Mangelernährung (E46) beim Neugeborenen

  • Guten Tag,

    ich habe mehrere Fälle zu beurteilen bei denen nach einigen Jahren E46 nachkodiert wurde. Hierdurch ergab sich anstelle der bisher abgerechneten DRG P66D die deutlich höher bewertete DRG P66B.

    Die Argumentation beruht darauf, dass es bei dem Neugeborenen nicht zu einer Gewichtszunahme kam (Entlassung am 7. Tag). Am ersten Lebenstag wurde Glucose 10% infundiert. Es wird argumentiert, dass diese Infusion notwendig war um eine adäquate Flüssigkeitsmenge und Ernährung zu gewährleisten, da die Trinkleistung an diesem Tag nicht ausreichend gewesen war um den notwendigen Bedarf an Kalorien und Flüssigkeit ohne zusätzliche unterstützende Maßnahmen zu gewährleisten und sicher zu stellen. Geburtsgewicht 2330g, Entlassungsgewicht nach 7 Tagen 2780g.

    Ich bin einfach sprachlos über diesen Einfallsreichtum. Meines Wissens kommt es physiologischer Weise zu einem postpartalen Gewichtsverlust. Selbst wenn man tatsächlich von einer "Mangelernährung" ausgehen würde (Konjunktiv), wäre dieser Sachverhalt mit P05.2 ausreichend dargestellt.

    Kann jemand im geschätzten Forum diese Argumentation nachvollziehen?

    Viele Grüße
    F. Holzwarth

    Dr. Frank Holzwarth
    FA für Chirurgie / Notfallmedizin
    Medizincontrolling

  • Ich teile Ihre Verwunderung über den Einfallsreichtum der Nachkodierer.
    E46 kommt auch m.E. sicherlich nicht in Betracht. Aufgrund der Exclusiva beim Kapitelanfang E und der Behandlung mit Glucose würde ich anstelle der P05 (die aber je nach Schwangerschaftswoche bei einem GG von 2330g auch vorliegen könnte) auch eine P70.9 (Transistorische Störung des Kohlehydratstoffwechsels) oder aber vorallem eine P92.- (Ernährungsprobleme des NG) ins Auge fassen, wenn denn eine Krankheit vorlag.
    Vorallem aber ist der dargestellte Gewichtsverlauf (+450g bis zum 7. Lebenstag) ja völlig normal.

    Freundliche Grüße

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Nach meiner Erfahrung erhalten Neugeborene, die nicht ausreichend trinken, z.B. wegen P92.-, bei auffälliger Gewichtsabnahme z.B. Glukoven-Infant als Infusion. Dies ist eine Nährlösung, die sich, wie der Name sagt, z.Tl. aus Glukose zusammensetzt, gilt aber auch als Ernährungssubstitution. Bei einer Infusion über 24 Stunden ist diese als OPS zu kodieren und bewirkt die Zuordnung in die DRG P66C. Damit sind die Fälle aus meiner Sicht sachgerecht abgebildet. Bei Säuglingen besteht bei Dehydratation, Störung des Wasser-Elektrolyt-Haushaltes sehr schnell eine bedrohliche Situation. Die Infusion über 24 Stunden wird mit 8-010.3 kodiert. Auch parenterale Ernährung 8-016 (dafür die Zusammensetzung der Infusionslösung prüfen) kann u.U. in einigen Fällen passen. Zu diesem Thema auch die DKR 1603l zu Rate ziehen. Präventive Gabe von Elektrolytlösungen laut MDK Kommentar ausschließlich für Säuglinge unter 2000g.
    Eine DRG Steigerung über die E46 erzielen zu wollen, erscheint mir in diesen Konstellationen nicht angebracht. Man denke hier auch an die NRS-Blätter, die bei Erwachsenen ausgefüllt werden sollten, um eine Mangelernährung kodieren zu können.
    Viele Grüße!

  • Hallo,

    die Argumentation der Nachkodierer möchte ich fachärztlich nicht kommentieren.
    Was hoffentlich eindeutig genug ist.

    Der ICD-10-GM + DKR 160X ist zwar teilweise eine Zumutung, weil Titel und Definitionen sowie DRG-Logik nur ab 3,5 Promille zusammen finden.
    Das ist hier aber nicht der Fall.

    Als Neugeborenes gilt weltweit jeder Mensch zwischen dem 1. und 28. Lebenstag.
    DKR 160X bestimmt, dass Erkrankungen/Zustände in der Neonatalperiode (leider steht da Perinatal = 1-7. Lebenstag) mit P-Kodes aus dem ICD-10-GM zu verschlüsseln sind, sofern Schlüssel zur Verfügung stehen (Klassiker: neonataler Tetanus: A33).

    Ernährungsprobleme, welche in der Neonatalperiode entstehen, finden sich in der Schlüsselklasse P92.- (Ernährungsprobleme - Neugeborene).
    Eine Unterernährung, wenn diese denn medizinisch vorliegt, wäre P92.3.
    Ob man dafür Geld bekommt (PNG-Funktion) oder nicht ist nachgelagert/sekundär.

    Die von Herrn Holzwarth geschilderten Fälle bemessen an den vorliegenden Informationen sind keine Mangelernährung bei Neugeborenen. Selbst wenn der physiologische Gewichtsverlust außen vor gelassen wird - sich anbahnende oder drohende Erkrankungen werden nicht kodiert (DKR). Eine Verdachtsdiagnose (mit Behandlung und Entlassung nach Hause) ist es auch nicht. Andere Ursachen für eine Infusionstherapie sind denkbar (und im übrigen auch wahrscheinlicher); sie sind anhand der vorliegenden Informationen aber nicht identifizierbar. Dehydratation ist eine Möglichkeit, Azidose eine andere, Infektion eine weitere, Frühgeburtlichkeit noch eine, Hypoglykämie (lag sie vor? symptomatisch ja/nein? Fetopathie ja/nein?) usw. usf..

    Was es ist (oder nicht) kann nur im Einzelfall nach Kenntnis der Behandlungsdokumentation entschieden werden.

    Eine "routinemäßige" Kodierung von E46 bei Infusionstherapie von Neugeborenen i. V. m. Gewichtsverlust ist aus meiner Sicht medizinisch nicht haltbar.

    P05.2 wäre im übrigen dann medizinisch korrekt, wenn bei Geburt das Kind in Bezug zum Gestationsalter zu leicht ist (sog. light-for-date). Das ist im ICD-10-GM definiert als <10. Perzentile. So etwas kann man exzellent (großes Lob an den Programmierer) unter https://www.pedz.de/ nachrechnen. Gibt es auch für Android & iPhone. Das sehe ich hier nicht, weil die Angabe des Gestationsalters bei Geburt nicht genannt ist. Das braucht man zur Beurteilung.

    Gruß

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    Dr. med. A. Christaras
    FA Kinder- & Jugendmedizin