Neues vom BSG / LSG

  • So der Terminbericht ist da und wie zu erwarten, wurden weder der NRW-Sonderweg zur Aufrechnung per Sammelavis akzeptiert, noch sind die Zeiten der HFNC bei Säuglingen/Neugeborenen zur Beatmungszeit zu zählen...

    Zum ersten Fall bin ich mal sehr auf die Begründung gespannt, während das LSG noch schrieb:

    "Entgegen der Ansicht der Beklagten scheidet auch eine Bestimmung der von der Aufrechnung erfassten Leistungsansprüche der Klägerin gemäß § 366 BGB aus. Diese Vorschrift ist hier angesichts der speziellen Regelung des § 9 Satz 2 PrüfvV 2015 nicht anwendbar. Es wäre schlechthin nicht erklärlich, warum diese Regelung einerseits die "genaue Bezeichnung" des Leistungsanspruchs verlangen, andererseits aber die Bestimmung dieses Leistungsanspruchs gemäß § 366 BGB zulassen sollte. Bei einem solchen Verständnis des § 9 Satz 2 PrüfvV 2015 wäre die dort enthaltene Regelung obsolet. Es würde ferner auch der in § 1 PrüfvV 2015 beschriebenen Zielsetzung - "effizientes, konsensorientiertes Verfahren" - widersprechen, weil die Anwendung des § 366 BGB im Einzelfall, wenn nicht schon als unmöglich, dann aber zumindest als kompliziert und konfliktträchtig zu beurteilen sein dürfte. Für diese Einschätzung spricht, dass die Beklagte nicht in der Lage war, die ihrer Ansicht nach von der Aufrechnung erfassten Leistungsansprüche der Klägerin anhand der Bestimmung nach § 366 BGB konkret zu bezeichnen, sondern es vielmehr bei der (allgemein gehaltenen) Ansicht belassen hat, die Bestimmung sei nach § 366 BGB vorzunehmen."

    ...meint das BSG nun völlig entgegengesetzt:

    "Sie benannte insbesondere "die Leistungsforderungen", die Vergütungsansprüche der Klägerin, gegen die sie aufrechnen wollte, genau im Sinne des § 9 S 2 PrüfvV. Die genaue Benennung fordert spezifische Angaben, die Höhe und Identität der betroffenen Forderungen klären. Dem entsprach die Sammelüberweisung: Sie benennt sämtliche Vergütungsansprüche der Klägerin mit Entlassdatum, Fall- und Rechnungsnummer sowie dem konkreten Zahlbetrag. Gegen welche der dort aufgeführten Forderungen die Beklagte mit ihrem Erstattungsanspruch aufrechnete, folgt aus der Auffangregelung des BGB zur Tilgungsreihenfolge. Die PrüfvV lässt die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften zu. Dies folgt aus Wortlaut, Regelungszweck und Regelungssystem. Die Vertragspartner forderten gerade nicht mit den Worten des BGB, die Forderungen und damit die Tilgungsreihenfolge zu "bestimmen". Sie wollten nicht den KKn die Verpflichtung, aber auch das Recht einräumen, die Forderungen, gegen die aufgerechnet werden soll, einseitig und endgültig zu bestimmen. Dies widerspräche auch dem Zweck der PrüfvV, ein effizientes, konsensorientiertes Verfahren zu regeln."

    MfG, RA Berbuir

    3 Mal editiert, zuletzt von RA Berbuir (31. Juli 2019 um 10:03)

  • Werter Herr Berbuir,

    wenn Sie die mdl. Verhandlung gestern miterlebt hätten ... [ZENSIERT]

    Besten Gruß

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    Dr. med. A. Christaras
    FA Kinder- & Jugendmedizin

  • Guten Tag,

    nun also: B 1 KR 13/18 R

    Zitat

    Der Senat hat auf die Revision der beklagten KK die vorinstanzlichen Urteile aufgehoben und die Klage auf Zahlung weiterer 9150,41 Euro Vergütung nebst Zinsen abgewiesen. Der Kläger durfte die Zeit der Therapie mittels High-Flow-Nasenkanüle (HFNC) nicht als Beatmungszeit und damit nicht mehr als 95 Beatmungsstunden kodieren. HFNC ist keine maschinelle Beatmung im Sinne der maßgeblichen Kodierregel DKR 1001h. Diese setzt voraus, dass der Patient intubiert oder tracheotomiert oder bei intensivmedizinischer Versorgung die Beatmung über ein Maskensystem erfolgt, wenn dieses an Stelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt wird. Die Therapie mit HFNC erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Sie appliziert über die Nasenbrille mit Schläuchen (Nasenkanülen) einen kontinuierlichen Luftstrom in die Nasenlöcher, der in den Nasen-Rachen-Raum geleitet wird. Die Beatmung des Versicherten mittels HFNC wird auch nicht dadurch einer maschinellen Beatmung gleichgestellt, dass nach der Kodierregel "zusätzlich ein Kode aus 8-711 (…) anzugeben" ist, wenn bei Neugeborenen und Säuglingen eine maschinelle Beatmung erfolgt. Die Beatmung des Versicherten mittels HFNC ist entgegen der Rechtsansicht des LSG auch nicht als Entwöhnung einzubeziehen. Das LSG hat nicht festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen einer Entwöhnung erfüllt waren.

    Auch hier waren die KH offenbar mal wieder im Irrtum.

    Gruß

    merguet

  • Hallo Herr Merguet,

    Zitat

    Auch hier waren die KH offenbar mal wieder im Irrtum.

    Die Argumentationen der KH im mündlichen Plädoyer wie auch in den öffentlich zugänglichen Schriftsätzen (via Urteile der Vorinstanzen) waren ... unglücklich bis schlecht. Wobei dies im mündlichen Plädoyer noch übertroffen werden kann, was aber für die Erfolgaussichten offensichtlich irrelevant ist (anderes Verfahren, gleicher Tag).

    Warum bei HFNC diskutiert wird, ob das eine Beatmung nach Absatz 1 DKR 20XX SKR 1001 ist, erschließt sich auch psychotropisiert nicht.

    Die - medizinisches Wissen transfomiert nach Abrechnungsrecht DE - Frage war / wäre gewesen:

    - Medizinisch ist HFNC ein CPAP Analog (vgl. publizierte weltweite Literatur seit 2003; außer in Kassel)

    - HFNC ist in den DKR nicht geregelt - sicher nicht explizit, maximal implizit über Sauerstoffapplikationssysteme (was zur Medizin im Widerspruch steht).

    - Werden mangels expliziter Regelung die Regeln für CPAP auf HFNC angewendet - JA / NEIN.

    Das umfasst selbstverständlich auch - um die Kostenträger in ihren Wirtschaftlichkeitsbemühungen nicht zu kurz kommen zu lassen - die Nicht-Berücksichtigung von HFNC, wenn dieses auf einer peripheren Station ohne intensivmedizinische Versorgung stattfindet.

    Das BSG hat implizit entschieden (die Frage war im 2017er Fall aufgeworfen, in der mdl. Begründung nicht behandelt) NEIN.

    Selbstverständlich dürfen die DKR von Medizin abweichen: seit 2003 DKR SKR 1605.

    Wenn Sie den dort festgelegten Sachverhalt in einer Krankenpflegehelferprüfung behaupten ist die Prüfung Endstation.

    Ändert aber nichts daran, dass das Abrechnungsrecht DE das so regelt.

    Bei HFNC ist das nicht der Fall.

    Und obwohl seit 2014 wiederholt die Verantwortlichen darauf aufmerksam gemacht werden passiert nichts.

    Medizinisch ist das Insuffizienz.

    Dessen allen unbesehen hat der Vorsitzende des Senats 1 des BSG nach Ende der mündlichen Urteilsverkündung seiner Hoffnung mündlich öffentlich vor Schluss der Sitzung Ausdruck gegeben, dass die Ärzte unabhängig von ökonomischen Anreizen lege artis behandeln.

    Zuvor hat der vorgenannte Vorsitzende erneut darauf hingewiesen, dass es an und vor den Selbstverwaltungspartnern (als Aufgabe) liege Änderungen herbeizuführen.

    Gruß

    --------------------------------------------------------------------------------
    Dr. med. A. Christaras
    FA Kinder- & Jugendmedizin

  • Hallo,

    interessant in den zukünftigen anhängigen Rechtsfragen beim 1. Senat ist die Formulierung der Rechtsfrage. Da ist das Urteil im Verfahren B1 KR 15/19 R IMHO sozusagen schon vorweggenommen (MDK-gestützte Prüfung der Krankenkasse der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Krankenhausabrechnungen)

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Hallo zusammen,

    der Kollege Dr. Wölk weist nach Auswertung der Urteilsbegründung zu diesem Streit über die Kostentragung, wenn die DRG im Klageverfahren nur aufgrund einer abweichenden Kodierung des Sachverständigen gehalten wird, auf ein echtes Problem hin: Nach Meinung des BSG muss hier nun das KH die kompletten Verfahrenskosten tragen, da eben die Rechnung zunächst gar nicht fällig gewesen sei ("Nicht ausreichend ist es, wenn das Krankenhaus alternativ Daten, etwa - wie hier - weitere Nebendiagnosen und/oder weitere Operationen und Prozeduren, welche im Groupierungsvorgang ebenfalls die abgerechnete DRG ansteuern, hätte kodieren dürfen, diese tatsächlich aber nicht kodiert hat. Ob der "Rechnungsbetrag an sich" korrekt ist, ist bei unzutreffender Information der KK über die erfolgte Versorgung für die Fälligkeit der Vergütung ohne Belang."). Hier stellt sich jetzt die Frage, ob dies also bedeutet, dass die KK bloß irgendeine vergessene nicht-erlösrelevante ND ausfindig machen müssen, um bei Bestätigung der Abrechnung des KH, der Kostentragung zu entgehen, weil ja die Klage entweder zunächst begründet (wenn die KK geklagt hat) oder eben unbegründet war (wenn das KH geklagt hat). Ich würde ja sagen, dass es auf nicht-erlösrelevante ND nicht ankommen kann, da diese eben die DRG nicht tragen - das BSG hat aber keine derartige Beschränkung vorgenommen. Damit würde dann auch wunderbar die Neuregelung aus dem MDK-Reformgesetz unterlaufen, wonach die Kassen zukünftig selbst klagen müssen. Es klagt sich doch gleich viel leichter, wenn ich bloß eine kleine vergessene ND suchen muss, um unabhängig vom Ausgang der Klage nicht die Kosten tragen zu müssen... ||

    Interessant ist auch der Satz, wonach das BSG anhand der Feststellungen des LSG aus deren "Gesamtzusammenhang" einen Vorbehalt der KK bei der Rechnungszahlung erkennt, durch den . Eine kurze Durchsicht der Begründung des LSG Hessen ("Die Rechnung wurde durch die Klägerin zunächst voll beglichen. Zugleich beauftragte die Klägerin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Rechnungsprüfung") zeigt, dass das BSG also in der fristgerechten Einleitung der MDK-Prüfung zugleich die Erklärung einer Zahlung unter Vorbehalt erkennen will, auch wenn dies bei der Zahlung selbst nicht kenntlich gemacht wird. Im Zivilrecht gelten da andere Maßstäbe, insbesondere steht ein Vorbehalt nicht zwingend einer Erfüllung nach § 362 BGB entgegen, wie das BSG annimmt... Um die Wirkung von § 814 BGB abzuwehren, ist dies nicht erforderlich, zudem kann ein KH eine Zahlung unter Vorbehalt, durch den letztlich eine Beweislastumkehr im Folgeprozess erfolgen soll, auch schlicht ablehnen. Sprich, nun dürfen sich die KHs darüber Gedanken machen, ob sie eine Zahlung bei gleichzeitiger Einleitung einer MDK-Prüfung überhaupt annehmen wollen??! :rolleyes:

    MfG, RA Berbuir

  • Hallo Herr Berbuir,

    Als juristischer Laie würde ich Ihnen zustimmen, dass unwichtige Nebendiagnosen oder OPS , die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens geändert werden, nicht unter die neue BSG Regelung fallen sollten.

    Wenn aber wegen einer objektiv unrichtigen Nebendiagnose ein Klageverfahren angestoßen wird und dann im Gerichtsverfahren vom KHS ( oder dem MDK) eine andere, schweregradsteigernde ND aus dem Hut gezogen wird, die den „Verlust“ der unrichtigen Diagnose ausgleicht, dann bin ich voll beim BSG. Solche unsinnigen Sozialgerichtsverfahren sind vermeidbar, ein Aktenstudium vor Klageerhebung ist zumutbar. Hierbei kann die Kostenregelung motivierend wirken!

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Hallo Herr Berbuir,

    mir als juristischem Laien bereitet die Begründung des BSG im Hinblick auf die Ausführungen zum immateriellen Recht erhebliche Verständnisprobleme.

    Vom LSG wurde die Revision nicht zugelassen. Ist irgendwo ersichtlich, weshalb der vermutlich erhobenen NZB stattgegeben wurde?

    Grundlage der Entscheidung des BSG kann nach meinem Verständnis doch nur sein, dass die seinerzeit strittige F01.1 unzutreffend kodiert wurde. Diesbezüglich bedarf es aber einer entsprechenden - positiven - Tatsachenfeststellung des LSG. Das LSG hat hierzu aber keine Entscheidung getroffen (Hessisches LSG vom 26.2017 - L 8 KR 400/14 - vorletzter Absatz):

    • "Dies bedurfte keiner weiteren Aufklärung durch den Senat, da es für den ursprünglich geltend gemachten Rückzahlungsanspruch der Klägerin hierauf nicht mehr ankam!"

    Laut BSG vom 9.4.2019 - B 1 KR 3/18 - R-Nr. 30:

    • " Das LSG hat nicht festgestellt, dass die Voraussetzungen der Kodierung der Nebendiagnose F01.1 neben dem übrigen von der Beklagten Kodierten im Fall der Versicherten erfüllt waren. Hieran ist der erkennende Senat mangels durchgreifender Verfahrensrügen (§ 163 SGG) gebunden."

    Muss die Anforderung nicht sein, dass nach LSG-Feststellung die Voraussetzungen nicht erfüllt waren?

    Viele Grüße

    Medman2

  • Guten Tag,

    irgendwann in den letzten Tagen wurde ein Urteil veröffentlicht, dass sich mit der Aufnahme und Weiterverlegung von stationär behandlungsbedürftigen Patienten auseinandersetzte.

    Im Wesentlichen ging es darum, dass das eine Stationäre Behandlung sei wenn nicht von vorneherein die Verlegung klar war und die Aufnahme nur zur Organisation der Verlegung erfolgte. Ich kriege das aber nicht mehr richtig zusammen.

    Hat jemand einen Tipp für mich?

    gruß

    merguet

  • Hallo,

    L 2 K 2/18, LSG Saarland vom 23.07.2019

    Ich habe die Info aus dem Blog von Dr. Florian Wölk, Medizinrecht Saarland.

    Gruß

    S. Stephan

  • Die letzten Pflöcke von Prof. Hauck werden eingeschlagen: der Terminbericht von heute ist bereits online!

    aus 4 Fällen 2 mal positiv für die KHs :huh: kommt hier etwa Altersmilde durch?? natürlich nicht:

    1. Verwirkung: die 2 Jahresregel gilt weiterhin, auch dann, wenn die Rechnung auffällig i.S einer sachl-rechn. Fallprüfung war, bedeutet dass nicht, dass es sich um einen ins Auge fallenden Fehler gehandelt hat - sprich, was die AWP killt, reicht noch lange nicht, um den Umstandsmoment aufzuhalten...

    2. Beurlaubung oder Weiterbehandlung, wenn Histo noch aussteht aber keine Entlassung - hier wird spannend, ob sich das BSG auch zur Änderung durch das PpSG äußert, obwohl der Fall aus 2012 war.

    3. hier besteht quasi der komplette Bericht aus einem obiter dictum: "Anders als bei Ausschlussfristen wie in der später geltenden PrüfvV existiert für den betroffenen Behandlungsfall keine gesetzliche oder vertragliche Grundlage, nach der das Krankenhaus im Rechtsstreit über eine weder verjährte noch verwirkte Vergütungsforderung mit tatsächlichem Vorbringen nach Ablauf bestimmter Fristen ausgeschlossen wäre." Damit ist dann auch klar, wie man dort die Fälle mit dem verspäteten oder unvollständigen Unterlagenversand nach PrüfvV bewertet... ||

    4. Der einzige echte Lichtblick: wenn eine KH den rehabedürftigen Patienten verwahrt, bis die von der KK bestätigte Rehaklinik übernimmt, kann sich die KK nicht darauf berufen, die Verwahrzeit sei nicht zu vergüten. Das Akut-KH wird hier dann als Notfallrehaklinik fingiert, darf aber weiterhin nach DRG abrechnen.

    Bin ja sehr gespannt, was wir da noch bis Jahresende reingedrückt bekommen... :rolleyes:

    MfG, RA Berbuir