Neues vom BSG / LSG

  • Guten Morgen,
    die Urteilsbegründung vom Juli 2016 ist jetzt da. Interessant sind die (allgemeinen) Ausführungen zur Festlegung der Hauptdiagnose, zur Kodierbarkeit von ambulant durchführbaren Operationen im Aufenthalt und die Definition der Begriffe KKn-Haushaltsjahr, Rechnungsjahr, Geschäftsjahr und die Dauer der möglichen Nachkodierung.
    Aber sehen Sie selbst:
    http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&nr=14380

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • das bedeutet also, wenn eine Diagnose objektiv bei Aufnahme vorlag, aber erst später entdeckt und dann stationär behandelt wird, somit also bei der Entscheidung zur stationären Aufnahme nicht berücksichtigt wurde, kann diese dennoch auch HD sein und ist ggf. im Rahmen konkurrierender HD zu berücksichtigen. Der teilweise unter Rückgriff auf die von Zaiß geprägte Formel "Warum wurde der Patient ins Bett gelegt?" vertretenen Auslegung, dass der Begriff "Veranlassung" aus der DKR 002 in dem Sinne zu verstehen sei, dass nur im Rahmen der Aufnahmesituation bereits erkannte Diagnosen als HD in Betracht kommen und später erkannte, aber bereits bei Aufnahme vorliegende Diagnosen wie neu aufgetretene Erkrankungen zu behandeln sind, wird damit eine Absage erteilt.

    Im Übrigen wird der 3. Senat insoweit bestätigt, dass Rechnungskorrekturen bis zum Ablauf des auf das Jahr der Abrechnung folgenden Kalenderjahres zulässig sind und nicht der Verwirkung unterliegen. Als Begründung für die faktische Verkürzung der Korrekturmöglichkeiten unterhalb der normalen Verjährungsfristen wird erneut lediglich das haushaltsplanerische Interesse der KKen angeführt, die dagegen z.B. von Korthus, KH 2010, 49 und Knispel, NZS 2013, 685 vorgebrachte Kritik wird nicht aufgegriffen.

  • Hallo,

    Erstens geht es nicht um die Veranlassung der "Aufnahme" sondern um die des "Krankenhausaufenthaltes"

    Zweitens ist die Schlussfolgerung, eine bei Aufnahme unbekannte Diagnose könne Hauptdiagnose sein, aus dem Urteil nicht ableitbar. Das Gericht sagt (RN 16): "Hingegen spielt die zeitliche Abfolge der stationären Behandlung zweier oder mehrerer im Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme stationär behandlungsbedürftiger Diagnosen keine Rolle." Es ist in der Begründung wie auch im zugrundeliegenden Fall keine Rede davon, dass die Diagnose noch nicht bekannt sei. Vielmehr geht das Gericht anhand des konkreten Falles eher davon aus, dass die konkurrierende Diagnose (hier Radiusfraktur) bekannt ist. Somit können sehr wohl beide - bei Aufnahme bekannten - Diagnosen die Veranlassung der Behandlung als Ganzes darstellen, z.B. weil mit der OP gewartet wurde, bis der Infekt abgeklungen war.

    Viel viel interessanter - weil gefährlicher - finde ich die folgende Bemerkung des Gerichts (RN 17): "Das LSG hat keine Feststellung dahin getroffen, dass der chirurgische Eingriff nur bei Gelegenheit der stationären Aufnahme des Versicherten zur Behandlung der Refluxkrankheit erfolgt sei, aber seinerseits keinen stationären Krankenhausaufenthalt bedingt hätte. In einem solchen Falle, auf den sich die Klägerin im Revisionsverfahren berufen hat, könnte sie mangels Erforderlichkeit keine zusätzliche Vergütung beanspruchen."

    Das ließe sich interpretieren als dass Leistungen des Krankenhauses, die prinzipiell ambulant durchzuführen wären, jedoch im Rahmen eines durch andere Gründe bedingten stationären Aufenthaltes durchgeführt werden, nicht vergütungsrelevant sein dürften. Na dann: Viel Spaß!

    Gruß

  • Der teilweise unter Rückgriff auf die von Zaiß geprägte Formel "Warum wurde der Patient ins Bett gelegt?" vertretenen Auslegung, dass der Begriff "Veranlassung" aus der DKR 002 in dem Sinne zu verstehen sei, dass nur im Rahmen der Aufnahmesituation bereits erkannte Diagnosen als HD in Betracht kommen und später erkannte, aber bereits bei Aufnahme vorliegende Diagnosen wie neu aufgetretene Erkrankungen zu behandeln sind, wird damit eine Absage erteilt.

