Anwendung besonderer Sicherungsmaßnahmen

  • Guten Tag!

    In der vorläufigen OPS-Version 2012 heißt das Intensivmerkmal gesetzliche Unterbringung jetzt Anwendung besonderer Sicherungsmaßnahmen. Bisher haben wir als gesetzlich untergebracht nur eingestuft wer auch wirklich einen Unterbringungsbeschluss nach PsychKG oder BGB hatte. Aber wenn man von einer besonderen Sicherungsmaßnahme spricht, denke ich, dass damit auch kurzfristige Fixierungsmaßnahmen gemeint sind. Sehe ich das richtig? Wie sind Ihre Meinungen dazu?

    Mit freundlichen Grüßen

  • Hallo Codierhexe,

    das ist eine sehr interessante Frage zu den Intensivmerkmalen im Kode 9-61! Hier der Abschnitt als Screenshot:

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    Die Umformulierung im Vorschlag für 2012 löst zwei Logikprobleme (und freut alle Kodierer und Programmierer, die wieder neu takten dürfen ...).

    Unlogisch war vielleicht, warum jede Unterbringung eine Intensivbehandlung auslösen sollte. Naja, man konnte es sich eigentlich erklären, etwa mit dem besonderen Sicherungsaufwand für einen PsychKG-Patienten oder besonderer Sorgfalt für einen per BGB untergebrachten Patienten. Jetzt ist die gesetzliche Voraussetzung nicht mehr das Kriterium, sondern der Aufwand für die Sicherung des Patienten.

    Fast noch interessanter ist, daß auch die vorher unnötig komplizierte Zählweise vereinfacht wurde. Mit dem OPS-Katalog 2011 mußte man bei mehr als einem Intensivmerkmal das Merkmal der Gesetzlichen Unterbringung wieder rausrechnen. Jetzt wird es ganz einfach mitgezählt. Logisch.

    Logisch? Irgendwie auch wieder nicht, denn die Merkmale der Eigen- oder der Fremdgefährdung oder der Hilflosigkeit enthalten sowieso diesen besonderen Sicherheitsaufwand, der damit - absichtlich? - irgendwie doppelt wiegt.

    Gruß und schönes Wochende,
    TicTac

    There is a theory which states that if ever anyone discovers exactly what the universe is for and why
    it is here, it will instantly disappear and be replaced by something even more bizarre and inexplicable.
    There is another theory which states that this has already happened. ~Douglas Adams

    Einmal editiert, zuletzt von TicTac (5. September 2011 um 01:06)

  • Guten Abend!

    Zitat

    Aber wenn man von einer besonderen Sicherungsmaßnahme spricht, denke ich, dass damit auch kurzfristige Fixierungsmaßnahmen gemeint sind. Sehe ich das richtig?

    Bei Fixierungen wäre ich ohne Beschluss vorsichtig. Zumindest sollte man recht zeitnah das Amtsgericht informieren. Wobei wir wieder bei der Unterbringung wären...

    Viele Grüße,

    B. Gohr

    Das Problem am Gesundheitssystem ist der aufrechte Gang. Der aufrechte Gang ist moralisch wünschenswert, orthopädisch aber eine Katastrophe.

  • Die Fixierungen ohne Beschluß sind meines Erachtens nicht ganz eindeutig gelöst: für einen kurzen Zeitraum sei das erlaubt, und was dieser kurze Zeitraum ist, liegt im Ermessen des jeweiligen Oberarztes. Ob das nun 1 Stunde ist oder 12...

    Was das Intensivmerkmal anbelangt sehe ich das ähnlich wie TicTac. Allerdings fällt ja unter dieses Merkmal vielleicht auch das Abschließen der Station bei fakultativ geschlossenen Stationen.


    Als Beispiel:

    Es besteht ja auch die Möglichkeit der Gefährdung durch Orientierunglosigkeit (Weg-/Hinlauftendenz), wo der Patient eng betreut wird und regelmäßig geführt und angeleitet. Wenn dazu aber noch kommt, daß die Stationstür geschlossen werden muß, weil es sonst immer wieder zu "Gerangel" an der Tür kommt... ich finde das dann nicht doppelt gewertet.

  • Hallo butterblume,
    damit wir nicht an dieser Stelle die wohl tausendste Diskussion starten, wann wir einen Menschen gegen seinen Willen fesseln dürfen:

    Zitat

    Eine Fixierung gegen den natürlichen Willen der betreffenden Person erfüllt regelmäßig den Straftatbestand einer Freiheitsberaubung und ist nur zulässig, wenn ein Rechtfertigungsgrund (z. B. eine akute Gesundheitsgefährdung der zu fixierenden Person oder anderer Personen) vorliegt und dieser durch die Fixierung abgewendet werden kann. In diesem Falle ist eine richterliche Anordnung erforderlich oder muss unverzüglich nachträglich beigebracht werden (Unterbringungsverfahren; die Voraussetzungen sind in der Bundesrepublik Deutschland durch § 1906 Abs. 4 BGB und die Psychisch-Kranken-Gesetze der Bundesländer geregelt). Die Fixierung selbst samt deren Begründung und deren Dauer, im Normalfall auch der mehrmals täglichen Unterbrechungen, muss in der Krankengeschichte dokumentiert werden.



    aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Fixierung…Voraussetzungen

    Viele Grüße,

    B. Gohr

    Das Problem am Gesundheitssystem ist der aufrechte Gang. Der aufrechte Gang ist moralisch wünschenswert, orthopädisch aber eine Katastrophe.

