Neues vom BSG / LSG

  • Hallo ins Forum,

    ich sehe die Sache eigentlich noch viel kritischer.
    In der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte der Bundesärztekammer gibt es den § 29, der in allen Berufsordnungen der Landesärztekammern umgesetzt wurde.
    Hier steht im Absatz (1) u. a. "Unsachliche Kritik an der Behandlungsweise oder dem beruflichen Wissen einer Ärztin oder eines Arztes sowie herabsetzende Äußerungen sind berufswidrig." und im Absatz (4) " In Gegenwart von Patientinnen und Patienten oder anderen Personen sind Beanstandungen der ärztlichen Tätigkeit und zurechtweisende Belehrungen zu unterlassen. "

    Wenn ich als Arzt also in Umsetzung des BSG-Urteils die Behandlung des Patienten ablehne, hat das im Fall von gesundheitlichen Spätfolgen nicht nur haftungsrechtliche Konsequenzen.
    Wenn ich den Patienten zurück zum Vertragsarzt schicke und ihm das nach BSG-Urteil damit begründe, dass sein Hausarzt pflichtwidrig die notwendige vertragsärztliche Diagnostik nicht ausgeschöpft hat, verstoße ich gegen die ärztliche Berufsordnung.
    Das BSG-Urteil könnte damit für den Arzt, der es umsetzt, die Einleitung eines berufsrechtliche Verfahrens bedeuten.
    Ist das vom BSG nun schon fahrlässige Aufforderung zum Rechtsverstoß? Ich bin kein Jurist. Aber vielleicht sollten sich die Bundesärztekammer und die Landesärztekammern des Sachverhaltes mal annehmen.
    Wir können uns als Ärzte doch, auch wenn es das BSG ist, nicht alles gefallen lassen.

    Viele Grüße

    MC1

  • Hallo MC1,
    mit der Kritik schießen Sie m.E. übers Ziel hinaus. Die MBO-Ä steht zum einen als satzungsmäßiges Recht gesetzgebungstechnisch in der Hierarchie unterhalb des SGB V, zum anderen meint die Regelung einen anderen Fall (Verbot unsachlicher Kritik und herabsetzender Äußerungen) und ist gem. der einschlägigen Kommentierung ggf. einschränkend auszulegen, wenn die Aussage zum Wohle des Patienten getroffen wird. Bei dem Hinweis, dass der niedergelassene Kollege § 73 Abs. 4 SGB V nicht (ausreichend) beachtet hat, dürfte es sich nicht um "unsachliche Kritik" handeln. Ob darin eine "unzulässige Beanstandung der ärztlichen Tätigkeit" zu sehen ist, die das Vertrauen in den Vorbehandler erschüttert, würde ich ebenfalls eher kritisch sehen...

    Wäre jedenfalls tatsächlich interessant, was die Kammern auf Anfrage hierzu meinen ?(

  • Hallo RA Berbuir,

    danke für Ihren Beitrag aus juristischer Sicht. Ich werde das bei unserer Landesärztekammer mal anfragen.

    Was ich allerdings nicht verstehe: Wieso dient die Aussage, dass der Hausarzt pflichtwidrig die notwendige vertragsärztliche Diagnostik nicht ausgeschöpft hat und das Wegschicken des Patienten dem Wohl des Patienten.
    Es ist doch eher umgekehrt. Die Diagnostik u./o. Therapie wird dadurch weiter verzögert. Vielleicht ist die Diagnose in dem vom BSG entschiedenen Fall nicht gerade ein gutes Bsp.
    Was ist aber, wenn z. B. der Hausarzt einen Patienten wegen seit über einer Woche bestehenden Oberbauchschmerzen ins Krankenhaus einweist. Normalerweise würden wir da Abdomensonographie und Gastroskopie machen, das Ulcus ventriculi feststellen und den Patienten mit PPI-Medikation heimschicken. Vorstationäre Behandlung und Abrechnung. Weiterbehandlung dann durch Hausarzt.

    Nach BSG-Urteil müssten wir den Patienten jetzt mit dem Hinweis, dass sein Hausarzt pflichtwidrig gehandelt hat, an den Hausarzt zurückschicken, weil ambulant noch keine Sonographie gemacht worden ist und auch die Gastroskopie ist prinzipiell ja bei niedergelassenen Gastroenterologen möglich. Bis der Patient dort einen Termin hat, das dauert.
    Wie ausgeprägt ein Ulcus ventriculi ist, lässt sich an Hand der Schmerzstärke nicht zuverlässig beurteilen. Auch Patienten mit ausgeprägten Befunden haben manchmal "nur" leichte Schmerzen.

