9-647 Qualifizierte Entzugsbehandlung

  • Moin Moin zusammen,

    ich hab (mal wieder) eine Frage zum Entzugskode 9-647, und zwar speziell zu den dort genannten Mindestmerkmalen:
    Mich würde hier v.a. interessieren, wie es bei euch mit der Dokumentation aussieht, also was bei euch tatsächlich konkret in der Krankenakte hinterlegt ist, und zwar zu folgenden Punkten:

    • Behandlungsteam aus mind. 3 Berufsgruppen: Wenn ich jetzt einen Patienten habe, der eine qualifizierte Entzugsbehandlung bekommt, aber weder den Sozialdienst noch den Psychologen in Anspruch nimmt, am Sport nicht teilnimmt und die Ergo fällt gerade aus (jaja, ich weiss: merkwürdige aber bei uns nicht so seltene Konstellation), dann hab ich ja nur Arzt und Pflege am Patienten, also nicht 3 Berufsgruppen. Das bedeutet, ich kann diesen Kode nicht verwenden?
    • suchtmedizinisches und soziales Assessment: Was genau ist da bei euch hinterlegt? Fragebögen, Skalen, Scores?
    • Therapiezielorientierte Behandlung: Soll das heissen, dass ich ein Therapieziel festlegen muss? bei vielen steht das ja zu Beginn noch gar nicht fest (außer "ich will entgiften"). Ich verstehe das aber so, dass ein konkretes Therapieziel hinterlegt sein muss, wie handhabt ihr das? reicht da "ich will entgiften" als Therapieziel?

    Bin mal gespannt auf eure Meinungen!

    "Interessante Selbstgespräche setzen einen intelligenten Gesprächspartner voraus."

  • ....keine Entzugsabteilungen hier vertreten?

    Oder ist meine Frage zu trivial und ich hab's nur nicht verstanden? ;(
    Oder doch schon alle im Sommerurlaub? :D

    "Interessante Selbstgespräche setzen einen intelligenten Gesprächspartner voraus."

  • Hallo Kai!


    Behandlungsteam aus mind. 3 Berufsgruppen: Wenn ich jetzt einen Patienten habe, [...]. Das bedeutet, ich kann diesen Kode nicht verwenden?


    Korrekt. Da Sie die Mindestmerkmale nicht erfüllen, dürfen Sie den Kode auch nicht nutzen.

    Zitat


    suchtmedizinisches und soziales Assessment: Was genau ist da bei euch hinterlegt? Fragebögen, Skalen, Scores?


    Vielleicht finden Sie hier Hilfe: http://www.bdk-deutschland.de/arbeitskreise/…hrestagung-2014
    Besonders interessant in dem Zusammenhang ist dort "Auswahl spezieller Therapieverfahren".

    Zitat


    Therapiezielorientierte Behandlung: Soll das heissen, dass ich ein Therapieziel festlegen muss? bei vielen steht das ja zu Beginn noch gar nicht fest (außer "ich will entgiften"). Ich verstehe das aber so, dass ein konkretes Therapieziel hinterlegt sein muss, wie handhabt ihr das? reicht da "ich will entgiften" als Therapieziel?
    Bin mal gespannt auf eure Meinungen!


    Selbstverständlich sind Sie als Arzt (oder Psychologe, Pflegekraft usw.) dazu angehalten, Ihre Behandlung therapiezielorientiert durchzuführen.
    "Entgiftung" kann durchaus ein valides medizinisches Therapieziel sein. Allerdings sollten Sie die Ziele auch regelmäßig evaluieren und gegebenenfalls anpassen. Frage Sie doch einmal die Pflegekräfte in Ihrem Hause, was eine Pflegeplanung ist...

    ....keine Entzugsabteilungen hier vertreten?


    Drängeln führt gern dazu, dass man einen Beitrag in der Prioliste nach hinten schiebt... ;)

    Viele Grüße,

    B. Gohr

    Das Problem am Gesundheitssystem ist der aufrechte Gang. Der aufrechte Gang ist moralisch wünschenswert, orthopädisch aber eine Katastrophe.

  • Selbstverständlich sind Sie als Arzt (oder Psychologe, Pflegekraft usw.) dazu angehalten, Ihre Behandlung therapiezielorientiert durchzuführen.
    "Entgiftung" kann durchaus ein valides medizinisches Therapieziel sein. Allerdings sollten Sie die Ziele auch regelmäßig evaluieren und gegebenenfalls anpassen. Frage Sie doch einmal die Pflegekräfte in Ihrem Hause, was eine Pflegeplanung ist...

    Ja, das ist mir schon klar. Meine Frage ist aber, ob denn die reine Entgiftung per se ein ausreichendes Therapieziel darstellt. Denn das liegt ja in der Natur einer Entzugsstation, dass die Menschen dort hin kommen, um eine Entgiftung zu machen. Somit ist die Feststellung, "der Pat. möchte entgiften" in meinen Augen obsolet und kein Therapieziel im engeren Sinne.
    Dass sich das im Laufe der Zeit ändert, ist ja auch klar, am Schluss steht dann ein anderes Therapieziel als am Anfang. Aber wenn es reicht, "Entgiftung" als Therapieziel festzuhalten, wäre der ganze Punkt meiner Meinung nach sinnlos und man kann ihn gleich weglassen. Wenn damit aber (und das ist meine Vermutung und mutmaßlich auch Ihre Ansicht) lediglich das gemeint ist, was wir sowieso tagtäglich machen, nämlich im Rahmen der Motivationsarbeit zusammen mit dem Patienten aus dem ursprünglichen Wunsch "ich will nur entgiften" ein "echtes" Therapieziel zu machen, dann wär mir die Sache schon klarer! Aber genau das ist ja meine Frage, daher würde mich eben interessieren, wie es andere Häuser handhaben.

    Und Ihr Link auf die BDK ist ja auch ganz spannend, aber ich finde dort keine Antwort, was ein "suchtmedizinisches und soziales" Assessment sein soll... Oder hab ich nicht richtig geguckt...?

    "Interessante Selbstgespräche setzen einen intelligenten Gesprächspartner voraus."

  • Hallo,

    Meine Frage ist aber, ob denn die reine Entgiftung per se ein ausreichendes Therapieziel darstellt.

    Nein, eine Qualifizierte Entzugsbehandlung geht über eine reine Entgiftung hinaus. Die Definition der Qualifizierten Entzugsbehandlung finden Sie zum Beispiel in der S3-Leitlinie “Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen” ab Seite 63 (Seitenzahl, im PDF-Dokument Seite 70) und für Ihre Fragen zum Assessment ist möglicherweise Kapitel 2 hilfreich.

    Gruß

  • Liebe/r GW,

    das ist mir alles bestens bekannt, beantwortet leider aber keine meiner Fragen oder zumindest nur einen Teil. Dass eine qualifizierte Entzugsbehandlung über die reine körperliche Entgiftung hinausgeht, ist doch klar, das war auch nicht meine Frage. Es geht doch um die Definition (und adäquate Dokumentation) des Therapieziels. Aber aus meinem Verständnis heraus soll der Patient doch das Therapieziel bestimmen, nicht ich - gerade bei Suchtkranken. Ich habe maximal eine beratende Funktion! Ich kann mir tausend tolle Sachen überlegen, die ich wunderbar aus Ihrer Leitlinie abschreiben kann, ich glaube aber nicht, dass das im Sinne des Pat. zielführend wäre und auch nicht im Sinne des PEPP. Auf letzteres zielt doch meine Frage.

