Neues vom BSG / LSG

  • Hallo Frau Koch,

    es ist nicht meine Vorstellung, dass die Kassen auf die teilweise erbärmlich begründeten Primärgutachten des MDK beschränkt sind. Verdient hätten sie es, erforderlich ist das nicht.

    Meine Vorstellung geht dahin, dass das Einsichtsrecht in die Akte im Rahmen des Sozialgerichtsverfahrens auf den ärztlichen Kreis des MDK beschränkt wird. Das ist nun mal die unter Berücksichtigung der Schweigepflicht passende Institution, immerhin eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die komplett auf der Gehaltliste der Kassen steht. Wenn die Qualität nicht ausreicht, haben die Kassen ja Einflussmöglichkeit.

    ... Wenn es aber um eine gerichtliche Auseinandersetzung geht, dann kann es nicht sein, dass eine dritte Instanz (MDK) Einsicht bekommt, die nie vor Gericht erscheinen wird, ...

    Nach meinem Kenntnisstand ist es durchaus möglich, dass MDK-Gutachter vom Gericht gehört werden und dort auch erscheinen.

    Aus meinem Erfahrungsbereich kann ich nur sagen, dass wir - leider - in zahllosen von uns initiierten Klagen unsere Ansprüche gegen Kassen durchsetzen müssen. Wir sind bisher in <= 5 Fällen verklagt worden, eine Sammelklage zu Aufwandspauschalen aus 2012 und 2013 wegen angeblich sachlich rechnerischer Richtigkeitsprüfung von der Kasse, die bei jedem Wetter fährt.
    Es ist übrigens so, dass wir nur ganz selten eine Entscheidung bekommen, weil die Kasse vorher ein Anerkenntnis abgibt. Nur mal so zum Thema Gesprächsbereitschaft, an der es vermutlich immer auf der Seite mangelt, die nicht zu klagen braucht.

    Der Begriff "Waffengleichheit" ist durchaus zutreffend, wird er doch von Gerichts wegen eben in diesem Zusammenhang gebraucht.

    Ich hoffe, Sie betrachten meine Ausführungen nicht als Teil des "Shitstorms", der sich bisher, wenn überhaupt, sehr verhalten darstellt.

    Viele Grüße und nichts für ungut

    Medman2

    4 Mal editiert, zuletzt von medman2 (12. Juli 2017 um 21:26)

  • Ich denke, es wäre im Sinne einer gewissen "externen Qualitätssicherung" noch sinnvoller, wenn anstelle der Kasse der MDK auch im Sozialgerichtsverfahren die medizinische Argumentation vertreten würde ( manchmal auch müsste ! ), die ein belangloser Zweizeiler verursacht hat. Das würde auch den Datenschutz- Konflikt entschärfen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Hallo!

    @ medman2: Alles ist gut. Ich finde diesen Austausch gut und sachlich. Daher kein Grund zur Sorge :D

    Wir hätten nichts dagegen, wenn der MDK bei Gericht anwesend wäre. Das sich die Qualität dadurch erhöhen würde, ist selbstredend. Andererseits muss man den MDK auch mal in Schutz nehmen, wenn man an das Massengeschäft denkt, dass er zu bewältigen hat. Und an die wirklich hervorragenden Gutachten, die auch kommen.Aber über Gutes spricht man ja bekanntlich nicht sieben, sondern nur dreimal und das verzerrt das Bild natürlich. Und auch wir haben Sorge, weil der MDK Nachwuchsprobleme hat..........

    Aber was die Einflussmöglichkeiten der Kasse auf die Institution MDK angeht.....Ich lade jeden gerne einmal ein, bei uns 1 Tag mit zu arbeiten und sich ein Bild von der Realität zu machen. Wir haben noch nicht einmal die Möglichkeit, den MDK in Regress zu nehmen, wenn er seine eigenen Fristen verpasst. Ganz abgesehen davon, dass "der MDK" aus fast so vielen Einzel-MDK´n besteht, wie wir Bundesländer haben. Jeder dieser MDK´n hat eigene Wünsche, Vorschriften und Gesprächsbereitschaften.......... Die Kassen haben halt mit sehr vielen Institutionen zu tun und manchmal ist das ein ziemlicher Spagat.

