MDK hinterfragt die medizinische Indikation der Komplexbehandlung Schlaganfall 8-981.1

  • Bisher wurde bei uns nur vom MDK hinterfragt , ob eine Schlaganfallsbehandlung >72h (8.981.1) die OPS Kriterien erfüllte und entsprechend dokumentiert war. Seit einigen Monaten wird aber nahezu regelmäßig die medizinische Indikation in Frage gestellt. Einsprüche werden mit der Auskunft beschieden, es lägen kein neue Informationen vor, die eine Änderung des Gutachtens rechtfertigt. Der Fokus der Beurteilung wird zumeist auf eine fluktuierende Symptomatik gelegt. Wenn diese nicht vorhanden ist, wird abgelehnt.

    • Werden anderenorts die gleichen Erfahrungen gemacht
    • Gibt es irgendwelche Begründungen von Fachgesellschaften, die einen Aufenthalt auf der Strokeunit über 72 stunden hinaus an festen Kriterien rechtfertigen
    • Hat jemand Erfahrungen mit Klagen bei dieser Problematik (Präzedenzfälle?)

    Über Hilfestellungen und Kommentare würde ich mich freuen! :S:)

    Mit freundlichem Gruß


    Klore

  • Hallo Klore,

    Stroke Units gibt es in Deutschland seit gut 20 Jahren, zunächst als Einheit zur Bündelung dieser Behandlungsfälle. Die Stroke-Unit als Überwachungseinheit wurde ursprünglich etabliert, weil sich gezeigt hatte, daß das kontinuierliche apparative Monitoring bei der Erkennung von Komplikationen der diskontinuierlichen menschlichen Überwachung überlegen ist. Heute tritt mehr und mehr der Aspekt der Behandlung der Ischämie in den Vordergrund. Um die Jahrtausendwende sind verschiedene Studien erschienen, die sich mit dem Einfluss des apparativen Monitorings auf das Outcome von Schlaganfallpatienten beschäftigten. Die Studie von Sulter et. al 2003 war als Pilotstudie konzipiert. Wegen ihrer eindrucksvollen positiven Ergebnisse wurde eine geplante größere Studie von der holländischen Ethik-Kommission nicht genehmigt. Darüber hinaus gibt es verschiedene Beobachtungsstudien (Cavallini et al. 2003, Candilise et. al 2007), die Vorteile des multimodalen apparativen automatisierten Monitorings gegenüber dem "personellen" Monitoring durch ausgebildete Pflegekräfte in zeitlichen Abständen wahrscheinlich machen. (Canavalli: Admission of acute stroke patients to a monitoring SU may positively influence their outcome at discharge. Confirmation of our findings in larger trials will indicate the need for a revision of the minimum requirements of SUs, with the addition of monitoring as a new requirement). Anmerkung: Die von Frau Cavallini auf die Stroke Unit aufgenommenen Patienten wiesen durchschnittlich einen NIHSS von 8 (!) auf. In der Arbeit von Sulter et al. war die Monitoringdauer bei allen Patienten im "Verum"-Arm zunächst einmal auf 72h festgelegt. Aber: "After the first 48 hours, monitoring was stopped when the condition of patient was stable and the physiological variables showed no abnormality over the last 24 hours." Auch die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft hat in ihrer Stroke Unit Kommission über Jahre das multimodale Monitoring über eine Zeit von durchschnittlich 72h empfohlen. Diese Empfehlungen haben Eingang in die Erlösklassen des OPS 8-891 gefunden, nachdem sich natürliche Kostencluster aufgrund der Berechnungen des InEK ergeben hatten. Im August 2008 hatte dann die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft, vertreten durch Ihren 3. Vorsitzenden Prof. Dr. Ringelstein, Münster, zu dieser Thematik geschrieben: "Bislang existieren allerdings keine belastbaren Daten, wie