Unterschied Kompartmentsyndrom und Prellung

  • Hallo Forum,

    Pat. stürzt unter Marcumar und entwickelt ein massives intramuskuläres Hämatom rechts gluteal.

    Im Aufnahmebogen steht:
    "Ausgedehntes Hämatom rechts gluteal mit massiver Verhärtung ..... pDMS intakt ...."

    Der Operateur schreibt:

    "....Die Operation erfolgt jetzt aufgrund eines drohenden Kompartmentsyndromes der Gesäßmuskulatur....Nach Eröffnen der Glutealfaszie entleert sich schlagartig eine größere Menge flüssigen Hämatoms. Es erfolgt nun die stumpfe Spaltung der Gluteus maximus Fasern. Es finden sich weitere reichliche Hämatom- und Koagelanteile. Diese werden nun ausgiebig ausgeräumt. Sämtliche glutealen Kompartments werden eröffnet. Insgesamt Ausräumen von 800 mml Koageln und Hämatom. Im Rahmen der Hämatomausräumung werden mehrere venöse Blutungen aus Muskelvenen im Gluteus maximus Bereich gestillt...... "

    Wikipedia:
    Klinik und DiagnoseSchmerzhafte, verhärtete Muskulatur → Muskeldehnungsschmerz → Spontaner Muskelschmerz als Ischämiezeichen → Sensibilitätsstörungen (Spätzeichen).

    DocCheckFelxikon:
    Die Diagnose erfolgt klinisch durch die typische Anamnese und eine funktionelle Untersuchung. Der in einer Muskelloge herrschende Druck kann mit einer Sonde intraoperativ gemessen werden.

    diverse Bücher über Polytrauma etc. sagen nichts anders!

    Der MDK sagt:
    Es handelt sich um eine einfache Prellung, weil die Laborwerte(!?) durchgehend normal waren!


    Wie erfolgt nun "wirklich" der Nachweis/Beweis eines Kompartmentsyndroms?
    Beweist oder schließt sie aus eine Kompartmentdruckmessung?
    Beweist oder schließt sie aus ein erhöhter Myoglobinwert (wer bestimmt so etwas in der Breite?!)

    Die gesamte Literatur (s.o.) verweist auf Anamnese und Befund und im Anfangsstadium scheint, wie bei uns auch(!), eine
    verhärtete Muskulatur zu stehen, oder nicht!?

    Ich muss nicht sagen, dass es hier um ein paar Tausend € geht!!

    Im Gerichtsurteil (das 1. haben wir schon :cursing: ) wurde die Begründung des MDK mit einem einfachen Satz wie folgt übernommen: Zitat "Eine traumatische Muskelanämie lag nicht vor, die Laborwerte waren durchgehend im normalen Bereich." Zitat Ende. Die Anämie habe ich unterstrichen. Laborbefunde bzgl. CK, CK-MB oder Myoglobin wurde nie bestimmt (können also nicht als "normal" bewertet werden!)!

    Hat jemand eine Idee ?(
    Vielen Dank

    riol

    Viszeralchirurg/Unfallchirurg

  • Hallo riol,
    ich beziehe mich mal nur auf das Buch Chirurgie für Studium und Praxis. Die Einteilung erfolgt dort in 1. Drohendes Kompartment (dezente neurologische Symptome, intakte periphere Durchblutung, tiefer dumpfer Spannungsschmerz) und 2. Manifestes Kompartment (Schmerz, Schwellung, neurologisches Defizit, periphere Minderperfusion). Bei drohendem Kompartment vorrangig konservative Therapie aber im Zweifelsfall OP. Neurologische Defizite gab es bei ihrem Patienten wohl (noch) nicht und eine Minderperfusion ist auch nicht beschrieben. Somit, wie im OP-Bericht beschrieben, ein drohendes Kompartment. Laut DKR werden aber drohende oder sich anbahnende Krankheiten nicht kodiert, wenn sie im Verlauf nicht auftreten. Würde für ihren Fall heißen, wenn "zu zeitig operiert" dann haben sie das Kompartment ja eigentlich verhindert. Das ist gut für den Patienten und schlecht für die DRG. Ich kodiere ein Kompartment eigentlich nur wenn neurologische Defizite und eine Minderdurchblutung im OP-Bericht beschrieben. Eine Kompartmentdruckmessung wird meines Wissens bei uns nicht gemacht. Das schlimme ist, dass der Aufwand im Falle einer OP eigentlich identisch ist. Dies ist aber nur Meinung als Kodierer und ehemals traumatologischer Pfleger. Die echten Fachmänner sehen das vielleicht auch etwas anders.