    Wie sieht denn aber im gerade konstruierten, praxisnahen Fall die Sache juristisch aus, wenn der Patient zwischen Wegschicken durch das Krankenhaus und Termin beim Gastroenterologen eine Blutung aus dem Ulcus ventriculi erleidet, zum Notfall wird mit allen daraus eventuell entstehenden Komplikationen, z. B. Aspiration von erbrochenem Blut, Sturz wegen Hypotonie durch die Blutung, Transfusionspflicht etc.
    Ich bezweifle, dass das Krankenhaus, dass den Patienten mit Verweis auf das BSG-Urteil weggeschickt hat, hier aus der Haftung raus wäre.
    Eher würde doch die Kasse den MDK beauftragen mit der Frage, ob durch frühzeitigere Behandlung die Komplikationen nicht zu verhindern gewesen wäre, was der MDK hier zu Recht bejahen würde. Die Kasse würde doch mit Sicherheit versuchen, sich die Kosten für die Behandlung bei Komplikationen vom Krankenhaus, das den Patienten weggeschickt hat, zurückzuholen.
    Außerdem könnte der Patient hier mit guten Erfolgsaussichten selbst klagen.

    Noch eine Frage: Betrifft der § 73 Abs. 4 SGB V nicht eher das Verhältnis des niedergelassenen Arztes zur Kassenärztlicher Vereinigung. Ich meine, geht es hier nicht eher darum, dass der Hausarzt von KV o. Kasse wegen unzulässiger Verordnung von Krankenhausbehandlung belangt werden kann.

    Ich bin mal gespannt, was mir die Ärztekammer antwortet.

    Viele Grüße

    MC1

  • Hallo,
    nicht nur das BSG trifft interessante Entscheidungen. Auch der BGH hat gestern ein für das Krankenhaus nicht unwesentliche Entscheidung getroffen.

    Der BGH hat entschieden (III ZR 85/14), dass vom Krankenhausträger nicht fest angestellte Honorarärzte, die im Krankenhaus Operationen durchführen, ihre operative Tätigkeit gegenüber (Privat-)Patienten nicht als Wahlleistung im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) erbringen und gesondert abrechnen können.

    Nähere Infos: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&pm_nummer=0145/14

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Hallo,
    das Urteil des BSG vom 1.7.2014, B 1 KR 62/12 R ("Vergütung bei ggf fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten ") ist jetzt im Volltext veröffentlicht.
    Zur Zeit ist es hier beim BSG zu finden.

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • ok, also um es zusammenzufassen: die Vertragspartner dürfen zwar nach § 112 verbindliche Regeln für die Abrechnung treffen, aber wenn sich herausstellt, dass diese Regeln eine fiktive günstigere Abrechnung zu Gunsten der Kassen verhindern, soll man sich daran nicht halten müssen, weil das Wirtschaftlichkeitsgebot halt über allem steht...!? wer bestimmt denn jetzt, was noch als fiktiv zulässige Abrechnung gilt? wie soll man so denn noch eine vernünftige Buchhaltung führen können? und in Bezug auf die KHs heißt es aber bei nicht kostendeckenden DRGs, naja das könnt ihr doch einfach im nächsten Jahr anpassen (zB Urt. v. 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R) - schwer nachvollziehbar alles :cursing:

    Einmal editiert, zuletzt von RA Berbuir (22. Oktober 2014 um 15:18)

  • die Entscheidung zur AP B 1 KR 29/13 R ist nun auch online und verwirrt mich. 8|

    Sachverhalt war wie folgt: KH rechnet ab, KK lässt MDK Verweildauer prüfen, diese wird bestätigt, Kasse zahlt aber nur geringere DRG, da nach ihrer Ansicht die HD falsch war und beauftragt MDK außerhalb der 6-Wochenfrist mit neuer Prüfung. MDK prüft erneut (auf welcher Grundlage die Stellungnahme erstellt wurde, wird nicht ausgeführt - soweit ersichtlich, beruhte die Einschätzung nur auf der Erinnerung des Prüfers an die erste Prüfung) und kommt zu einer 3. HD, die aber die von der KK gewünschte DRG ergibt. KH widerspricht, will aber Unterlagen nicht erneut herausgeben, da 6 Wochenfrist nicht eingehalten für die HD-Prüfung und klagt auf Restzahlung und AP.