hoch der Prozentsatz der akuten Schlaganfallpatienten schätzungsweise ist, die eine Monitordauer von über 72h benötigen. Dieser Prozentsatz wird sehr stark abhängig von dem Schweregrad der Patienten zu Beginn der Behandlung (z. B. gemessen mit Hilfe der NIH-Stroke Scale) auf einer Stroke Unit bestimmt werden." Das hat sich bis heute nicht geändert. Die von der American Heart Association und der American Stroke Association herausgegebene Zeitschrift "Stroke" ist das führende Medium für die Veröffentlichung und die Diskussion von Studien und Konzepten zur Behandlung von Schlaganfall-Patienten. In unregelmäßigen Abständen werden dort, abhängig von den Fortschritten und neuen Erkenntnissen in der Behandlung von Schlaganfall-Patienten, Leitlinien veröffentlicht. Die AHA/ASA Guidelines aus 2013 empfehlen, gestützt auf eine Auswertung von mehr als 1000 Veröffentlichungen, ein intensives Monitoring über mindestens 24h und beschreiben ein Management über 48h. Eine Evidenz für eine von Befund und Befinden der Patienten unabhängige, generell notwendige Überwachung auf einer Stroke Unit über mehr als 72h findet sich nicht. Nach diesen Leitlinien ist es richtig, Schlaganfall-Patienten schnellstmöglich in fachkundige Behandlung zu geben. Organisiert ist die Behandlungskompetenz bestenfalls in spezialisierten Einheiten wie z. B. in einer Stroke Unit. Schlaganfall-Patienten benötigen dabei nur selten ABC-Management. Die Verbesserung der Primärbehandlung wird erzielt durch die Verkürzung der Zeit bis zum Arzt-Kontakt, der Zeit bis zum CT/MRT, der Zeit bis zur Lyse-Therapie bzw Rekanalisation und Reperfusion, denn: Time is Brain! (Jedenfalls bei ischemic strokes). Seit kurzem werden teils schon Spezial-Rettungsfahrzeugen mit CT und Labor an Bord eingesetzt, die es dem Neurologen ermöglichen, eine rasche Diagnose zu stellen und eine Lysetherapie gegebenenfalls schon im Fahrzeug einzuleiten. Die Behandlung auf der Stroke Unit richtet sich dann nach den Befunden und Bedürfnissen der Patienten und damit nach der Schwere der Erkrankung. Dabei gibt es eine positive Korrelation von Schwere des Schlaganfalls, neurologischen Komplikationen (z. B. Hirndruck) und Begleitpathologie wie z. B. Pneumonien. Bei leichter Ausprägung des Schlaganfalls (NIHSS bis 5 Punkte) sind solche Komplikationen selten, bei schwerem Schlaganfall (NIHSS 12 und mehr Punkte) treten solche Komplikationen häufig auf. Die Häufigkeit und Verteilung solcher Komplikationen kann nachgesehen werden in den regionalen Registern. Die Patienten verbleiben auf der Stroke Unit, bis Ihr Zustand soweit stabilisiert ist, daß eine weniger intensive Betreuung angemessen ist. Die Beurteilung der Behandlungsdauer auf einer Stroke Unit deutschen Zuschnitts unterscheidet sich damit prinzipiell nicht von der Beurteilung der Behandlungsdauer von Patienten auf einer internistischen Intensivstation. Die Anfang des Jahrtausends diskutierte generelle Monitor-gestützte Überwachung über 72h wird nicht (mehr) empfohlen. Patienten mit leichtem Schlaganfall bedürfen regelhaft nur selten einer Überwachung auf der Stroke Unit für einen Zeitraum von mehr als 3 Tagen.

    Jetzt müssen Sie mal auf Ihre Stroke Unit schauen, welche Patienten mit welcher Primär- und Begleitpathologie sie dann dort für wie lange überwachen. Wenn Sie dort viele Fälle mit niedrigem NIHSS und ohne wesentliche Nebendiagnosen häufig über 72h ziehen, dann müssen Sie sich eine gute Erklärung dafür zurecht legen....

    Gruß

    W.

