Warum fiel die durchschn. Verweildauer schon vor den DRGs so stark?

  • Hallo liebes Forum,

    wenn man sich die durchschnittliche Verweildauer in deutschen Krankenhäusern ansieht, erkennt man schon seit Anfang der 90er einen starken rückläufigen Trend.
    Kann einer der "alten Hasen" hier mir erklären, wieso das der Fall war? Vor Einführung der DRGs erhielten die Krankenhäuser doch noch Pflegesätze pro Tag - d.h. es gab doch ökonomisch noch gar keinen Anreiz zur Liegezeitreduktion, oder übersehe ich da was?

    Ich hoffe auf erleuchtende Antworten!

    Liebe Grüße,

    Rabazamba

  • Hallo Rambazamba,
    da dürften verschiedene Faktoren eine Rolle gespielt haben, u.a. demografische Entwicklung, Änderung der statistischen Auswertung etc. i.Ü. gab es die Diskussion um Verweildauer bereits in den 1960ern...
    Quellen 1, 2
    Besten Gruß,
    RA Berbuir

  • Hallo Rambazamba,

    neben den von RA Berbuir genannten Gründen, spielt natürlich der medizinische und medizinisch-technische Fortschritt eine große Rolle. Als Stichwort nur die minimal-invasiven Verfahren.

    Grüße
    Matthias Offermanns

    Deutsches Krankenhausinstitut

    Alte Rheinische Weisheit: "Das Leben ist zu kurz für ein langes Gesicht."

  • Hallo,
    auch zu Bundespflegesatzzeiten gab es in einzelnen Bereichen schon Fallpauschalen und sog. Sonderentgelte.
    Da hat eine Verweildauersenkung durchaus ihren Sinn gehabt.

    Liebe Grüße aus Sachsen
    D. Zierold

  • Sehr interessant, vielen Dank! Auf ökonomischen Druck war es aber vor Einführung der DRGs nicht zurückzuführen, da ja pro Tag gezahlt wurde?

    Ich finde Ihre Fragestellung interessant (ich bin ja auch Forscher, da hat man schon mal merkwürdige Vorstellungen :) ).

    Ich habe mir die Entwicklung der Verweildauern in den Allgemeinkrankenhäusern von 1990 bis 2015 angeschaut. Verwendet habe ich die Tabelle 2.2.1 in den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zu den Grunddaten der Krankenhäuser.

    Die durchschnittliche Verweildauer lag im Jahr 1990 bei 13,4 Tagen, im Jahr 2015 bei durchschnittlich 6,8 Tagen. Seit 1990 ist die Verweildauer permanent gesunken, mal mehr, mal weniger. So weit, so gut.

    Ich habe mal schnell (!) mir 3 Zeiträume angesehen:

    • 1990 bis 1994: verfügbare Daten bis vor der Einführung der Fallpauschalen und der Sonderentelte über die Bundespflegesatzverordnung
    • 1995 bis 2003: Geltungsdauer der Bundespflegesatzverordnung mit Fallpauschalen und Sonderentgelten bis zur verbindlichen Einführung des DRG-Systems
    • 2004 bis 2015: DRG-System

    Da unterschiedliche Zeiträume betroffen sind, kann man nicht einfach Anfangsverweildauer durch die Endverweildauer dividieren und die prozentuale Veränderung ermitteln. Statt dessen habe ich die jahresdurchschnittliche Veränderungsrate für diese 3 Zeiträume ermittelt. Bei diesem Verfahren werden unterschiedliche Zeiträume berücksichtigt, so dass keine Verzerrungen aufgrund dieses Kriteriums auftreten.

    Hier die Ergebnisse:

    • 1990 bis 1994: jahresdurchschnittliche Veränderungsrate der Verweildauer -3,9 %
    • 1995 bis 2003: jahresdurchschnittliche Veränderungsrate der Verweildauer -3,9 %
    • 2004 bis 2015: jahresdurchschnittliche Veränderungsrate der Verweildauer -1,7 %

    Das Ergebnis hat mich etwas überrascht. Allerdings müsste man noch mehr in die Tiefe gehen und z.B. 2003 mit dem Optionsmodell genauer anschauen. Wie gesagt, das war nur eine schnelle Auswertung.