    Ich verstehe das BSG- Urteil ein bisschen anders.
    Zwar muss die richtige Diagnose nicht bereits bei Aufnahme bekannt sein, sondern sie wird ex-Post, nach Analyse festgelegt, wie es ja die DKR schon immer festlegen. Aber diese Diagnose muss schon die stationäre Aufnahme veranlasst haben.
    Es kommt aber nicht darauf an, welche von zwei Hauptdiagnosen im Verlauf zuerst behandelt wird. Im konkreten Fall vermuten die BSG Richter wahrscheinlich, dass die Behandlung der Gastroenteritis vor der geplanten OP erfolgen musste. Das macht ja medizinisch auch durchaus Sinn (Abschwellen der Fraktur, OP Risiko und hygienische Aspekte).
    Nur für den Fall, dass die Fraktur die stationäre Behandlung nicht (mit-) veranlasst haben sollte, sagt das BSG, das dann die OP gar nicht mit abgerechnet werden dürfte. Das ist vor dem Hintergrund der gefestigten Rechtsprechung zum " fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhalten" ja auch logisch:
    Wenn die Radiusfraktur ambulant möglich war, wäre eine getrennte Abrechnung ( G67D und später AOP) ja wesentlich wirtschaftlicher als die DRG 901D gewesen.
    Da liegt wirklich eine neue Herausforderung drin, wie GW schreibt!

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Hallo Herr Breitmeier,

    das ist eine gute Grundlage. Den begleitenden Diabetes, Hypertonus und die COPD kann das Krankenhaus dann zukünftig auch nicht mehr abrechnen, weil diese ja ihrerseits "keinen stationären Krankenhausaufenthalt bedingt hätten". Es wird immer absurder.

    Im Übrigen:

    • Hauptdiagnose ist "die Diagnose, die ... hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes verantwortlich ist."
    • "Wenn zwei oder mehrere Diagnosen ... die Kriterien für die Hauptdiagnose erfüllen..., muss ... entschieden werden, welche Diagnose am besten der Hauptdiagnose-Definition entspricht. Nur in diesem Fall ist ... diejenige auszuwählen, die ... die meisten Ressourcen verbraucht hat." (Hervorhebungen durch den Verfasser)

    Gilt die Rechtsprechung ab sofort oder müssen wir erst abwarten, bis das InEK die Begriffe "hauptsächlich" und "nur in diesem Fall" gestrichen hat?
    Das InEK sollte sich damit aber ein wenig Zeit lassen. Seit gut zwei Jahren ist es beim BSG üblich, die Entscheidungen pensionierter Senatsvorsitzender aufzugeben, aus Gründen der "Klarstellung", wie es heißt.

    Viele Grüße

    Medman2

    Einmal editiert, zuletzt von medman2 (16. September 2016 um 23:20)

  • Hallo Medman2,

    Der Unterschied zwischen den von Ihnen genannten Diagnosen und der Radiusfraktur ist doch die Operation, die das Khs nachkodiert hat. Diese OP führt in eine teure Resteklassen-DRG. Um die Resteklassen-DRG zu vermeiden sieht das BSG 2 Alternativen: Entweder die Radiusfraktur wird Hauptdiagnose ( weil sie stationär zu behandeln war ) oder die Operation wird separat ambulant abgerechnet. Das BSG selber favorisiert dabei eindeutig die erste Alternative ( Rn 18: "Das LSG wird nunmehr zu ermitteln haben, dass die Osteosynthese stationärer Krankenhausbehandlung bedurfte und welche der beiden Diagnosen - K21.0 oder S52.30 - den größeren Ressourcenverbrauch aufwies.").
    Eine Streichung der Diagnosen hat das BSG nicht gefordert.

    Ich vermute aber, dass die stationäre Operation der Radiusfraktur schon am 02.01. geplant wurde. Aber dazu reicht die Sachverhaltsschilderung nicht aus. Vielleicht müsste man mal in das erstinstanzliche Urteil schauen.
    Ansonsten stimme ich Ihnen natürlich zu.

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • ok, evtl. war ich da etwas vorschnell, im Tatbestand des LSG-Urteils steht zum Fall folgendes:

    Zitat von LSG RLP


    Im Krankenhaus der Klägerin wurde der bei der Beklagten Versicherte in der Zeit vom 03.01.2010 bis 11.01.2010 stationär behandelt. Am 02.01.2010 war der Versicherte gestürzt und hatte sich eine Unterarmfraktur links zugezogen. Der Versicherte wurde aufgrund gastrointestinaler Beschwerden in der Inneren Abteilung des Krankenhauses aufgenommen, diagnostiziert wurden eine Refluxösophagitis II sowie eine Corpus- und Antrumgastritis . Am 06.01.2010 erfolgte in der Chirurgischen Abteilung eine Osteosynthese

    ob es zudem so war, dass eigentlich bereits eine ambulante OP für die Fraktur geplant war, dann aber die Aufnahme wegen der Gastro dazwischenkam und man die OP dann halt im stationären Aufenthalt mitgemacht hat, ist ohne Patientenakte nicht klar erkennbar. Allerdings sind beide nachkodierten OPS nicht im AOP-Katalog. Es waren jedenfalls beide Diagnosen bei Aufnahme bekannt und der wirklich interessante Aspekt ist tatsächlich der, den GW bereits erkannt hat: die Kassen werden jetzt immer schauen, ob nicht einzelne Kodes mit ambulantem Potential ausgegliedert werden können, und die KHs dann wieder in der Begründungspflicht stecken, weshalb es med. sinnvoll war, dies im selben Aufenthalt abzufrühstücken...

  • Das sind noch mal wichtige Hinweise, Herr Berbuir, sowohl mit dem fehlenden ambulanten Potential der OPs als auch der mit neuen Kassenfragen. Vielleicht wäre hier die Abrechnung der FrakturDRG ohne höchstrichterliches Urteil der bessere Weg für die Khs gewesen. Aber das war ja auch nur ein Teilaspekt des Streites.

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Hallo Medman2,

    Der Unterschied zwischen den von Ihnen genannten Diagnosen und der Radiusfraktur ist doch die Operation, die das Khs nachkodiert hat ....


    Hallo Herr Breitmier,

    die Argumentation, die Operation habe keinen stationären Krankenhausaufenthalt bedingt, betrifft hier eine Operation (OPS). Sie läßt sich aber zwanglos auch auf Diagnosen (ICD) ausdehnen.
    Es ist durchaus nachvollziehbar und nicht angreifbar, dass der 1. Senat auf das Wirtschaftlichkeitsgebot abstellt. Wenn aber jedweder Kode unter den Vorbehalt gestellt wird, dass diesebzüglich eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit bestehen muss, ist das System nicht mehr praktizierbar.

    ... Diese OP führt in eine teure Resteklassen-DRG. Um die Resteklassen-DRG zu vermeiden, sieht das BSG 2 Alternativen: ...


    Ich stimme Ihnen zu, der Eindruck, dass das BSG eine "teure" DRG vermeiden möchte, besteht.

    Nun werden ja von Krankenhäusern tatsächlich möglichst hochpreisige DRG "angesteuert". Selbst beim MDK soll das angeblich vorkommen, allerdings genau andersrum.

    Dass aber das BSG auf eine möglichst niedrigpreisige DRG abzielt, ist schon bemerkenswert.

    Systematisch geht es doch darum, die richtige DRG zu treffen, völlig unabhängig vom Preis. Wenn man, wie Sie schreiben, teure Resteklassen-DRG vermeidet, gerät das ganze System in Schieflage. Die "teuren" Resteklassen-DRG bilden die darin enthaltenen Fälle mit ihren Kosten ab. Wenn man diese durch Kunstgriffe "vermeidet", werden die Fälle - zu Lasten der Krankenhäuser - inadäquat vergütet. Das hat nichts mit Wirtschaftlichkeit zu tun, das ist Vergütungsmanipulation.

    Viele Grüße

    Medman2

  • Hallo Medman2,

    Ich Stimme Ihnen bei den Diagnosen voll und sonst überwiegend zu, insbesondere auch, dass es darauf ankommt die objektiv richtige DRG zu treffen. Das kann durchaus auch eine Resteklassen-DRG sein (früher sagten einige fälschlicherweise Fehler-DRG dazu). Und der Preis dafür ist vom InEK kalkuliert.
    Aber durch die Nachkodierung hat dieser Fall eben ein Geschmäckle, das vielleicht die DRG 901D nicht sachgerecht wäre.
    Das BSG schreibt:
    " Ist S52.30 als Hauptdiagnose zu kodieren, steuert diese zusammen mit den OPS 5-794.k6 und 5-786.g die DRG I21Z (Lokale Exzision und Entfernung von Osteosynthesematerial an Hüftgelenk und Femur oder komplexe Eingriffe an Ellenbogengelenk und Unterarm) an, die etwa doppelt so hoch vergütet wird wie die von der Klägerin zunächst in Rechnung gestellte DRG G67D, aber nur etwa die Hälfte der Vergütung erlöst, die die Klägerin mit der DRG 901D nachträglich abgerechnet hat."
    Das BSG will offenkundig verhindern, dass Behandlungsfälle durch eine (stationär) nicht notwendige Operation aus einem anderen Organgebiet als dem der Hauptdiagnose zum Schluss des Aufenthaltes vergoldet werden.
    Wie man dieses Ansinnen bewertet, wird jeder unterschiedlich sehen..

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier