Leider wird der Patientendatenschutz mit der Umsetzung des MDK-Reformgesetztes weiter ausgehebelt. Vor einem Klageweg ist nun ein sog. Erörterungsverfahren mit der Krankenkasse vorgesehen (§ 17c Abs. 2b KHG). Aus dieser Regelung geht hervor, dass der Krankenkasse in diesem Erörterungsverfahren alles zur Verfügung gestellt werden muss, was später vor Gericht genutzt werden soll (Sätze 3 und 4 in § 17c Abs. 2b KHG). Das bedeutet letztendlich, dass der Krankenkasse nicht nur im Rahmen eines Gerichtsprozesses, sondern ab 1.1.20 bereits vorher im Erörterungsverfahren die komplette Krankenakte eines Patienten ohne dessen Zustimmung (!) zur Verfügung gestellt wird. Es wird auf diese Weise immer mehr Fälle geben, in denen dieser Datenschutz faktisch nicht mehr besteht.
Bereits der Vorgang der Einsichtnahme der Krankenkassen in Patientenakten im Rahmen von Gerichtsprozessen halte ich für grenzwertig und hatte vor einigen Monaten den Bundesdatenschutzbeauftragten um Stellungnahme gebeten. Eine Antwort ließ zwar lange auf sich warten, kam aber dann immerhin in sehr ausführlicher Form und ist für den ein oder anderen Forumsleser vielleicht von Interesse:
ZitatAlles anzeigen...Das Bundessozialgericht weist in dem Urteil vom 19. Dezember 2017 - B 1 KR 19/17 R - in seinem zweiten Leitsatz darauf hin, dass soweit "ein Gericht seine Entscheidung über Behandlungsvergütung eines Krankenhauses auf dessen Behandlungsunterlagen (stützt), es aber der beklagten Krankenkasse die Einsichtnahme hierein (verwehrt), es deren rechtliches Gehör (verletzt)". Weiterhin für das Bundessozialgericht in seiner Begründung aus:
"a) Das LSG hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt, indem es ihr Einsicht in die Behandlungsunterlagen der Versicherten verweigert hat (vgl. § 62 und § 128 Abs. 2 SGG, Art 103 Abs. 1 GG, Art 47 Abs. 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs. 1 EMRK). Es hat die Beklagte daran gehindert, die Angaben des Zeugen und des MDK selbst umfassend anhand der diesen gerichtlich zur Verfügung gestellten Behandlungsunterlagen zu überprüfen. Der Beklagten standen nur die Auszüge zur Verfügung, die die Klägerin den Schriftsätzen als Anlagen beigefügt hat.
Nach § 128 Abs. 2 SGG darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Die Regelung konkretisiert den grundrechtlich verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 16 RdNr. 42). § 128 Abs. 2 SGG beschränkt sich hierbei gegenüber dem inhaltlich weiteren § 62 SGG auf die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung (vgl. BSGE 117, 192 = SozR 4-1500 § 163 Nr. 7, RdNr. 23; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand August 2017, § 128 Anm. 10a). Das GG sichert rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren durch das Verfahrensgrundrecht des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs. 1 GG). Es ist als objektivrechtliches Verfahrensprinzip für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des GG schlechthin konstitutiv (vgl. BVerfGE 55, 1, 6). Rechtliches Gehör sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im
Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können (vgl. BVerfG <Plenum> BVerfGE 107, 395, 409 = SozR 4-1100 Art 103 Nr. 1 RdNr. 29). Einer gerichtlichen Entscheidung dürfen daher grundsätzlich nur solche Tatsachen zugrunde gelegt werden, zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten (vgl. BVerfGE 89, 381, 392; stRspr.). Zu Tatsachen und Beweismitteln, die das Gericht von Amts wegen in den Prozess einführt und die es bei seiner Entscheidung berücksichtigen will, hat es die Beteiligten zu hören (vgl. BVerfGE 70, 180, 189; BVerfGE 101, 106, 129). Das Recht auf rechtliches Gehör umfasst u.a. die Möglichkeit für die Beteiligten, in die Unterlagen Einsicht zu nehmen, die das Gericht in den Prozess eingeführt hat und auf die es sich stützen will.
Hierzu gehören auch die den Beweisergebnissen zugrunde liegenden tatsächlichen Grundlagen wie die vollständigen Behandlungsunterlagen, wenn das Gericht sie verwertet. In diesem Sinne hat sich das LSG für seine Feststellung auf die "von der Klägerin vorgelegten Informationsquellen" einschließlich der Behandlungsunterlagen gestützt, um die Aussage des Zeugen und deren Bewertung durch den MDK zu würdigen, die ihrerseits Einblick in die gesamte Behandlungsakte genommen haben. Die Beklagte konnte sich dagegen nicht dazu äußern, dass die ihr nicht zugänglich gemachten Teile der Behandlungsunterlagen Hinweise enthalten, die gegen die Beweiswürdigung des LSG sprechen."
Zudem weist das Bundessozialgericht darauf hin, dass der Krankenkasse das Wissen des MDK nicht zuzurechnen sei. Es ist schließlich eine andere öffentliche Stelle.
Die Entscheidung halte ich auch für richtig und sie entspricht auch der Datenschutz-Grundverordnung, die in seinem Artikel 9 Absatz 2 Buchst. f) vorsieht, dass eine Verarbeitung von besonderen Arten von Daten, zu denen Gesundheitsdaten gehören, auch zur Ausübung, Geltendmachung und Verteidigung von Rechtsansprüchen zulässig ist. Hinzu kommt, dass nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - dieses wird auch Grundrecht auf Datenschutz genannt - nach Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz ein Grundrecht ist, sondern auch das das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör nach Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz.
Wenn wie im vorliegenden Fall zwei Grundrechte kollidieren, muss im Wege der praktischen Konkordanz zugesehen werden, dass möglichst beiden Grundrechten zur Erfolg verholfen wird. Da eine Rechtsverteidigung in dem Prozess nicht ohne Kenntnis der Gesundheitsdaten, um deren Abrechnung es ging, möglich war, müssen diese insoweit offenbart werden. Diese Gesundheitsdaten dürfen von der Krankenkasse dann allerdings nur ausschließlich für die Rechtsverteidigung und zu keinem anderen Zweck genutzt werden.
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Mit der nun bald festgeschriebenen Fallerörterung mit der Krankenkasse wird der Patientendatenschutz weiter "durchlöchert" - ein Hoch auf die "praktische Konkordanz"