Neues vom BSG / LSG

  • Hallo,

    es ist wirklich bedrückend, ohnmächtig dabei zusehen zu müssen, wie das BSG das Vertrauen in den Rechtsstaat und in Rechtssicherheit vorsätzlich und systematisch untergräbt!

    Das DIMDI ist ja nicht irgendeine Klitsche, in der ein paar weltentrückte Klassifikations-Zausel an Kodierungssystemen herumbasteln, sondern eine Bundesbehörde, zu deren Aufgaben es gehört, die formalen Grundlagen für die Krankenhausabrechnung in Deutschland zu formulieren. Und wenn eine solche Behörde den Begriff "Transportentfernung" einführt und auch noch genau definiert, dann kann sich doch auch ein Gericht nicht einfach darüber hinwegsetzen.

    In den Strukturmerkmalen wurde 2014 der Passus neu aufgenommen: "Das Strukturmerkmal ist erfüllt, wenn die halbstündige Transportentfernung unter Verwendung des schnellstmöglichen Transportmittels [z.B. Hubschrauber] grundsätzlich erfüllbar ist." Vom BSG wird jetzt "grundsätzlich" mit "regelhaft jederzeit" gleichgesetzt. Dass das ganz offensichtlich nicht die Intention des DIMDI war, geht aus der weiteren Vorgabe im OPS hervor, wonach der Kode dann nicht angegeben werden darf, wenn im konkreten Fall die halbe Stunde einmal nicht eingehalten werden konnte.

    Das momentane Vorgehen des BSG ähnelt für meine Begriffe dem Versuch, Teile der Straßenverkehrsordnung gerichtlich neu zu definieren; so könnte man vielleicht das Verkehrszeichen "100" neu interpretieren als addierte Geschwindigkeit aller sich vor dem Schild in Fahrt befindlicher Fahrzeuge (natürlich mit der Möglichkeit versehen, die Daten der Verkehrsüberwachung für die letzten 4 Jahre diesbezüglich neu auszuwerten).

    Fassungslos

    M. Hollerbach

  • <<Dieser Zeitraum beginnt mit der Entscheidung, ein Transportmittel anzufordern, und endet mit der Übergabe des Patienten an die behandelnde Einheit des Kooperationspartners. >>

    Für mich war das bis jetzt immer der Zeitraum vom Einladen Patient im KH A bis zum Ausladen im KH B

    Hallo,

    wir sollten froh sein, dass das BSG als Rettungstransportende nicht die Bezahlung der Rechnung festgesetzt hat.

    Viele Grüße

    Medman2

  • Hallo zusammen !

    Auch wenn danach ein Shitstorm losbrechen sollte, finde ich alle BSG- Entscheidungen von gestern plausibel und richtig.

    Das gilt neben den Urteilen, die die KHS „gewonnen“ haben auch für die Definition des Rettungstransportbeginns:

    In einem Notfall muss der Patient unmittelbar an Spezialisten weiterverlegt werden. Time is Brain. Es nützt ihm nichts, wenn der Flug mit Heli zwar nur 30 Minuten dauert, aber sich der Anflug zum verlegenden KHS vorher schon 1 Stunde hinzog. Auch in der Geburtshilfe gilt die forensische EE- Zeit, also die Zeit zwischen Entscheidung zur Sectio und Entbindung. Ob der Operateur allein 30min zur Fahrt in die Klinik braucht, ist unerheblich...

    Aus Sicht des Rettungsdienstes beginnt der Rettungstransport sicherlich mit der Alarmierung, also ist die BSG Entscheidung für mich plausibel ( wobei natürlich auch eine andere Auslegung denkbar gewesen wäre, aber das Gericht muss sich ja nun mal für eine Sichtweise entscheiden)

    @ Hollerbach: Bei einem strukturellen Mindestmerkmal bedeutet nach meinem Verständnis das Wort „grundsätzlich“ durchaus so etwas wie „regelhaft“:

    In der Regel/ grundsätzlich muss der Transport in 30min erfolgen können. Falls es im Einzefall mal nicht geklappt hat, wird der OPS einmal nicht bezahlt. Wenn es aber von vornherein unsicher ist, ob der Transport in 30min erledigt werden kann, ist das Strukturmerkmal grundsätzlich nicht erfüllt und der OPS immer nicht kodierbar.