  • Hallo Klore,
    ich kann mich noch an einen Gerichtsfall von Anfang des Jahres erinnern, in dem der Gerichtsgutachter (Kliniker) letztlich ebenfalls eine notwendige Dauer > 72h verneint hat. Es dürfte immer eine Einzelfallfrage sein, wobei eben mit zunehmender Dauer genauer geschaut wird. Hatte bereits mehrfach die Fälle auf dem Tisch, bei denen man sich offensichtlich mit letzter Kraft über die 72h-Hürde geschleppt hat und dann nach 74h lag der Patient auf normal... Sowas merken halt auch irgendwann die Kostenträger. :/
    MfG
    RA Berbuir

  • Hallo Herr Klore,

    Ich verstehe Ihre Frage so, ob bei Aufnahme auf die Stroke Unit nach mehr als 72h die 8-981 abgerechnet werden kann. Auch hier gibt der Kodierleitfaden Schlaganfall Antworten unter "Aufnahmekriterien von Schlaganfallpatienten auf die Stroke Unit". Hierzu werden dort neben der fluktuierenden oder progredienten Symptomatik auch Risikopatienten genannt, z.B. mit entsprechenden Vor- bzw. Begleiterkrankungen, dort genauer präzisiert.
    Freundliche Grüße
    Margherita

  • Hallo Herr Klore,

    Bei nochmaligem Durchlesen: ich hatte wohl doch Ihre Frage falsch verstanden und es geht darum wann die "kleine" und wann die "große" neurologische Komplexbehandlung gerechtfertigt ist. Also prinzipiell ist das ja eine Entscheidung der behandelnden Ärzte, die die medizinische Indikation sahen, die ja bei einem Schlaganfall prinzipiell gegeben ist.
    Und zur Anmerkung von RA Berbuir: es gibt auch die Fälle mit knapp unter 72h VWD wo es eben natürlich nicht möglich ist, die 8-981.1 abzurechnen, obwohl zeitlich nahezu erfüllt. Solche Fälle treten aber eben wohl kaum nach außen in Erscheinung.
    Freundliche Grüße

  • Hallo nochmal,
    aktuell hat sich das LSG Saarland in einem bislang nicht frei zugänglichen Urteil mit der Thematik befasst. Der Senat folgte dem Sachverständigen, welcher bei einem Patienten mit 7 NIHSS Punkten bei Aufnahme und im Verlauf zwar wechselnden Vigilanzzuständen, die allerdings am ehesten auf eine vorbestehende Demenz zurückführbar gewesen seien, keine med. Indikation für einen Stroke-Unit-Aufenthalt >72h erkannte.
    Guten Wochenstart!

  • Hallo,
    der o.g. Beschreibung entnehme ich, dass also das eigentliche Problem und Anlass des Krankenhausaufenthaltes die Demenz war - auch wenn eben anfänglich ein Schlaganfall als Differentialdiagnose im Raume stand und dies Grund für die Aufnahme auf die Stroke Unit war. Die Indikation für einen Aufenthalt auf der Stroke Unit (als Überwachungseinheit) war sicher nicht das Problem, sondern die Abrechnung der 8-981.1, die eben nur bei vorliegendem akuten Schlaganfall (oder TIA) vorgenommen werden darf. Bei akutem Schlaganfall darf immer auch eine neurologische Komplexbehandlung durchgeführt werden, zumal der Verlauf - immer die Möglichkeit einer Progredienz, fluktuierender Symptomatik oder sonstigen Instabilitäten- ja erst im Nachhinein beurteilt werden kann.
    Mit freundlichen Grüßen
    Margherita

  • Vielen Dank für die ausführlichen und zum Teil sehr hilfreichen Kommentare. Für mich hat das Hinterfragen der medizinischen Indikation durch den MDK eine ganz neue Qualität der bisherigen Prüfverfahren! Im Moment betrifft es anscheinend nur nicht schneidende Fächer, aber man stelle sich vor der MDK nähme sich die Freiheit auch die Indikationsstellung für Operationen zu hinterfragen....