    Aber möglicherweise haben Sie recht, aber dann wäre es aber auch wieder sinnlos, da das ja übergeordnete Ziele jeder Entzugsbehandlung bei jedem Patienten sind...Dann könnte ich einfach aufs Stationskonzept verweisen (Förderung und Stärkung der Abstinenzmotivation und Veränderungsfähigkeit, Entwicklung einer stabilen Behandlungsmotivation sowie Vermittlung und Förderung von Krankheitseinsicht und Krankheitsverständnis, Aufbau und Vermittlung von alternativen Bewältigungsstrategien im Umgang mit der Suchterkrankung, usw. usw.) und das Thema wär abgehakt...?

    . Vielleicht ist ja tatsächlich genau das damit gemeint und ich verrenn mich gerade nur in Haarspaltereien... hmmm... aber genau deswegen würde mich interessieren, wie es in anderen Häusern gehandhabt wird..? Was wird als Therapieziel tatsächlich dokumentiert?
    Wenn ich Sie aber im Kern richtig verstehe, reicht es Ihrer Meinung nach nicht aus, "nur Entgiftung" als Therapieziel zu dokumentieren, dann wäre die Frage wieder offen....?

    Zum Assessment steht aber in den Leitlinien auch nichts, die kannte ich schon vorher. Als einzig evidenzbasierter Fragebogen wird der AUDIT angegeben, der würde aber bei Pat. auf der Entzugsstation wenig Sinn machen. Die Leitlinien helfen hier nicht weiter.

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  • Hallo,

    natürlich haben sie Recht, die Leitlinie kann allenfalls allgemeine Therapieziele vorgeben. Das Individuelle Therapieziel definieren Sie gemeinsam mit dem Patienten (oder er mit Ihnen). Das ist aber doch genau Ihr Problem: Dass das Therpieziel in diesem Sinne etwas individuelles ist und daher hier auch keine allgemeingültige Anwort gegeben werden kann. Die goße Klammer ist sicherlich das Ziel, die Sucht zu überwinden, aber individuell kann das verschiedenes bedeuten. Welche "Teufelchen" im konkreten Fall die Sucht ausmachen und bekämpft werden sollten, welche Eigenschaften des Patienten Unterstützung brauchen und gestärkt werden sollten und auch welcher Ansatz dafür am besten geeignet ist, hängt eben vom einzelnen Patienten ab.

    Ähnliches gilt für das Assessment. Auch hier gibt es (noch) keine allgemeingültige Checkliste. Also nehmen Sie Assessment erst einmal als das, was es bedeutet: "Bewertung, Beurteilung, Einschätzung" oder klassisch medizinisch: "Befund". Den werden Sie ja wohl bei Ihren Patienten erheben.

    Gruß

  • Guten Morgen,

    unsere Suchtabteilung hat hierzu intern zweierlei "Fragenkataloge" entwickelt, die in Einzelgesprächen durch den psychologischen Dienst sowie den Sozialdienst erfasst werden.
    Der psychologische Dienst erhebt eine ausführliche Suchtmittelanamnese (welche selbstverständlich auch explizit vom MDK angefordert wird) und der Sozialdienst erfasst Daten bzgl. beruflicher Situation, Einkommens-, Wohnsituation, soziale Anbindung etc.

    Als Therapieziele werden z.B. "qualifizierter Entzug, Eindosierung Antidepressiva, Anbindung an die hausinterne Ambulanz, nahtlose Vermittlung in LZ-Therapie, Änderung Wohnsituation" etc. dokumentiert und im Verlauf durch die jeweiligen Berufsgruppen auch "bearbeitet" und evaluiert.
    Ggf. bei häufigen Wiederkehrern auch mit dem Zusatz "empfohlen" oder "empfohlen, wird abgelehnt".
    Bislang gab es bei uns keine Probleme diesbezgl. mit dem MDK bei der eben erwähnten Dokumentation.

    Ich hoffe ich konnte etwas helfen...
    Viele Grüße und einen schönen Tag

    MS

  • Hallo Ms84,

    ja, konnten Sie! Vielen Dank! :)
    Da kann ich mir was drunter vorstellen und wahrscheinlich ist das so auch eine ganz angenehme, praktikable Lösung!

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