  • Guten Tag zusammen,

    es ist wirklich eine interessante Frage, was zu den besonderen Sicherungsmaßnahmen gezählt wird.
    Zwar lassen sich besondere Sicherungsmaßnahmen im PSychKG finden, auf die sich gestützt werden kann, jedoch werden zum Teil je nach Bundesland unterschiedliche Maßnahmen genannt.

    Hier einige Beispiele:
    Im §20 des PsychKG NRW werden als besondere Sicherungsmaßnahmen:

    Zitat

    - Beschränkung des Aufenthalts im Freien
    - Unterbringung in einem besonderen Raum
    - Fixierung (Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch mechanische Hilfsmittel)
    […] soweit und solange die Gefahr nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen abgewendet werden kann

    verstanden.

    In Bremen wird zusätzlich

    Zitat

    die vorübergehende Ruhigstellung durch Medikamente

    aufgeführt (§ 31 PsychKG).

    In Schleswig-Holstein (§ 16 Abs.2) heißt es:

    Zitat

    Besondere Sicherungsmaßnahmen dienen der Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit durch mechanische Vorrichtungen oder auf andere Weise, insbesondere durch
    1. Fixierung oder
    2. Ruhigstellung durch Medikamente.

    Manche Bundesländer verwenden das Unterbringungsgesetz. Dort werden die Maßnahmen offen gelassen, z.B. in Bayern (Art. 19 UnterbrG):

    Zitat

    Bedienstete der Einrichtung dürfen gegen Untergebrachte unmittelbaren Zwang anwenden, wenn dies zur Durchführung des Art. 12 Abs. 1 und 2, des Art. 13 oder von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung in der Einrichtung erforderlich ist. Bei Behandlungsmaßnahmen darf unmittelbarer Zwang nur angewendet werden, wenn der Betroffene zu deren Duldung verpflichtet ist.“


    M.E. wird die Umformulierung in „Anwendung von besonderen Sicherungsmaßnahmen“ der Aufwandsunterscheidung nicht gerecht und bringt eher eine definitionsbedürftige Unschärfe mit sich.

    Viele Grüße,

    TWaK

  • Hallo TWaK,

    Super Übersicht. :)

    M.E. wird die Umformulierung in „Anwendung von besonderen Sicherungsmaßnahmen“ der Aufwandsunterscheidung nicht gerecht und bringt eher eine definitionsbedürftige Unschärfe mit sich.

    Dem stimme ich zu. Eine wirkliche Klärung wird durch den geänderten Text des Vorschlags auch nicht herbeigeführt. :cursing:

    Gruß, TicTac

    There is a theory which states that if ever anyone discovers exactly what the universe is for and why
    it is here, it will instantly disappear and be replaced by something even more bizarre and inexplicable.
    There is another theory which states that this has already happened. ~Douglas Adams

  • Liebe Codierhexe, liebes Forum,   
    wir haben diese Frage diskutiert. Besondere Sicherungsmaßnahmen nach unserer Meinung sind a)Fixierungen, b)Aufenthalte auf geschlossenen Stationen, c)Aufenthalte auf offenen Stationen, der Pat. wird aber von einer oder mehreren Personen/Mitarbeitern betreut und kann nicht entweichen (Bsp. Das Herner Modell, M. Krisor) und d)der gerontopsychiatrische Pat. erhält besondere freiheitsbeschränkende -vom Vormundschaftsgericht genehmigte Maßnahmen- (Fixierstuhl, Bettgitter mit Aufsicht….usw.) Sehr gut ist die Aufzählung von TWaK.

    Wir haben uns auch gefragt, wie mit sehr kurzen Maßnahmen umzugehen ist, haben aber noch keine Antwort gefunden = Bspw. kurze Sicherungsmaßnahme von ca. 20-30Min. /Tag.

    Mit netten Grüßen Sommersprosse.
     (In der Schweiz gibt es besondere Isolierungs-Zimmer.)  Die Hinweise von Hr. Gohr sind die rechtliche Basis, ohne rechtliche Genehmigung ist eine solche Maßnahme nur im Notfall für (sehr) kurze Zeit möglich.

  • Hallo,

    gern möchte ich den m.E. sehr guten Ansatz von TWaK um die niedersächsischen Regelungen ergänzen, die das Thema anreißen:

    § 23 Nds. MVollzG - Besondere Sicherungsmaßnahmen

    (1) (...) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig:
    1. der Entzug oder die Beschränkung des Aufenthalts im Freien,
    2. die Absonderung von anderen Untergebrachten,
    3. die kurzdauernde mechanische Fixierung,
    4. die Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum.

    Besondere Sicherungsmaßnahmen sind ärztlich zu überwachen. (...)