    Zwischenzeitlich bin ich selbst in meinen Recherchen ein Schritt weitergekommen und habe bei der Deutschen Schlaganfallsgesellschaft medizinische Indikationen für die 8-981 gefunden. Einen Screenshot habe ich im Dateianhang, Der Link zu Quelle findet sich hier:
    http://www.dsg-info.de/nachrichten/st…-ops-8-981.html .

    Aktuell habe ich aus dem letzten halben Jahr mehr als 30 Fälle, die abgelehnt wurden und bei denen eine Entscheidung über eine Klage getroffen werden muss. Leider ist das oben genannte Urteil noch nicht frei verfügbar, stellt aber wohl eher einen misslungenen Versuch einer Klage bei begleitender Demenz dar! Falls noch weitere Fälle bekannt sind, würde ich mich also über weitere Rückmeldungen freuen!

    mfg
    Klore

    Mit freundlichem Gruß


    Klore

  • Hallo klore,

    die Fallkonstellationen, für die in den Original-Studien eine Sinnhaftigkeit einer Überwachung auf der Stroke Unit für mehr als 72h gesehen wurde, dürften am heute dort bundesweit behandelten Krankengut nur noch einen Anteil von weniger als 20% haben. Neue Begründungen für ein längeres apparatives Monitoring sind nicht hinzu gekommen. Neben der Sortierung sich häufender Klagefälle sollte das Medizincontrolling deshalb auch mal schauen, wie so ganz allgemein die Verteilung von Schweregrad und Komplikationen auf der eigenen Stroke Unit ist. Es könnte dort, wie aus Ihrer Meldung zunehmender Ablehnungen der Kostenübernahme durch die Kostenträger zu entnehmen ist, ein erhebliches Kostenrisiko schlummern....

    Gruß

    W.

  • Hallo,

    Zitate aus Arztbriefen wie "es lag ein sich der Bildgebung entziehender Hirninfarkt vor" oder "bei noch diskret hängendem Mundwinkel überwachten wir für 72h...", gepaart mit Aussagen von Patienten wie "ich lag in dritter Reihe und nach drei Tagen wurde ich dann mitten in der Nacht auf Normalstation gebracht" oder "auf der stroke war toll, da kam wenigstens einmal täglich der Logopäde vorbei" und einer zügigen Verlegung (die B70B ist halt eine Verlegungsfallpauschale) lassen den Schelm halt Böses denken.

    Danke an Willis für die Klarstellung der Indikation einer Überwachung >72h auf der stroke.

    Gruß
    zakspeed

  • Hallo,

    Ich wundere mich hier doch in welche Richtung die Diskussion hier geht. Ein Schlaganfall ist ein medizinischer Notfall, der auf einer Stroke Unit die passgerechte Behandlung erhält. Tatsächlich findet sich bei einem Schlaganfall zumeist ein Korrelat in der Bildgebung, aber eben nicht immer. Hier ist die Klinik des Patienten und die Einschätzung der Fachärzte entscheidend. Auf einer Stroke Unit wird ja noch deutlich mehr geleistet als die reine Überwachung, die täglichen Therapien gingen hier bislang unter. Das der Satz auf der Stroke Unit kam einmal tgl. der Logopäde vorbei negativ gewertet wird, kann ich nicht verstehen. So ist es bei Defizit ja auch vorgesehen. Auf Normalstation wird man da am Wochenende vergeblich warten. Da ein Schlaganfall ein Notfall ist werden hier natürlich auch Patienten in der Nacht aufgenommen - wenn kein Bett mehr frei ist muss eben ein anderer Patient auch mitten in der Nacht Platz machen- ob die 72 h nun erreicht sind oder vielleicht auch gerade noch nicht. An der Indikation ist aus meiner Sicht nicht zu rütteln und ich habe hier auch noch kein Argument dagegen gefunden, das für mich nachvollziehbar ist.
    Freundliche Grüße