    Eine „vorsätzliche Schwächung des Rechtsstaates“ kann ich in Bezug auf die OPS Auslegung wirklich nicht erkennen, zumal auch nur die Vorinstanz bestätigt wurde.

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Schönen guten Tag Herr Breitmeier,

    grundsätzlich kann ich Ihre Argumentation nachvollziehen, finde es aber aus folgenden Gründen zu Kurz gedacht:

    • Regelhaft (also auch nachts und im Berufsverkehr) 30 min Transportzeit im Sinne des BSG funktioniert in der Fläche nur, wenn der Hubschrauber/Rettungstransport direkt am Krankenhaus stationiert ist und selbst dann vergehen zumindest Nachts zwischen der Entscheidung zum Transport und Abfahrt/Abflug mindestens 15 min Rüstzeit.
    • Die Entscheidung bedeutet, dass ein Großteil der Krankenhäuser in der Fläche, die derzeit eine qualifizierte Stroke-Unit betreiben, diese nicht mehr finanziert bekommen und damit konsequenterweise aus der Versorgung ausscheiden werden .
    • Dies bedeutet für die Patienten auf dem Land längere Transportwege, was angesichts der von Ihnen korrekterweise angeführten Regel "time ist brain" eine deutliche Verschlechterung der Versorgung bis hin zur Gefährdung darstellt.
    • Dagegen sind es minimal wenige Patienten, die in diesem Kontext eine notfallmäßige neurochirurgische Intervention benötigen und die durch eine Verkürzung der Transportzeit im Sinne des BSG profitieren würden.
    • Unter utilistaristischen Gesichtspunkten würde also die Verbesserung der Versorgung für einige wenige die Verschlechterung oder sogar Gefährdung der Versorgung für viele bedeuten.

    Alternativ können die betroffenen Kliniken natürlich Neurochirurgen einstellen, aber abgesehen von der Frage der verfügbaren Fachärzte macht das die Versorgung nur ohne großen Benefit teurer.

    Im Übrigen kann das BSG ja gar nicht medizinisch argumentieren, seine Aufgabe ist lediglich die formale Auslegung des OPS. Hier steht jedoch (auch schon 2014) eine Formulierung, die im allgemeinen Sprachgebrauch anders zu verstehen ist, denn "Transport" ist die Bewegung von etwas. Hier den Transportbeginn auf die Entscheidung zum Transport (ein Zeitpunkt, der im Übrigen im Gegensatz zum Abfahrtszeitpunkt sehr vage ist) festzulegen, halte ich doch sprachlich und auch rechtlich für sehr gewagt.

    Die Folge jedenfalls ist, dass wir in vielen Kliniken wieder eine unendliche Diskussion um die Voraussetzungen dieses und anderer OPS mit ähnlichen Voraussetzungen haben werden. Auch dies bindet wieder Ressourcen und Kosten, die die Beteiligten besser in andere Aufgaben investieren können.

    Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag

  • Hallo Herr Breitmeier,

    es geht doch nicht um die Frage, ob Sie oder irgendjemand anderes den Begriff "Transportentfernung" aus mehr oder weniger plausiblen Aspekten neu definieren wollen - es geht darum, dass dieser Begriff durch eine Bundesbehörde bereits seit Jahren eindeutig definiert IST und es deswegen schlicht keinen Interpretationsspielraum mehr gibt. Und wenn derart eindeutige Regeln nachträglich geändert werden, ist das halt ein schwerer Verstoß gegen die Aspekte von Klarheit und Beständigkeit rechtlicher Regelungen und erschüttert zumindest das Vertrauen der von mir vertretenen Institution in die Rechtssicherheit ganz erheblich.

    Mit freundlichen Grüßen

    M. Hollerbach

  • Hallo,

    noch eine Wortmeldung hierzu: die Notwendigkeit zur Notfallverlegung tritt nur äußerst selten ein, wir sprechen hier ja nicht über die (durchaus häufigeren) Patienten, bei denen der Befund bei der Aufnahmeuntersuchung die sofortige Verlegung notwendig macht. Sehr interessant in dem Rahmen zu lesen ist der Änderungsvorschlag 019der DSG zum OPS 2014 (ausschlaggebend fü die Änderung?) hier wird vom zurücklegen der Entfernung innerhalb von 30 Minuten gesprochen.