    Ich suche übrigens ganz offiziell einen ärztlichen Kollegen / in, der mich im Medizincontrolling unterstützen möchte. Das Hobby Jura lässt sich hier ganz hervorragend betreiben. :D

    Viele Grüße aus Essen

    S.Koch

  • Wenn ich die Urteilsbegründung im Verfahren B1 KR 27/16R ( Hier) zur Verwirkung einer Krankenhaus Nachforderung lese, habe ich den Eindruck, das BSG kommt mit den zwei Prüfregimen selber durcheinander.
    Ausgangspunkt war eine MDK Beauftragung zur Prüfung der oGVD. Einige Tage wurden gestrichen. Im Klageverfahren fiel dem KHS dann erst auf, dass es insgesamt eine höher bewertete DRG hätte abrechnen können.
    Nun hat das BSG entschieden, dass das KHS den Betrag seinerseits nicht einklagen darf, weil schon mehr als ein ganzes Rechnungsjahr zur Schlussrechnung vergangen war.
    Aber die Begründung dafür lautet: Die oGVD Prüfung wäre eine Auffälligkeitsprüfung ( also Bezug auf die Verweildauer) gewesen und keine sachlich-rechnerische Prüfung. Die Kasse habe in Bezug auf die DRG dem KHS "vertraut". Deshalb ist die sachlich-rechnerische Nachforderung nun verjährt bzw. verwirkt o.ä.

    Prüfungen der oGVD sind ja aber klassischerweise immer eine Kombination aus sachlich-rechnerischer und wirtschaftlicher ( Auffälligkeits-) Prüfung. Die vom InEK kalkulierte oGVD ist untrennbar mit der jeweiligen DRG verknüpft und kann nicht separat von ihr beurteilt werden. Bei sachlich-falscher Abrechnung kann sich bei fest gegebener Behandlung und Verweildauer bekanntlich sowohl eine oGVD-Überschreitung ergeben als auch gerade nicht.
    Hat niemand dem BSG diesen relativ einfachen Sachverhalt erklären können ( oder nicht erklären wollen ?)

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Hallo Herr Breitmeier,

    so ist die Praxis, da war die Abrechnungsexpertengruppe aus Kassel nicht ganz up to date.

    Es ist doch bemerkenswert, wie filigran die Begründung des BSG ist, die im Ergebnis dazu führt, dass der Kostenträger den Streit nicht verliert.

    Da hat doch der Kostenträger schon in 2012 keine Rückstellung vorgenommen (Vertrauensverhalten), weil die Frage der oberen Verweildauerüberschreitung eine Auffälligkeitsprüfung war und die der Kodierung eine ganz andere Kategorie, eine sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung. Zu einem Zeitpunkt also, zu dem diese vom BSG in 2014 eingeführte Differenzierung nicht ansatzweise bekannt war oder geübt wurde.

    Jus primi senatus!

    Viele Grüße

    Medman2

  • Hallo Medman2,

    Gelungene Ironie!

    Ich wundere mich aber eben auch manchmal über die beteiligten Klagevertreter:
    Wenn ich ein Verfahren beim BSG anhängig hätte, würde ich mich doch auch mit der gesamten Materie vertraut machen ( allerspätestens dann !). Die Richter können die Prüfungsrealität nicht genau kennen, Kassen- und Krankenhausvertreter schon.

    Ich teile persönlich die allgemeine BSG Schelte hier im Forum nicht, sondern halte die Linie schon für stringent und überwiegend nachvollziehbar, aber bei diesem Urteil war das BSG nicht richtig informiert- befürchte ich.

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Hallo Herr Breitmeier,

    vielen Dank für das Kompliment.

    .. Ich teile persönlich die allgemeine BSG Schelte hier im Forum nicht, sondern halte die Linie schon für stringent und überwiegend nachvollziehbar, aber bei diesem Urteil war das BSG nicht richtig informiert- befürchte ich.


    Ich würde das nicht auf "allgemeine BSG Schelte hier im Forum" reduzieren. Immerhin hat zur Rechtsprechung des 1. Senats bzgl. der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung nicht nur das SG Mainz - mit sehr deutlichen Worten - Stellung bezogen (4.5.2015 - S 3 KR 428/14). Das könnte man noch als Einzelmeinung abtun. Es haben sich jedoch mittlerweile zahlreiche Instanzgerichte dieser Sichtweise angeschlossen. Das sind nicht rechtlich Unbeleckte eines Kodierforums, das kommt aus berufenem Mund, und zwar vielfach.

    Ein Fehler ist jedem, auch einem BSG-Senat zuzugestehen.