    § 81 NJVollzG - Besondere Sicherungsmaßnahmen

    (1) Gegen eine Gefangene oder einen Gefangenen können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem oder seinem Verhalten oder aufgrund ihres oder seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maß Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht.

    (2) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig:
    1. der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen,
    2. die Beobachtung bei Nacht,
    (...)

    Zulässig ist eine Unterbringung einer Person gem. § 16 NPsychKG, wenn von ihr infolge ihrer Krankheit oder Behinderung im Sinne des § 1 Nr. 1 eine gegenwärtige erhebliche Gefahr (§ 2 Nr. 1 Buchst. b und c Nds. SOG) für sich oder andere ausgeht und diese Gefahr auf andere Weise nicht abgewendet werden kann.

    Zusammenfassend sind also "besondere Sicherungsmaßnahmen im o.g. Sinne:

    1. der Entzug oder die Beschränkung des Aufenthalts im Freien,
    2. die Absonderung von anderen Untergebrachten,
    3. die kurzdauernde mechanische Fixierung,
    4. die Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum.
    5. der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen (so auch § 23 NPsychKG) sowie
    6. die Beobachtung bei Nacht.

    Medikamentöse Sedierung gilt juristisch als Fixierung, diese gilt m.E. auch als "besondere Sicherungsmaßnahme".

    Gem. § 22 NPsychKG unterliegt die untergebrachte Person nur denjenigen Beschränkungen ihrer Freiheit, die sich aus dem Zweck der Unterbringung und aus den Anforderungen eines geordneten Zusammenlebens in dem Krankenhaus ergeben, in dem sie untergebracht ist. Maßnahmen, welche die Freiheit der untergebrachten Person beschränken, sind im Verlauf der Behandlung ständig zu überprüfen und der Entwicklung der betroffenen Person anzupassen

    Unbedingt zu beachten in diesem Zusammenhang sind insbesondere neben den PsychKG's der Länder auch §§ 312 ff. FamFG sowie § 1906 BGB.

    Das entgeltrelevante Intensivmerkmal "Anwendung besonderer Sicherungsmaßnahmen" wäre also nachvollziehbar auch i.S.d. o.g. § 23 I S. 3 Nds. MVollzG gerechtfertigt, das diese Maßnahmen (hier) ärztlich zu überwachen und Freiheitsbeschränkungen i.S.d § 22 NPsychKG (hier von allen OPS-relevanten Berufsgruppen?) ständig zu überprüfen sind, also einen besonderen zusätzlichen Aufwand erfordern.

    Wir werden wohl die nächsten OPS-Kommentierungen (oder MDK-Prüfungen?) abwarten müssen, um weitergehende Sicherheit zu erlangen... :huh:

    Über weitere Ideen und Gedanken zum Thema freut sich

    Ihr ck-pku

  • Hallo Zusammen,

    auch wir in der Klinik diskutieren gerade heftigst über diesen Rechtsbegriff "Besondere Sicherungsmaßnahme" aus dem Strafvollzugsgesetz, oder Bayr. Unterbringungsgesetz...

    Aber ist hier tatsächlich dieser Rechtsbegriff gemeint..?

    Müsste er sich in der OPS 2012 nicht dann auch so kennzeichnen?
    "Besondere Sicherungsmaßnahme i.S.d. StvollzG, oder UnterbrG des jeweiligen Landes"?

    Könnte es nicht genauso sein, dass in der Behandlung psychiatrischer Patienten - bei freiwilliger Behandlung - und z.B. bei akuter Suizidalität - auch eine geschlossene Station, Ausgang nur durch begleitendes Personal... bereits eine besondere Sicherungsmaßnahme sind?

    Nicht jeder hochakute Patient ist gleichzeitig untergebracht...Es gibt auch die "Bei Entlassungswunsch-Unterbringung-beantragen-Patienten"...auch diese Patienten erfordern besondere Sicherungsmaßnahmen, aber eben nicht im Sinne des "Rechtsbegriffes"

    Ich denke da gibt es noch enormen (Er-)Klärungsbedarf
    Herbstliche Grüße
    Money-Penny

    Money-Penny

    "unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann..."

    Einmal editiert, zuletzt von Money-penny (14. November 2011 um 14:20)

  • Hallo money-penny,
    genau das ist das Problem mit dem schwammigen Text im OPS, nicht nur in 2012.
    Leider sind wir hier wohl gezwungen, auf erläuternde FAQ seitens des DIMDI zu warten (wie schon so oft...).

    Bis dahin zerbreche ich mir jedenfalls nicht den Kopf.

    Beste Grüße,

    B. Gohr

    Edit:
    Das klingt vielleicht ignorant, ist jedoch nicht so gemeint. Vielleicht haben wir bis zum 01.01.2012 ja eine Klärung der frage - ansonsten werden wir klinikintern eine prüfresistente Lösung finden.

    Das Problem am Gesundheitssystem ist der aufrechte Gang. Der aufrechte Gang ist moralisch wünschenswert, orthopädisch aber eine Katastrophe.

    Einmal editiert, zuletzt von B. Gohr (14. November 2011 um 14:42)