    Grüße

    Margherita

    • Offizieller Beitrag

    Guten Tag

    „Die Entscheidung bedeutet, dass ein Großteil der Krankenhäuser in der Fläche, die derzeit eine qualifizierte Stroke-Unit betreiben, diese nicht mehr finanziert bekommen und damit konsequenterweise aus der Versorgung ausscheiden werden .“

    „Dagegen sind es minimal wenige Patienten, die in diesem Kontext eine notfallmäßige neurochirurgische Intervention benötigen und die durch eine Verkürzung der Transportzeit im Sinne des BSG profitieren würden.“

    “There is no more time-sensitive treatment in all of medicine than treating the stroke victim,” said Thomas G. Devlin, chairman of neurology at the University of Tennessee’s

    https://www.wsj.com/articles/new-t…okes-1526299201

    14.5.18


    Der Anteil älterer Menschen im ländlichen Raum ist überdurchschnittlich hoch.

    Es fehlen bereits Haus- und Fachärzte, demnächst fehlen dann auch die Stroke-units in der „Nähe“.

    Die Lebenssituation der alten Menschen auf dem Lande wird weiter verschlechtert.

    Das Vorenthalten einer möglichst nahe gelegenen Stroke-unit Behandlung ist ethisch und medizinisch nicht zu verantworten.

    Die Folgekosten der Solidargemeinschaft für die unterlassene oder zu späte Behandlung auf einer Stroke-unit mit schlechterem Patienten-outcome und ausgedehnteren neurologischen Defiziten und Funktionseinschränkungen sind beträchtlich.


    Gruß

    E Rembs

  • Ich „traue“ mich, nochmal zu antworten ;).

    Das BSG macht keine Gesundheitspolitik. Die Abwägungen, ob eine flächenhafte Versorgung durch viele oder eine hoch-spezialisierte Versorgung durch wenige Zentren besser ist, müssen ja in vielen Bereichen der Medizin getroffen werden. Und es gibt für beide Varianten jeweils gute Argumente ( und Gegenargumente!). Das ist aber eben nicht Aufgabe des BSG.

    Ich empfinde den OPS Text und auch die DIMDI- FAQ zur Transportentfernung ( Nr. 8033) nicht als widersprüchlich zur BSG Entscheidung. In der FAQ steht:

    „Im Falle eines externen Kooperationspartners darf die Transportentfernung (Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende) nicht mehr als eine halbe Stunde betragen. Das Strukturmerkmal ist erfüllt, wenn die halbstündige Transportentfernung unter Verwendung des schnellstmöglichen Transportmittels (z.B. Hubschrauber) grundsätzlich erfüllbar ist“.

    Warum sollte der Begriff des Rettungstransportbeginn sich nicht auf den Beginn des Einsatzes für den Rettungsdienst beziehen ( können)? Eine eindeutige Definition im Sinne der Mehrheit der Mifdiskutanten ist die Formulierung für mich jedenfalls nicht.

    Der Beginn des Rettungsdiensteinsatz ist auf jeden Fall regelhaft gut im Einsatzprotokoll dokumentiert.

    Was ich aus den DIMDI Formulierungen allerdings nicht ableiten kann, ist die „Entscheidung zur Verlegung“, da muss ich Herrn Hollerbach und Co zustimmen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Schönen guten Tag Herr Breitmeier,

    es gibt hier im Forum üblicherweise keinen shitstorm, sie dürfen sich also gerne "trauen" ihre Meinung zu vertreten. Wir setzen uns doch hier sachlich auseinander, auch wenn wir an einigen Stellen unterschiedlicher Meinung sind. Natürlich macht das BSG keine Gesundheitspolitik (sollte zumindest), aber Sie haben ja das Urteil, wenn ich Sie richtig verstanden habe, aus medizinischen Gründen begrüßt und ich habe argumentiert, warum ich diese medizinische Begründung von Ihnen aus medizinischen bzw. versorgungspolitischen Gründen zu kurz gedacht halte.