    MfG findus

    MfG findus

  • Hallo Findus,

    alles relativ nachvollziehbar, aber laut den o.g. "Quellen" gehört eine verhärtete Muskulatur schon zum 1. klinischen Bild eines Kompartmentsyndroms. Und als Begründung GEGEN ein Kompartmentsyndrom wurden die fehlenden Laborwerten angeführt :cursing: , welche denn :?: , wo doch die Diagnose "klinisch" (s.o.) gestellt wird :!:

    Gruß

    riol

    Viszeralchirurg/Unfallchirurg

  • Hallo Forum,

    vielleicht hat noch jemand eine Meinung dazu :rolleyes: ?

    Ergänzend noch:
    Bei einem Kompartmentsyndrom im Bereich der Glutealmuskulatur wird man auf die zusätzlich genannten Kriterien (neurologisches Defizit, Minderperfusion) eines manifesten Kompartments lange warten können, denn ob z.B. der N. ischiadicus Ausfälle zeigen wird, bleibt fraglich. Und welches Gefäß könnte komprimiert werden und dadurch eine peripher nachweisbare Minderperfusion bewirken :?:
    Demnach hatte unser Pat. ein klinisch manifestes Kompartmentsyndom, oder :thumbup: ?

    Widerspruch X( ?
    Danke

    riol

    Viszeralchirurg/Unfallchirurg

  • Hallo Riol,

    Sie widersprechen sich doch gerade selbst: Wenn man auf die Symptome eines manifesten Kompartmentsyndroms in diesem Kompartment lange warten kann, warum behaupten sie dann, dass Ihr Patient eines hatte.
    Nach meinem Verständnis gehört es zum Kompartmentsyndrom, dass es aufgrund der Blutung eng wird und ich sage mal ganz frech: In diesem Kompartment ist so viel Platz, dass sie wohl eher eine Blutungsanämie haben werden, bevor ein manifestes Kompartmentsyndrom eintritt ;)
    Gruß

  • Hallo GW,

    kapier ich nicht ganz ?(
    Nur weil die zusätzlichen Symptome von Sensibilitäts-/Perfusionsstörungen (noch!) fehlen, schließt das ein Kompartmentsyndrom aus :?::?:
    Und ich vermute mal ganz frech: Sie haben vielleicht an dieser Stelle noch kein Kompartmentsyndrom gesehen, aber es sind massive Schmerzen :!::!: und die mögliche "Speckschwarte" ;) ÜBER dem Muskelkompartment mag zwar ausreichend Platz für Blut vermuten lassen, aber IM Muskelkompartment kann es schnell eng werden, ohne dass man eine Anämie bekommt!
    Und genau darauf bezog sich meine Frage: Wenn es jetzt wirklich eng geworden ist, WELCHER/S Nerv/Gefäß wäre dann für den Kliniker als kompromittiert/geschädigt auszumachen?

    Neuer Versuch
    :thumbup:

    riol

    Viszeralchirurg/Unfallchirurg

  • Hallo Riol,

    wie von Findus beschrieben und von Ihnen im vorletzten Beitrag indirekt bestätigt (habe ich jedenfalls so verstanden) gehören zum manifesten Kompartmentsyndrom Perfusions- und neurologische Störungen dazu.

    Aber mal anders herum: Ihr klinischer Befund besteht neben dem Hämatom in einer Verhärtung.

    Intraoprativ findet sich ein massives Hämatom mit noch aktiven venösen Blutungen. Sie haben keine Histologie, keinen Hinweis auf eine ischiämische Schädigung der Muskulatur, keine Druckmessung, keine auf eine Muskelschädigung hinweisenden Laborwerte (die Sie gar nicht bestimmt haben)!

    Für "ein paar Tausen €" wäre das selbst mir ein wenig zu dünn, zumal der klinische Verdacht nicht so ausgeprägt gewesen zu sein scheint, da Sie Druckmessung und Laborkontrollen, die auf eine Muskelschädigung hinweisen, gar nicht durchgeführt haben.

    Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, aber ich würde da nicht zu viel Energie investieren.

    Gruß

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Riol,

    Sie haben folgendes dokumentarische Problem: "Die Operation erfolgt jetzt aufgrund eines drohenden Kompartmentsyndromes der Gesäßmuskulatur"

    Wie "drohende" Erkrankungen zu kodieren sind, ist bereits oben beschrieben. Es wäre alles ohne großes Problem gewesen, wenn dort stehen würde "Die Operation erfolgt jetzt aufgrund des Verdachts auf Vorliegen eines Kompartmentsyndromes der Gesäßmuskulatur"

    Sie haben ja die adäquate Therapie im Sinne der K.-Spaltung vorgenommen und daher im Sinne der DKR D008 dann auch dazu berechtigt, die Verdachtsdiagnose zu kodieren. Ggf. wäre dann mit dem MDK zu diskutieren, wie sich denn ihr Verdacht begründet hat....