    BSG sagt nun einerseits, das KH habe durch seine Weigerung der Vorlage der Patientenakte seinen Anspruch auf die von ihm für korrekt erachtete HD und DRG nicht beweisen können. Es sei egal, dass die 6 Wochenfrist abgelaufen sei, weil es darüber hinaus einen sog. allgemeinen "sachlich-rechnerischen" Prüfanspruch der KK gebe, der unabhängig von der Prüfung nach § 275 Abs. 1c SGB V bestehe. Der Anspruch auf die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einer Abrechnung ergebe sich aus § 301 Abs. 1 SGB V (dort steht hiervon allerdings nichts, sondern lediglich eine Auflistung der Inhalte des 301er-Datensatzes ?( ) und sei weder an Fristen noch an eine Prüfanzeige gebunden. Auf entsprechende Anforderung müsse das KH dann aber die Behandlungsunterlagen herausgeben. Im Streitfall hätten aufgrund der Angaben des MDK im zweiten Gutachten erhebliche Zweifel an der HD bestanden, die aufgrund der Weigerung des KH nicht aufgeklärt werden konnten.

    i.E. wird damit m.E. die Ausschlussfrist des § 275 Abs. 1c komplett unterlaufen, da die KKen sich nun im Zweifel immer auf die "sachlich-rechnerische" Prüfung berufen können, mit der Folge, dass die KH jederzeit Unterlagen vorlegen müssen und keine Gefahr einer AP besteht. Oder übersehe ich da was?

  • Guten Morgen,

    die Entscheidung zur AP B 1 KR 29/13 R ist nun auch online und verwirrt mich. 8|

    ok, also um es zusammenzufassen: die Vertragspartner dürfen zwar nach § 112 verbindliche Regeln für die Abrechnung treffen, aber wenn sich herausstellt, dass diese Regeln eine fiktive günstigere Abrechnung zu Gunsten der Kassen verhindern, soll man sich daran nicht halten müssen, weil das Wirtschaftlichkeitsgebot halt über allem steht...!? wer bestimmt denn jetzt, was noch als fiktiv zulässige Abrechnung gilt? wie soll man so denn noch eine vernünftige Buchhaltung führen können? und in Bezug auf die KHs heißt es aber bei nicht kostendeckenden DRGs, naja das könnt ihr doch einfach im nächsten Jahr anpassen - schwer nachvollziehbar alles :cursing:

    das macht mir ein wenig Angst, wenn Anwälte eine solche Bewertung der aktuell rechtlichen Lage äußern :wacko:
    In der Tat sind große Anteile der BSG "Rechtsprechung" der letzten 2 -3 Jahre in der Praxis nicht mehr anwendbar.
    Man merkt einfach, daß es sich die Richter aus meiner Sicht zu leicht machen, das rührt wohl auch daher, dass die Nähe zu Kassen/Politik wohl deutliche ausgeprägter ist. Man kann nun bestätigen, dass die jahrelang vorbereitete Schmutzkampagne nun große Früchte trägt.

    In den Köpfen steht nun geschrieben "Krankenhäuser sind Betrüger" und gegen eine solche Lobby kommen Sie nicht an.
    Insofern rechne ich mit noch schlimmeren Urteilen zu Lasten der Kliniken. Eine in der Vergangenheit benannte Waffengleichheit (BSG) gibt es erkennbar schon lange nicht mehr.
    Ich lasse mich gerne eines besseren belehren, allerdings warte ich wie gesagt schon 2-3 Jahre darauf...
    Wollen wir nicht hoffen, dass es dieser Lobby gelingt, den Krankenhaussektor kaputt zu sparen um dann wieder laut zu schreien,
    wenn man sie doch wieder braucht. Die Welt ist global, das Denken lokal :thumbdown:

    MfG
    Ductus
    Die Welt ist global, das Denken lokal

    2 Mal editiert, zuletzt von Ductus (21. Oktober 2014 um 07:08)

  • was mich immer wieder wundert, ist dass die in diesen Verfahren klagenden KHs dann am BSG letztlich klein beigeben, anstatt ggf. mal den Weg der Verfassungsbeschwerde zu gehen, sofern man hier einen eklatanten Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben sieht - auch BSG-Entscheidungen sind überprüfbar. Hilfreich wäre hier zudem natürlich auch eine aktivere Unterstützung der DKG bzw. Landesverbände in derartigen Grundsatzangelegenheiten... :huh:

  • Zur Info: die immer noch nicht von allen Kassen akzeptierte Rechtsprechung des 3. Senats zur Frage Haushaltsjahr (nur lfd. Geschäftsjahr vs. zusätzlich auch noch das Folgejahr) ist nun wieder beim BSG angelangt - lustigerweise aber nicht beim von den Kassen präferierten 1. Senat, sondern beim 3. - bin mal gespannt wie das ausgeht, wenn die Richter lesen wie die 3-Buchstabenkasse da in den Vorinstanzen über deren Urteile hergezogen ist... :D

