Neues vom BSG / LSG

  • Hallo zusammmen,
    so, die Begründung des 1. Senats zum Thema Bagatellgrenze bei Nachforderungen ist da und enthält einige interessante Klarstellungen:

    • materielle Ausschlussfristen für Nachforderungen der Krankenhäuser in Landesverträgen können unwirksam sein, wenn sie als Kehrseite zu einer aufgrund der Nichtbeachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes unzulässigen Prüffrist vereinbart wurden (Rz. 12). Dies lässt für die Ausschlussfrist bei Überschreitung der Aktenversendungsfrist nach PrüfvV 2015 nichts Gutes befürchten, da hier ja gerade ein Bezugspunkt zu entsprechenden Einschränkungen auf Kassenseite fehlt und man "ohne Not" auf die eigene Position verzichtet hat. Es sei denn das BSG kommt irgendwann zu dem Schluss, die Fristen für die KKen in der PrüfvV seien nicht vom gesetzgeberischen Auftrag des § 17c Abs. 2 KHG umfasst, da sie dem Wirtschaftlichkeitsgebot widersprechen...
    • der 1. Senat gibt die Beschränkung der Nachforderung auf Beträge >300 € bzw 5% des ursprünglichen Rechnungsbetrages auf (Rz. 19).
    • Hinsichtlich der im Fall nicht entscheidungserheblichen Frage, ob eine Korrektur auch außerhalb des "laufenden Geschäfts- bzw. Rechnungsjahres" möglich ist, verweist der Senat en passant nur auf die Entscheidung B 1 KR 6/12 R, insoweit wird man auf die Begründung zum aktuellen Urteil B 1 KR 40/15 R warten müssen, der Terminbericht lässt jedoch ausnahmsweise eine Bestätigung der Linie des 3. Senats erwarten (laufendes + folgendes Kalenderjahr).
    • Zum Thema sachlich-rechnerisch kommt trotz der seit 1.1.2016 geltenden Neuregelung des § 275 Abs. 1c S. 4 SGB V nur altbekanntes (Rz. 21). Da der Fall aus 2009 stammte, ist dies auch konsequent, obschon der Senat ja sonst mit obiter dicta nicht geizt (s.o.)...
    • Ganz am Schluss dann noch der Hoffnungsschimmer für die Kassen: Der Senat verweist auf eine ggf. mögliche Schadenersatzpflicht der KH bei Rechnungskorrekturen ggü. den KKen, wenn diese dadurch einen Mehraufwand haben. Jetzt warte ich auf die ersten Fälle, in denen Kassen versuchen, diesen Mehraufwand zu beziffern (1 Mitarbeiter der Buchhaltung musste 5 min mit dem Fall verbringen, nachdem zuvor ein anderer aus dem Controlling die Korrektur 10 min geprüft hat...) und damit aufrechnen... :whistling:

    MfG, RA Berbuir

  • ... Zum Thema sachlich-rechnerisch kommt trotz der seit 1.1.2016 geltenden Neuregelung des § 275 Abs. 1c S. 4 SGB V nur altbekanntes (Rz. 21). Da der Fall aus 2009 stammte, ist dies auch konsequent, obschon der Senat ja sonst mit obiter dicta nicht geizt (s.o.)...

    Hallo Herr Berbuir,

    nun führt der 1. Senat aus:

    • "Der ungenutzte Ablauf der Frist des § 275 Abs 1c S 2 SGB V hindert hingegen die KKn nicht, die Abrechnung des Krankenhauses auf dieser Grundlage" [Anm: § 301-Daten und andere Informationen] "wegen Auffälligkeit zu prüfen."

    Bei versäumter 6-Wochenfrist soll die Kasse demnach eine Auffälligkeitsprüfung, was immer das auch ist, auch nach 6 Wochen auf der Grundlage bereits vorhandener Daten durchführen können.

    § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V legte und legt hingegen fest:

    • "Die Prüfung nach Satz 1 ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen."

