Krankenhausbehandlung nach SGB XII - Urteil BSG B 8 SO 2/21 R

  • Guten Tag zusammen,

    ich bin auf der Seite des BSG über das Urteil vom 06.10.2022 gestolpert. Ich bin ein einfacher Internist und kein Rechtsexperte. Deshalb die Frage an die Experten hier:

    Kann mir das mal jemand erklären? Welche Auswirkungen hat es konkret?

    Aus meiner Sicht hat sich das KH frühzeitig an die entsprechenden Stellen gewandt (Am Montag, dem 28.1.2019 wurde in diesem Krankenhaus um 1:22 Uhr eine Patientin mit bulgarischer Staatsangehörigkeit unter der Diagnose einer benignen essentiellen Hypertonie mit Angabe einer hypertensiven Krise als Notfall stationär aufgenommen. Mit Fax von 2:01 Uhr desselben Tages beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten der stationären Behandlung bei der Beklagten)

    Und wie soll / kann sich ein KH verhalten, um nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben?

    DANKE

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Hallo,

    nur zur Sicherheit:

    Meinst Du die Entscheidung B 8 SO 2/21 R | Sozialgerichtsbarkeit Bundesrepublik Deutschland

    B 8 SO 2/21 R - H. K. D. GmbH ./. Stadt Duisburg
    Vorinstanzen:
    Sozialgericht Duisburg - S 3 SO 620/19, 12.01.2021
    Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 12 SO 61/21, 28.04.2021
    Der Senat hat die Revision zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten für die an die Patientin erbrachte Krankenbehandlung. Ein Anspruch als Nothelferin (§ 25 SGB XII) scheitert unabhängig davon, ob bei der Patientin überhaupt ein Hilfebedarf bestand, daran, dass die Beklagte bereits am ersten Behandlungstag Kenntnis von der eventuellen Notlage der Patientin hatte und damit ggf Ansprüche der Patientin auf Hilfe bei Krankheit (vgl § 19 Abs 3, § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 48 Satz 1 SGB XII; § 23 Abs 3 Satz 5 SGB XII) unmittelbar einsetzten (vgl § 18 Abs 1 SGB XII; BSG vom 23.8.2013 - B 8 SO 19/12 R, BSGE 114, 161 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1, RdNr 18). Ein Anspruch der Klägerin kann auch nicht aus der Abtretungserklärung der Patientin hergeleitet werden, weil Sozialhilfeansprüche nicht übertragbar sind (§ 17 Abs 1 Satz 2 SGB XII). Dies gilt auch für den Sekundäranspruch auf Erstattung der Behandlungskosten, der als Freistellungsanspruch der Patientin zustehen könnte, jedoch - um nicht dem Abtretungsverbot zu unterfallen - bereits festgestellt sein müsste. Die Klägerin kann schließlich auch nicht im Wege der Prozessstandschaft einen solchen noch nicht festgestellten Anspruch der Patientin erfolgreich geltend machen, weil dadurch das Abtretungsverbot unterlaufen würde.

    Auch beim lesen der schriftlichen Begründung bleiben für mich Fragen.

    Ich hoffe auf verständliche juristische Erklärung.

    Aktuell haben wir auch so einen ähnlichen Fall. Die KK (privat) will die Kosten nicht übernehmen, weil in der Vergangenheit zu wenig Krankenkassenbeiträge gezahlt worden seinen. Wir haben zur Sicherheit das Sozialamt informiert. Wie es hier weitergeht, bzw. wo eigentlich die Problem liegen, können wir noch nicht sagen. Solche Fällen sind leider sehr sehr zeitintensiv.

    Gruß

    MiChu ;)
    Sei nicht unglücklich vor der Zeit, denn was dich, als dir drohend, in Angst versetzt, wird vielleicht nie kommen. (Seneca)

  • Hallo Michael,

    genau diese Entscheidung meine ich (steht auch im Thread-Titel drin). Vielleicht erklärt uns das Urteil ja irgendwann mal jemand?

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • boah, das ist schon etwas komplexer, aber ich versuche es:

    zum Fall: Patient ist nicht in Deutschland versichert -> bedeutet nicht, dass hier grundsätzlich das Sozialamt zuständig wird! Bulgarien gehört zu EU, also käme hier auch das zwischenstaatliche Recht mittels EHIC zustande https://www.dvka.de/de/startseite/startseite.html

    Außerdem kann z.B. dort auch eine Reisekrankenversicherung, ein private (ausländische) Versicherung oder Selbstzahler möglich sein.

