schwer selbstbeschädigendes Verhalten

  • Hallo!

    Das Intensivmerkmal akute Selbstgefährdung durch Suizidalität wurde um den Punkt schwer selbstbeschädigendes Verhalten erweitert. Wo bitte fängt schwer selbstbeschädigendes Verhalten an? Ist es schon schwer selbstbeschädigendes Verhalten, wenn ein Patient mit Borderlineerkrankung sich die Arme ritzt? Hängt die Schwere dann von der Ritztiefe ab? Spaß beiseite, mal ganz ehrlich ist nicht jedes selbstschädigende Ereignis schwerwiegend? Ob ich mich nun ritze, Rasierklingen schlucke oder mir Verbrennungen zufüge?

  • Hallo codierfee,
    abgesehen davon, dass auch hier wieder ein Arzt die Entscheidung trägt... Sollten wir uns nicht eher die Frage stellen, was "nicht schwer selbstschädigendes" Verhalten ist?
    Wenn ein Patient raucht, fügt er sich selbst Schaden zu. Ist das nun "scher" oder "nicht schwer"?
    Jemand trinkt Alkohol. Ein Bier. "Schwer" oder "nicht schweres" selbstschädigendes verhalten?
    Vier Stücke Torte am Nachmittag zu drei Tassen Kaffee. "Schwere" Selbstschädigung?
    Schnuppern an der frisch lackierten Tür auf dem Stationsflur. Sicherlich auch selbstschädigend. Aber "schwer"?

    Ich hoffe auf reichhaltige Diskussion!

    Viele Grüße,

    B. Gohr

    Das Problem am Gesundheitssystem ist der aufrechte Gang. Der aufrechte Gang ist moralisch wünschenswert, orthopädisch aber eine Katastrophe.

  • Schönen guten Tag allerseits

    Zitat

    "...seit dem sie dich erzeugten mit liebestollem Stöhnen
    solltest du dich gleich an den Gedanken gewöhnen:
    Es können weder ich noch du noch irgendwer dafür,
    es geht zu Ende mit dir!...

    Heinz Rudof Kunze

    letztlich ist das Leben an sich ein "selbstschädigendes Verhalten"

    Wie so oft geht es in der Psychiatrie um die Grenze zwischen dem "Normalen" und dem "Pathologischen". Diese ist auch keine Linie, sondern ein breites Band aus "Niemandsland". Die ist sicher eines der Probleme, die sich im Zusammenhang mit der klassifikatorischen Abbildung der Psychiatrie ergeben, insbesondere wenn es später dabei einmal ums Geld geht. Unbestimmte Adjektive wie "schwer" verschieben den Grenzstreifen höchstens, machen ihn jedoch kaum schmaler.

    Die Psychiatrie ist ein deskriptives ("beschreibendes") Fachgebiet und als solches eben nicht so exakt, wie manch anderer Bereich der Medizin. Es gibt eben keinen Laborwert und meist auch kein morphologisches Korrelat, aus denen eine Aussage über "krank" oder "nicht krank" geschlossen werden kann. Das Problem daran ist (im Zusammenhang mit dem Entgeltsystem), dass vieles in der Psychiatrie dadurch sehr vom Behandler abhängig und damit sehr subjektiv ist. Davon ein Entgeltsystem abhängig zu machen, finde ich schon ziemlich absurd.

    Entweder bleiben die unterschiedlichen Interpretationen bestehen, mit der Folge, dass die Kodierungen ebenfalls unterschiedlich sind, oder die psychiatrische Behandlung wird auf Biegen und Brechen standardisiert. Ob das wünschenswert ist und letztlich den individuellen Bedürfnissen der Patienten gerecht wird, möchte ich bezweifeln.

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Guten Morgen,

    ich wäre dafür, der freien Interpretation ein wenig Einhalt zu gebieten und die Diskussion zu versachlichen, um der Intention der Macher des DIMDI und dem Gegenstand, schwerwiegende Merkmale zu finden, die eine Einstufung in den OPS-Intensivbereich rechtfertigen und einer zukünftigen MDK-Prüfung standhalten, Rechnung zu tragen.

    Herr Dr. Godemann hat in seinem Kodierleitfaden für die Psychiatrie und Psychosomatik 2011 i.d.S. eine Definition der Patientenmerkmale im Intensivkode auf S. 110 f. vorgenommen. "Dabei wurden die Definitionen der Merkmale verschiedenen national und international etablierten Skalen entnommen." Dies ist meiner Meinung nach ein fachlich sauberer, guter und gangbarer Weg, mögliche Interpretationen zu operationalisieren.

    Für das "schwer selbstbeschädigende Verhalten" würde es sich m.E. im o.g. Sinne z.B. anbieten, das "Interview zur Erfassung schwerwiegender Störungen der Verhaltenskontrolle - SBDI (Severe Behavioral Dyscontrol Interview)" anzuwenden.

    Auf Einschätzungen hierzu freut sich

    mit freundlichen Grüßen,

    ck-pku

    Einmal editiert, zuletzt von ck-pku (2. November 2011 um 08:52)

  • Hi,

    das ist ein sehr guter Ansatz zur adäquaten Beurteilung dieses Merkmals.

    Gruß, TicTac

    There is a theory which states that if ever anyone discovers exactly what the universe is for and why
    it is here, it will instantly disappear and be replaced by something even more bizarre and inexplicable.
    There is another theory which states that this has already happened. ~Douglas Adams