  • wie bereits auf der News-Seite berichtet, das nächste Urteil (B 1 KR 24/13 R) ist veröffentlicht

    Darin wird diese lustige Diskussionsrunde "geadelt" indem tatsächlich auf einen Thread verwiesen wird und Herr Selter quasi namentlich zitiert wird - also ab sofort Obacht: was man hier schreibt, kann sich ganz schnell in einem Urteil wiederfinden... :D

    Zum Urteil selbst, das BSG verfestigt seine Auffassung zu einer von § 275 Abs. 1c SGB V losgelösten Prüfbefugnis der KKen inkl. Einsichtnahme in Patientenakten. Die sog. "sachlich-rechnerische Richtigkeit" einer Abrechnung (den Begriff kannte ich bislang nur aus dem Bereich des Vertragsarztrechts, § 106a Abs. 2 SGB V) könne bereits bei kleinsten Anhaltspunkten infrage gestellt werden, mit der Folge, dass die Krankenhäuser dann auch außerhalb der 6-Wochenfrist zur Vorlage von Behandlungsunterlagen verpflichtet seien. Insbesondere seien damit Fälle umfasst, in denen von den DKR oder der "Kodierpraxis" abgewichen wird, bzw. Streit über deren Auslegung besteht. Um die jeweilige Kodierpraxis zu bestimmen, werden die DKR, Stellungnahmen der Fachgesellschaften, DIMDI, MDK-Einschätzungen und sogar Internetdiskussionsrunden ausgewertet. Da aber eben auch Unstimmigkeiten in der Fachwelt bereits Zweifel begründen können, dürfen die KHs also nunmehr jedesmal wenn sie statt dem MDK der FoKA-Empfehlung folgen, verpflichtet sein, dies mit der Abrechnung anzugeben, woraufhin dann der MDK bis zum Ende der Verjährung den Fall prüfen darf. Das ursprünglich vom Gesetzgeber verfolgte Ziel einer Eindämmung der Einzelfallprüfung ist damit durch das BSG erledigt - m.E. ist das unzulässige Rechtsfortbildung, die zudem im Gegensatz zu früheren Urteilen des BSG (B 3 KR 64/01 R, B 3 KR 24/07 R) steht, in denen ausdrücklich festgestellt wurde, dass sich aus § 301 SGB V gerade kein Anspruch auf Einsichtnahme in Behandlungsunterlagen ableiten lasse. Hier hätte man eigentlich erwartet, dass insoweit eine Auseinandersetzung bzw. Vorlage an den Großen Senat erfolgt... :|

    Ein schlüssiges, praxistaugliches Konzept zur Krankenhausabrechnungsprüfung ist der Rechtsprechung damit weiterhin nicht zu entnehmen. Den Unterschied zwischen einer "Auffälligkeit" i.S.v. § 275 Abs. 1 Nr. 1 3. Alternative SGB V und der "sachlich-rechnerischen Unrichtigkeit" i.S.v. § 301 Abs. 1 SGB V hat das BSG weiterhin nicht nachvollziehbar herausgearbeitet, denn der Streit über die Frage der richtigen Kodierung von ICD und OPS ist einem lernenden System immanent.

    Ein Zitat aus der Entscheidung zum Az. B 1 KR 52/12 R macht den Zirkelschluss komplett:

    Zitat

    Es bestehen Auffälligkeiten, die die KK zur Einleitung einer Abrechnungsprüfung unter Anforderung einer gutachtlichen Stellungnahme des MDK berechtigen und verpflichten, wenn die Abrechnung und/oder die vom Krankenhaus zur ordnungsgemäßen Abrechnung vollständig mitgeteilten Behandlungsdaten und/oder weitere zulässig von der KK verwertbare Informationen Fragen nach der - insbesondere sachlich-rechnerischen - Richtigkeit der Abrechnung und/oder nach der Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots aufwerfen, die die KK aus sich heraus ohne weitere medizinische Sachverhaltsermittlung und -bewertung durch den MDK nicht beantworten kann.

    Eine mögliche sachlich-rechnerische Unrichtigkeit soll also eine Auffälligkeit begründen, aber gleichzeitig auch ein eigenes Prüfverfahren eröffnen? ?(

    Auch der ganze Aufwand für die neue PrüfVV wird somit letztlich überflüssig, da man immer über die Hintertür der sachlich-rechnerischen Prüfung abgeschlossene Fälle öffnen kann.

    Einmal editiert, zuletzt von RA Berbuir (28. Oktober 2014 um 12:04)