    Das Sozialamt kann dem Nothelfer (das ist das Krankenhaus) die Kosten erstatten, wenn eine wirtschaftliche Hilfebedürftigkeit beim Patienten vorliegt. Dazu muss der Patient aber ggü. dem Sozialamt alle notwendigen Angaben machen. D.h. der Patient muss den Antrag auf Übernahme der Kosten stellen, fehlen Angaben, kann (und wird) das Sozialamt nicht entscheiden bzw. ablehnen. Das ist auch die Krux, der Patient ist meist schon weg, aber die Beweispflicht der wirtschaftlichen Not liegt beim Patienten bzw. dem Krankenhaus. Und die Fragen können alles beinhalten, wo waren sie versichert, bis wann, warum nicht mehr, warum können sie das nicht selbst bezahlen, was gibt es an Vermögen usw. Wenn das alles nicht oder unvollständig beantwortet wird, bleibt das Krankenhaus auf den Kosten sitzen.

    Dreh- und Angelpunkt bleibt der Patient, z.B. kann das Sozialamt auch feststellen "Patient könnte sich bei der KK XY weiterversichern" -> auch das muss der Patient selbst machen. Oder Angehörige, oft sind ja auch Werte vorhanden, die aus verständlichen Gründen nicht versilbert werden sollen. Da bleibt dem Krankenhaus nur das Inkasso-Verfahren, schwierig bei unklaren Erbverhältnissen.

    Auf der Homepage der Deutschen Krankenhausgesellschaft gab es mal einen Artikel "das Krankenhaus als Nothelfer", wenn den jemand noch online findet, darf der gerne hier platziert werden.

    Fazit: das Sozialamt (das wir ja als Steuerzahler alle irgendwie sind) ist nicht grundsätzlich zuständig, nur weil ein Nothelfer einen Antrag dort zeitnah gestellt hat. Es muss schon belegt werden, warum eine wirtschaftliche Not bestanden hat. Und das in der Praxis zu beweisen ist schier unmöglich.

    Gruß

    zakspeed

  • zakspeed

    Danke für die Erläuterungen. Kann ich gut nachvollziehen.

    Zum Thema Sozialamt gleich eine Rückfrage.

    Mir geistert es im Hirn herum, dass das Sozialamt (wenn überhaupt) nur ab Zeitpunkt es Antrages die Kosten übernimmt.

    Gibt es dazu einen Hinweis?

    Gruß

    MiChu ;)
    Sei nicht unglücklich vor der Zeit, denn was dich, als dir drohend, in Angst versetzt, wird vielleicht nie kommen. (Seneca)

  • zakspeed

    Danke für die Erläuterungen. Kann ich gut nachvollziehen.

    Zum Thema Sozialamt gleich eine Rückfrage.

    Mir geistert es im Hirn herum, dass das Sozialamt (wenn überhaupt) nur ab Zeitpunkt es Antrages die Kosten übernimmt.

    Gibt es dazu einen Hinweis?

    Das ist, schlicht und ergreifend, richtig.
    Wir sind da schon drüber gestolpert.
    • Aufnahme zwischen Freitagnachmittag und Montagmorgen
    • KV-Karte eingelesen oder PKV angegeben
    • Rückmeldung GKV/PKV "nicht [mehr] versichert.
    • Patient sagt er sei mittellos
    • Sozialamt lehnt ab, weil Aufnahme zu lange her.

    Streichen Sie die Punkte mit der KV-Karte. Es sind schon Personen Freitagsabends aufgenommen worden, übers Wochenende verstorben. Dann brauchen wir montags drauf als (Patienten-)Verwaltung das Sozialamt überhaupt nicht mehr einschalten.

  • Fazit: das Sozialamt (das wir ja als Steuerzahler alle irgendwie sind) ist nicht grundsätzlich zuständig, nur weil ein Nothelfer einen Antrag dort zeitnah gestellt hat. Es muss schon belegt werden, warum eine wirtschaftliche Not bestanden hat. Und das in der Praxis zu beweisen ist schier unmöglich.

    Ich gehe sogar noch weiter: Das Sozialamt ist in den wenigsten dieser Konstellationen zuständig!

    Der Patient verstößt seit Jahrzehnten gegen die Versicherungspflicht, warum soll das die Allgemeinheit übernehmen für den?
    Der Patient kommt aus dem Ausland, hat hier noch kein Geld beim Staat gelassen, und braucht medizinische Versorgung. Das übernimmt keine Kommune.

    Aus meinem Alltag kann ich sagen, dass aus meiner Geburtsstadt im Herzen von Europa häufig obdach- und mittellose Patienten in die umliegenden Versorgungsgebiete gefahren werden*. Wenn ich jetzt aus der Stadt mit der Lilie im Wappen einen dort gemeldeten Obdachlosen bei mir versorge, bekommen wir von dort immer Geld. Das Sozialamt der anderen Großstadt am Main lehnt grundsätzlich die Kostenübernahmen ab.

    *Mir kommt das viel vor. Aber Frankfurt und Darmstadt haben in jedem Fall bei weitem mehr Obdachlose Menschen als Rüsselsheim bzw. der Kreis Groß-Gerau. Es kann sein, dass in den Frankfurter Krankenhäusern täglich sehr viele obdach- und mittellose Patienten landen. Möchte damit niemand auf den Schlips treten.