    Aber auch wenn das BSG keine Gesundheitspolitik machen sollte, muss es die Konsequenzen seiner Interpretationen durchaus im Blick haben, insbesondere wenn es dann doch - wie schon häufiger geschehen - gesundheits- bzw. versorgungspolitisch argumentiert.

    Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag

  • Schönen guten Tag Herr Breitmeier,

    es gibt hier im Forum üblicherweise keinen shitstorm, sie dürfen sich also gerne "trauen" ihre Meinung zu vertreten. Wir setzen uns doch hier sachlich auseinander, auch wenn wir an einigen Stellen unterschiedlicher Meinung sind.

    Hallo Herr Schaffert, da haben Sie absolut recht und das schätze ich auch sehr an diesen Diskussionen hier! Deshalb hatte ich ja auch einen Smiley angefügt.

    Inhaltlich haben Sie auch damit recht, dass ich eine Zentralisierung hochspezialisierter Leistungen in der Medizin grundsätzlich favorisiere, obwohl es ohne Zweifel auch die von Ihnen genannten guten Gegenargumente gibt. De facto ließe sich aber m.E. bei einer aktiven Bedarfsplanung eine flächenhafte Verteilung von Stroke Units nahezu bundesweit erreichen, die die Mindestmerkmale erfüllen können ( und dann natürlich auch finanziell und personell besser ausgestattet wären/ sein müssen !).

    Die Mindestmerkmale der Komplexbehandlungen ( wie der gesamte OPS) werden ganz entscheidend von den Krankenhäusern und den medizinischen Fachgesellschaft mitbestimmt. Wenn demnach bei 8-981.- ein „unmittelbarer Zugang“ zu neurochirurgischen und neuroradiologischen Notfallbehandlungen gefordert wird, wird es dafür auch gute Gründe geben. Ich unterstelle, dass diese Gründe medizinischer Art sind und keine Wettbewerbsverzerrung zugunsten der ( universitären) Maximalversorger.

    Insgesamt 30 Minuten „Verzögerung“ durch eine Verlegung bei Notfalleingriffen halte ich daher für gerade noch tolerabel, um von einem solchen unmittelbaren Zugang zu sprechen.

    Ich wünschen allen noch einen schönen Abend!

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Hallo Herr Breitmeier,

    fernab von gesundheitspolitischen Aspekten ist es primäre Pflicht des BSG, ICD und OPS als Abrechnungsbestimmung zutreffend auszulegen.

    Transportieren kommt aus dem Lateinischen, von "trans" "hinüber" und "portare" "tragen". Das ist ein messbarer physikalischer Vorgang. Ebenso wenig wie eine Krankenhausbehandlung mit dem Ausstellen der Einweisung beginnt, beginnt ein Transport mit der Entscheidung, ein Transportmittel anzufordern. Insofern wurde mit Rettungstransportbeginn und -ende eindeutig formuliert.

    ... Die Mindestmerkmale der Komplexbehandlungen ( wie der gesamte OPS) werden ganz entscheidend von den Krankenhäusern und den medizinischen Fachgesellschaft mitbestimmt. ...

    Im anlässlich der seinerzeitigen Sozialgerichtsstreitigkeiten verfassten Änderungsvorschlag der DSG , der übernommen und weiter vom DIMDI präzisiert wurde, geht es darum, dass eine "Entfernung mit einem [...] Rettungsmittel [...] innerhalb von 30 Minuten zurückgelegt werden kann".

    Gesundheitspolitisch ging es der DSG darum, dass nicht "weite Teile der Flächenstaaten von einer spezialisierten Schlaganfallversorgung nach dem Stroke Unit-Konzept durch die Vorenthaltung der bedarfsgerechten Finanzierung ausgeschlossen" werden.

    Zusammenfassend widerspricht das Urteil des BSG dem Formulierten und dem Gemeinten. Das gesundheitspolitische Ziel der DSG wird torpediert, wobei ich davon ausgehe, dass die Folgen auch nicht im Interesse der Kostenträger sind.

    Viele Grüße

    Medman2