegt.

    Habe ich richtig verstanden, dass bisher für eine Depression, einen Alkoholentzug und eine Schizophrenie im gleichen Krankenhaus bis dato der identische Tagessatz gezahlt wird?

    Nunmehr würde dann dieser einheitliche Tagessatz ausgeweitet werden in die 24 bzw. 25 Kategorien der Psych-PV, damit könnte man zumindest in Grenzen von einer Fallpauschale sprechen, oder?

    Beste Grüße,

    Markus Benicke

  • Schönen guten Tag Herr Benicke,

    Zitat


    Original von Pisolo:
    Tatsächlich kann ich durchaus einige Parallelen zur DRG erkennen, ich würde durchaus auch von \"Fallpauschalen\" sprechen wollen, da der \"Fall\" sich ja auf die Diagnose bezieht.

    Fallpauschalen bedeutet, dass es für den Behandlungsfall eine Pauschale gibt. Genau dies wird in der Psychiatrie nicht der Fall sein, sondern der Behandlungsfall wird individuell entsprechend der Verweildauer vergütet. Es handelt sich (zumindest nach der im Gesetz als Regel vorgesehenen Variante) nach wie vor um ein Tagesentgelt.


    Zitat


    Original von Pisolo:
    Diese findet über die Psych-PV bereits Eingang in die Berechnung des Entgeltes, ebenso wir dort bereits die Art der Therapie festgelegt.

    Ob die PsychPV überhaupt Eingang in die Entgeltermittlung findet, ist aus meiner Sicht ebenso fraglich. Hätte man die PsychPV als Grundlage der Entgeltermittlung haben wollen, hätte man keine weitere OPS zur Abbildung der Behandlungsintensität benötigt. Vieles deutet für mich darauf hin, dass die PsychPV-OPS nur eine Übergangserscheinung sein werden. Viel wesentlicher für die zukünftige Entgeltermittlung halte ich die Therapie-OPS ( 9-60 bis 9-64 )

    Zitat


    Original von Pisolo:
    Nunmehr würde dann dieser einheitliche Tagessatz ausgeweitet werden in die 24 bzw. 25 Kategorien der Psych-PV, damit könnte man zumindest in Grenzen von einer Fallpauschale sprechen, oder?

    Ich gehe jede Wette ein, dass wir mehr als 24-25 Kategorien haben werden!

    Zitat


    Original von Pisolo:
    Habe ich richtig verstanden, dass bisher für eine Depression, einen Alkoholentzug und eine Schizophrenie im gleichen Krankenhaus bis dato der identische Tagessatz gezahlt wird?

    Ja!

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Hallo allerseits!

    Zitat

    Original von Pisolo: Ab 2013 tagesbezogene Fallpasuschalen auf Basis von OPS und Psych-PV

    „Tagespauschalen“ käme der Sache vielleicht etwas näher – es sind eben keine auf den Fall bezogenen Pauschalen, sondern auf den Tag.
    Die Psych-PV-Eingruppierung und der OPS-Behandlungsbereich teilen den Patienten in einen grundlegenden „Aufwandsbereich“ ein.
    Aus Therapieeinheiten wird der „Leistungsanteil“ des Entgelts zusammengesetzt.

    Zitat

    Original von Pisolo: Läßt sich irgendwie grob quantifizieren, wie sich die Einkommenssituation bei den Kliniken ändern wird?

    Möglicherweise wird sich zukünftig das Entgelt gleichmäßiger über die Kliniken verteilen, als bisher mit jeweils unterschiedlich hoch verhandelten Tagessätzen.

    Zitat

    Original von R. Schaffert: Die Veröffentlichung des ersten Entgeltkataloges ist für Mitte bis Ende 2012 vorgesehen.

    Das finde ich recht problematisch, weil damit den Kliniken wirklich nur noch minimal wenig Zeit bleibt, um sich strategisch aufzustellen. Ich hoffe nur, daß der Entgeltkatalog möglichst realitätsnah gestaltet wird …

    Zitat

    Original von R. Schaffert: Ob die PsychPV überhaupt Eingang in die Entgeltermittlung findet, ist aus meiner Sicht ebenso fraglich.

    Ich finde es eine interessante Überlegung, ob die Psych-PV-Eingruppierung einen guten Kostentrenner darstellen könnte.

    Gruß,
    TicTac

    There is a theory which states that if ever anyone discovers exactly what the universe is for and why
    it is here, it will instantly disappear and be replaced by something even more bizarre and inexplicable.
    There is another theory which states that this has already happened. ~Douglas Adams