    Wie passt das zusammen? Betrifft das nur die Involvierung des MDK auf der zweiten Stufe der dreistufigen Prüfung?


    Völlig unabhängig soll die Kasse im Rahmen der normalen Verjährung (4 Jahre) eine Prüfung sachlich-rechnerischer Art durchführen können ("Das Recht der KKn, die Abrechnung sachlich und rechnerisch zu prüfen, bleibt gänzlich unberührt.")

    Der gesamte Absatz stellt auf § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V ab:

    • (1c) Bei Krankenhausbehandlung nach § 39 ist eine Prüfung nach Absatz 1 Nr. 1 zeitnah durchzuführen. Die Prüfung nach Satz 1 ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen. Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro zu entrichten.


    Beziehen sich die Ausführungen auch auf die aktulle Rechtslage (neu § 275 Abs. 1c, Satz 4 SGB V) -das Präsens der Formulierungen legt es nahe:

    Seit 1.1.2016 zusätzlich:

    • Als Prüfung nach Satz 1 ist jede Prüfung der Abrechnung eines Krankenhauses anzusehen, mit der die Krankenkasse den Medizinischen Dienst beauftragt und die eine Datenerhebung durch den Medizinischen Dienst beim Krankenhaus erfordert.

    Die Ausführungen des BSG dürften dann aber nur sogenannte Prüfungen sachlich-rechnerischer Art betreffen, bei denen vom MDK keine Datenerhebung beim KH erfolgt (????)

    Viele Grüße

    Medman2

  • Hallo medman2,
    ja, das BSG macht es einem nicht einfach, ich verstehe es wie folgt:
    Eine Auffälligkeitsprüfung (also VWD, Indikation, Wirtschaftlichkeit o.ä.) kann nach Ablauf der 6 Wochenfrist nur noch anhand der 301er Daten ggf. zzgl Kurzbericht durchgeführt werden. Der MDK kann hierbei intern zu Rate gezogen werden, bekommt aber eben auch nur die bereits vorliegenden Daten. Sachlich-rechnerisch ist weiterhin alles möglich, da Abs. 1c hierfür ja lt. 1. Senat nicht gelten soll.
    Die Ausführungen betreffen die Rechtslage im entschiedenen Fall, also 2009, zur Neuregelung ab 2016 wird nichts gesagt, dass muss man dann noch abwarten.

    MfG, Ra Berbuir

  • Hallo RA Berbuir,

    wenn die Kassen nach der 6 Wochenfrist eine interne Prüfung durch den MDK machen lassen können Anhand der vorliegenden Daten bei der Kasse und der MDK die Empfehlung einer Kürzung des Behandlungsfalls empfiehlt, kann dann die Kasse den Fall einfach kürzen (mit Angaben der Gründe) und als Leistungserbringer müsste ich dann klagen oder Widerspruch einreichen? Wie sieht die Sachlage in so einem Fall aus?

    VG Thomas B.

  • Hallo Thomas B.
    genauso sieht es aus, die Kasse wird verrechnen (wobei man sich dort dann schon sehr sicher sein muss, dass man den Fall quasi formal gewinnen kann, hatte ich mal im Fall von Kodierung eines Exklusivums - die Kasse hat dann verloren, da ja theoretisch auch bei Vorliegen eines Exklusivums beide ICD möglich sein können und man das nur anhand der Patientenakte erkennen konnte - damals gab es noch kein sachlich-rechnerisch...) und Sie müssen entscheiden, ob sie den Fall formal klagen oder ggf. freiwillig in eine inhaltliche Prüfung einsteigen (lt. BSG können Sie das machen, da die Frist des 275 Sie nicht an einer freiwilligen Herausgabe der Akte hindert).
    MfG, RA Berbuir

  • Hallo RA Berbuir,

    danke für Ihre Antwort. Ich frage mich bloß warum dann ein neues Verfahren / Verordnung / Gesetzesänderung nach dem anderen erstellt wird, wenn unterm Strich es alles wieder umgangen werden kann und die Sozialgerichte noch mehr zu tun haben. Aus meiner Sicht resultiert daraus nur eine Verschwendung von sozialen Geldern - echt traurig.