    Mit freundlichen Grüßen

    D. D. Selter

    Ärztlicher Leiter Medizincontrolling

    Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau

  • Hallo Herr Selter,

    hatte auf Ihr Einschreiten gehofft ;)

    Wenn ich es richtig verstehe, bricht uns der Missgriff "drohend" im OP-Bericht das Genick :thumbdown:

    M.E. aber ein "offiziell nach Rücksprache mit dem Operateur" korrigierbarer Schreibfehler, denn es haben ja die klinischen ersten Symptome eines manifesten Kompartments vorgelegen: Starker Schmerz und die (trotz Gesäßspeck :D ) tastbare verhärtete Muskulatur. Mehr geht an dieser anatomischen Stelle ja auch nicht, da keine periphere abgreifbaren Symptome für Nerven/Gefäßschäden folgen können (und wenn ich noch bis auf die Ischiadicusparese warten möchte, dann gute Nacht (s.u.)!

    Aber ich möchte noch auf einen 2. Punkt hinaus. Wie oben ausgeführt. haben wir ja schon ein erstes Gerichtsurteil (natürlich Ablehnung!) mit der richterlichen Begründung (Nur EIN Satz!!): " (Zitat) Eine traumatische Muskelanämie lag nicht vor, die Laborwerte lagen durchgehend im normalen Bereich."

    Fragen:
    Was ist eine Muskelanämie?
    Vermutlich ist Muskelnekrose gemeint, aber ist dies die Bedingung für die Diagnose Kompartmentsyndrom?
    Welcher Traumatologe wird bei einer genagelten 3. gradig geschlossen Unterschenkelfraktur die Muskelnekrose abwarten und die Kompartments nicht schon bei den allerersten Anzeichen (Schmerz, Muskelverhärtung) spalten und ES AUF JEDEN FALL ALS MANIFESTES KOMPARTMENTSYNDROM kodieren!?
    Und bitte welche Laborwerte sind den pathognomonisch für ein Kompartmentsyndrom? Und wo steht das bitte?

    Was ist das denn für eine richterliche Argumentation??

    Wir sind uns doch alle einig, dass man zwischen einem "gewöhnlichen" subcutanen oder auch intramuskulären Hämatom und einem "drohenden" Kompartmentsyndrom klinisch relativ gut unterscheiden kann und man einem Marcumar-Pat. mit einem Q von 16% nicht unnötig PPSB für zig € gibt, wenn nicht alles für ein manifestes Kompartmentsyndrom spricht, oder?

    Und zum Schluss:
    Es gibt genügt Gerichtsurteile, wo bei Kompartmentsyndromen zu spät operiert worden "sei" (sag ich mal vorsichtshalber!) und wie die ausgegangen sind, brauche ich nicht zu sagen!!
    Wenn der V.a. ein Kompartmentsyndrom geäußert wird und man zögert und es geht schief > keine Chance :!::thumbdown:

    Ok,
    machen wir aus dem drohenden einen Verdacht auf und freuen uns auf die Revision :thumbup:

    Servus

    riol

    Viszeralchirurg/Unfallchirurg

  • Hallo Riol,

    ich hätte noch eine Nachfrage: Von welchem zeitlichen Ablauf sprechen wir denn, also welche Zeiträume liegen zwischen Trauma - Aufnahme - OP?

    Gruß

  • hallo riol!

    Auch wenn Sie Ihren letzten post schon mit " Servus " abgeschlossen haben, hänge ich mich an GW dran und habe Fragen.

    Findus hat
    1) klar dargelegt, wie Ihr Casus zu kodieren ist ( AKR 001 )
    2) die derzeitige diagnostische Einteilung ( drohend, manifest ) angeführt.
    Ihr Chirurg hat zweifelsfrei ein drohendes gluteales Kompartmentsyndrom ( GKS ) diagnostiziert und operativ therapiert.
    Das ist nach AKR 001a zu kodieren.

    Wollen Sie wirklich Ihr dokumentarisches Problem mit der " Umbenennung " in Verdacht auf GKS lösen?
    Was haben Sie bzw Ihre Ärzte denn gemacht, um diesen Verdacht zu verifizieren?
    Standard im 21. Jahrhundert ( Ausdruck stammt nicht von mir ) wäre beim GBS die intrakompartmentale Druckmessung gewesen.
    Die 6 P`s, da gebe ich Ihnen recht, sind am Hintern schwer zu verifizieren.
    Trotzdem, Sie müssen jetzt beweisen, das es ein manifestes GKS war, nicht die KK, bzw der MDK.
    Bei V. a. GKS haben SIe sicher die Kontrolluntersuchungen in 2-4 Stundenrhythmus dokumentiert, falls der Pat nicht sofort operiert wurde. Sie haben dabei auch Paresthesie und Hypesthesie ( für letzteres Nadel ) dokumentiert, selbst wenn die Prüfung negativ ausging.
    Dann sind Ihre Chancen nicht schlecht, dies alles als Schreibfehler abzutun.

    mfg ET.gkv