    Der 1. Senat bezeichnet die von ihm so genannte sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung selbst als Prüfung der Rechnungslegung (B 1 KR 18/16 R, R-Nr. 15 u. 20). Entgegen dem gesetzlichen Wortlaut in § 275 Abs. 1 Nr. 1 2. Hs und entgegen dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen (BT-Drucks 14/7862 S. 6), nach dem diese SGB-Bestimmung die Rechnungslegung adressiert, verschiebt der 1. Senat die Grundlage seiner Auslegung von dort in den Bereich des BGB und setzt damit sowohl die gesetzlich geregelte Frist wie auch die Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c SGB V außer Kraft. Im hier betroffenen Fall wird darauf aufbauend eine Verwirkung konstruatiert. Das ist zwar - in sich - stringent, jedoch unverändert nicht nachvollziehbar. Das geht über Uninformiertheit hinaus.

    Es ist bedenklich, wenn inzwischen Krankenhäuser aus Misstrauen gegenüber der Rechtsprechung des 1. Senats ihre Ansprüche über Landessozialgerichte hinaus nicht mehr verfolgen.

    Ich habe übrigens nichts dagegen, wenn Sie meinen Beitrag als "Schelte" bezeichnen, fühle mich jedoch in guter Gesellschaft ;)

    Viele Grüße

    Medman2

    4 Mal editiert, zuletzt von medman2 (16. Juli 2017 um 18:58)

  • Hallo Medman2,

    Sie bzw. Ihre Beiträge waren mit dem Begriff " Schelte" wirklich nicht gemeint, die sind immer sachlich- fundiert!
    Es gibt ein paar andere Teilnehmer, die ich eher im Blick hatte- aber der Begriff Schelte ist ja auch für alle noch ertragbar, denke ich.

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

    • Offizieller Beitrag

    Guten Tag

    Zur Info


    Gruß
    E Rembs


    Sächsische Landessozialgericht Urteil v. 30.5.2017 L1KR 244/16

    Die Unwirtschaftlichkeit einer ambulanten Behandlung kann nicht eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit des Patienten nach § 39 Abs. 1 SGB V begründen.


    „Soweit die Klägerin meint, ein Krankenhaus dürfe eine stationäre Behandlung auch dann durchführen, wenn diese zwar nicht im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist, aber für die Krankenkasse im Einzelfall "wirtschaftlicher" als eine ambulante Behandlung wäre, weil die Krankenhausvergütung nach dem DRG-Fallpauschalensystem die Kosten einer ambulanten Behandlung – ggf. nur die Arzneimittelkosten – unterschreiten würde, werden in mehrfacher Hinsicht die rechtlichen Zusammenhänge verkannt.

    Schließlich hätte die Klägerin Schutzvorschriften zugunsten der öffentlichen Apotheken unterlaufen, wenn sie die Versicherte allein aufgrund von Kostenvorteilen bei der Arzneimittelversorgung durch eine Krankenhausapotheke stationär behandelt haben sollte. Grundsätzlich obliegt die Arzneimittelversorgung von Versicherten im Zusammenhang mit der ambulanten Krankenbehandlung den öffentlichen Apotheken, für deren Betrieb nach §§ 1 ff. Apothekengesetz (ApoG) eine besondere Erlaubnis erteilt werden muss und die nach § 78 Arzneimittelgesetz (AMG) i.V.m. der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) die Arzneimittelpreisbindung zu beachten haben.“


    https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=193634

  • Ich teile persönlich die allgemeine BSG Schelte hier im Forum nicht, sondern halte die Linie schon für stringent und überwiegend nachvollziehbar, ...

    Hallo Herr Breitmeier,

    da haben wir nun eine neue Begründung zur sachlich-rechnerischen Richtigkeit bei einem Fall aus 2009 (!) (B 1 KR 28/16 R).

    Ausgeführt wird [R-Nr. 37], dass der dem Prüfauftrag an den MDK zugrunde liegende wirkliche Wille der Krankenkasse vom MDK so auszulegen ist,

    • "wie sich die Erklärung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte für einen objektiven Betrachter ... darstellt. ... Zu berücksichtigen sind etwa eine rechtmäßige allgemeine Übung, ..."
      (Hervorhebung durch Verfasser)

    Was sind das doch für Deppen beim MDK. Teilen die uns doch jahrelang mit, dass es sich um eine Prüfung auf Grundlage von § 275 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 1c SGB V handelt, wo doch alle Welt das anders gemacht hat. (Ironie aus!)

    Sorry, aber finden Sie das nachvollziehbar?

    Viele Grüße

    Medman2

    Einmal editiert, zuletzt von medman2 (30. Juli 2017 um 02:27)