    VG Thomas B.

  • Hallo nochmal,
    ich kann ihre Frustration gut nachvollziehen, leider werden die abstrakten Norm- und Verfahrensänderungen oftmals unter Zeitdruck von Personen entwickelt, die sich mit der Praxis wenig auskennen oder es wird einfach handwerklich schlecht gearbeitet, fügen Sie dann noch einen selbstbewussten BSG-Senat hinzu und sie haben den Salat... :/
    Verschwitzte Grüße,
    RA Berbuir

  • Hallo Herr Berbuir,

    wäre ggf. eine Erweiterung des § 275 SGB V in folgender Art hilfreich:

    • (1d) Abs. 1c gilt für jede Prüfung einer Krankenhausbehandlung nach § 39, die auf die Abrechnung abzielt. Sofern eine Prüfung Auswirkungen auf die Abrechnung haben kann, sind diese Abrechnungsauswirkungen ausgeschlossen, wenn die Prüfung nicht gemäß Abs. 1c zeitnah innerhalb von 6 Wochen nach Eingang der Abrechnung eingeleitet und dem Krankenhaus vom MDK angezeigt wurde. Satz 1 und Satz 2 gelten auch und insbesondere für Streitigkeiten bei Krankenhausbehandlungen nach § 39, die vom 1. Senat des BSG entschieden werden.

    :huh: Viele Grüße

    Medman2

  • Hallo Medman2,
    das ist doch bereits mit der Einfügung von S. 4 zu Abs. 1c zum 01.01.2016 erfolgt:

    Zitat

    Als Prüfung nach Satz 1 ist jede Prüfung der Abrechnung eines Krankenhauses anzusehen, mit der die Krankenkasse den Medizinischen Dienst beauftragt und die eine Datenerhebung durch den Medizinischen Dienst beim Krankenhaus erfordert.


    Ob der 1. Senat sich allerdings so einfach vom Gesetzgeber in die Parade fahren lässt, wird sich zeigen. Auch wird jetzt natürlich darum gestritten, ob die Regelung auch für Altfälle gilt... ^^

    MfG, RA Berbuir

  • Hallo Herr Berbuir,

    mein o.g. Vorschlag war nicht so ganz ernst gemeint, insbesondere nicht der letzte Satz.

    Habe jetzt aber noch den Gesetzentwurf zu § 275 Abs. 1c Satz 4 SGB V gefunden (S. 110). Dort ist ausgeführt, dass die Neuregelung auf die 3. Stufe der Sachverhaltserhebung abstellt.

    • "Das Recht der Krankenkassen, für ihre Prüfung andere zulässige Informationsquellen zu nutzen, bleibt – wie auch der 1. Senat des BSG ausdrücklich feststellt – unberührt und gilt für alle Prüfungen der Krankenhausrechnungen durch die Krankenkassen."

    Übrigens gilt danach die 6-Wochenfrist auch für sachlich-rechnerische Prüfungen, bei denen Daten beim KH erhoben werden sollen:

    • " ... Sachverhaltsermittlungen, die eine Einsichtnahme in Unterlagen des Krankenhauses oder sonstige Datenanforderungen beim Krankenhaus erfordern, ausgeschlossen ... , wenn die Frist nach Satz 2 ungenutzt abgelaufen ist. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Prüfung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit der Krankenhausabrechnung oder um eine Auffälligkeitsprüfung handelt."


    Daneben ist mir noch eine interessante und durchaus auch amüsante Entscheidung des SG Trier vom 17.2.2016 (S 5 KR 100/15) zur sachlich-rechnerischen Prüfung aufgefallen, die den Begriff mal überzeugend definiert.

    Viele Grüße

    Medman2