    Grüße

    Matthias Offermanns

    Deutsches Krankenhausinstitut

    Alte Rheinische Weisheit: "Das Leben ist zu kurz für ein langes Gesicht."

  • Hallo,

    die Interpretation ist allerdings vermutlich etwas komplexer. Zum einen muss man natürlich fragen, wie die Kurve ohne DRG-Einführung verlaufen wäre. Es ist ja anzunehmen, dass sie irgendwann abflacht. Zweitens sind in den Zahlen vermutlich auch die Psychiatrien, das sollte man bereinigen (bleibt in Tendenz aber vermutlich ähnlich). Zudem gibt es am unteren Rand auch Effekte, die die Grundmenge verändern, wie z.B. die Ambulantisierung der (früheren) Kurzlieger.

    Klar ist aber, dass der Verweildauereffekt der DRG-Einführung jedenfalls nicht offensichtlich aus den Daten ableitbar ist.

    Gruß

    • Offizieller Beitrag

    Guten Tag

    Siehe auch:

    Auch ein Blick auf die Verweildauer zeigt Überraschendes:
    Zwar ging die Verweildauer zwischen 2003 und 2007 von 8,3 Tagen auf 7,8 Tage zurück (minus sechs Prozent).
    Der Rückgang war jedoch sowohl zwischen 1999 und 2003 mit 16,2 Prozent als auch von 1995 bis 1999 mit 13,2 Prozent deutlich stärker ausgeprägt.

    Die Kosten der Krankenhäuser sind somit nach Einführung der DRGs weiter gestiegen; der Rückgang der Verweildauer hat sich abgeschwächt

    https://www.aerzteblatt.de/pdf/106/6/a226.pdf


    Gruß
    E Rembs

  • Zweitens sind in den Zahlen vermutlich auch die Psychiatrien, das sollte man bereinigen (bleibt in Tendenz aber vermutlich ähnlich).

    Es wurden nur die Allgemeinkrankenhäuser, also ohne reine Psychiatrien, kurz (!) ausgewertet.

    Deutsches Krankenhausinstitut

    Alte Rheinische Weisheit: "Das Leben ist zu kurz für ein langes Gesicht."

  • Bin beruhigt, dass Sie das auch alle überrascht, dass der Rückgang vor den DRGs wenn überhaupt eher stärker ausgeprägt war.
    Kann das daran liegen, wie damals die Krankenhausbudgets berechnet wurden? Die durften doch zumindest ab 95 nur begrenzt steigen, oder? Was dann hieße, dass man längere Verweildauern nur begrenzt vergütet bekommen hätte?

  • Bin beruhigt, dass Sie das auch alle überrascht, dass der Rückgang vor den DRGs wenn überhaupt eher stärker ausgeprägt war.
    Kann das daran liegen, wie damals die Krankenhausbudgets berechnet wurden? Die durften doch zumindest ab 95 nur begrenzt steigen, oder? Was dann hieße, dass man längere Verweildauern nur begrenzt vergütet bekommen hätte?

    Sie werden diese Frage nicht eindeutig beantwortet bekommen. Viele Faktoren spielen eine Rolle bei der Verkürzung der Verweildauer. Durch ein aufwändiges Modell könnten Sie die Faktoren identifizieren und quantifizieren können. Aber, wie gesagt, es ist aufwändig und es ist ein Modell. Je nachdem, was und wie Sie fragen, werden Sie unterschiedliche Antworten erhalten.

    Auf einer sehr aggregierten Ebene (durchschnittliche Verweildauer über alle stationären Aufenthalte in allen Allgemeinkrankenhäusern) haben Sie einen Augenscheinsbeweis erhalten, dass die Dynamik der Verweildauerreduktion zurück gegangen ist. Liegt das am DRG-System und dessen Vergütung oder liegt es schlicht und ergreifend daran, dass es eine Grenze für die Reduktion der Verweildauern gibt (im Extremfall 0 Tage)?

    Deutsches Krankenhausinstitut

    Alte Rheinische Weisheit: "Das Leben ist zu kurz für ein langes Gesicht."