vollstationär oder vorstationär?

  • Guten Tag alle zusammen,

    folgende Situation: 58-jähriger Patient wird mit V.a.gastrointestinale Blutung bei häuslichem Kollaps und anamnestischem Teerstuhl notfallmäßig mit dem Rettungsdienst um 18:00 Uhr eingeliefert. Die körperliche Untersuchung ergibt einen wachen eksikkiert erscheinenden Patienten, in der rektalen Untersuchung kein Anhalt für frische Blutung, im Labor Hb 9,8g%. Anamnestisch Alkoholabusus. Entschluß zur stationären Aufnahme und am gleichen Abend \"Notfallgastroskopie\", Befund: kein Hinweis auf Blutung, Typ C-Gastritis. Da kreislaufstabil keine Transfusion erforderlich, aber Nahrungskarenz und Infusion zur Rehydrierung, weitere Überwachung auf Intensivstation, in der Nacht keine weiteren Blutungsereignisse. Koloskopie am nächsten Morgen ohne Befund, am Nachmittag um 13:00 Uhr Entlassung. Abrechnung über G44C, 1 Belegungstag.
    Die größte KK lehnt die Rechnung ab unter Verweis darauf, daß hier keine vollstationäre Behandlung stattfand, da der Aufenthalt weniger als 24 Stunden betragen hätte. Laut Grouper und Abrechnungssoftware kann ich aber nicht anders abrechnen, allenfalls manuell, da der Patient ja über die Mitternachtsgrenze vollstationär integriert war. Aus forensischen Gründen kann ich auch die Aufenthaltsdauer nicht ändern, um das Abrechnungssystem zur Akzeptanz eines vorstationären Termins zu bringen. Laut KPFV ist ein Belegungstag \"der Aufnahmetag und jeder weitere Tag...ohne den Entlassungs-/Verlegungstag..\", somit habe ich doch einen Tag. Oder irre ich mich hier? Hat die Kasse Recht? Wenn nicht, wie kann man sich hier durchsetzen? Weiß jemand Rat?

    Danke
    regular

    :kangoo: :kangoo:

  • Hallo regular,

    zuerst einmal die Voraussetzung für eine vollstationäre Behandlung ist nicht zwingende eine Behandlung von 24 Stunden. Hierbei sind die ganzen Umstände des \"Tagesfalls\" jedoch zu berücksichtigen.

    Bei einer \"vollstationären\" Behandlung zwischen 2 und 6 Stunden (bei auffälligen KH auch längere Zeiträume)zweifele ich auch schon mal an, dass es sich hierbei um eine wirkliche vollstationäre Behandlung handelt, die die Abrechnung einer DRG Fallpauschale rechtfertigt.

    Aber bei einer notfallmäßigen Aufnahme und den erwähnten durchgeführten Prozeduren halte ich (selbst unwissende KK Mitarbeiterin) es auch für fragwürdig, die Notwendigkeit der vollstationären Behandlung anzuzweifeln.

    Ganz nebenbei weiss ich natürlich nicht, wie der Aufenthalt verschlüsselt wurde - als KK Mitarbeiter haben wir schon mal das Problem, das wir hinter den gemeldeten Daten nicht den gesamten Umfang der Behandlung erfassen können. Und ehrlich gesagt, wenn der Alkohl als Hauptdiagnose verschlüsselt ist, dann frag ich auch mal nach ob die Aufnahme nicht lediglich zur Ausnüchterung erfolgte (dazu läuft aber hier im Forum bereits ein anderer Beitrag) und ggf. versuchen wir das dann auch als ambulante nzw. vorstationäre Behandlung zu vergüten.

    Nach dem oben geschilderten Fall würde ich mich als KK Mitarbeiterin allerdings schon (wenn mein Grouper das selbe rauskriegt und nicht gleich 3 rote Warnleuchten angehen) auf die Abrechnung G44C einlassen.

    Lieben Gruß aus dem Bergischen Land

    Jennifer Busse

    • Offizieller Beitrag
    Zitat


    Original von regular:
    ... KK lehnt die Rechnung ab unter Verweis darauf, daß hier keine vollstationäre Behandlung stattfand, da der Aufenthalt weniger als 24 Stunden betragen hätte.


    Hallo,
    es handelt sich in Ihrem Beispiel um vollstat. Behandlung!

    die Abgrenzung der Behandlungsformen vollstat, teilstat und ambulant kann im Einzelfall schwierig sein.
    Gesetzliche Definitionen dieser Begriffe existieren nicht.
    Wesentliche Merkmale der vollstat. Behandlung sind die Unterkunft und Verpflegung (vgl Vreden, das Krankenhaus 1998, 333)


    Gemäß §2 Nr.1 KHG und § 107 Abs.1 SGB V sowie §2 Abs.1.1 BPflV und § 39 Abs.1 3 SGB V ergibt sich:

    Stat. Krankenhausbehandlung ist die medizinische Versorgung eines Patienten im Krankenhaus, die ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei, Heil- und Hilfsmitteln, sowie Unterkunft und Verpflegung umfasst.
    Wird bei der medizinischen Versorgung im Krankenhaus Unterkunft und Verpfegung nicht gewährt, handelt es sich um nicht um stationäre, sondern stets um ambulante Behandlung.

    Bei der vollstationären Behandlung ist der Patient Tag und Nacht, also ununterbrochen im Krankenhaus untergebracht und nimmt die stationären Leistungen des Krankenhauses voll in Anspruch. Sie ist der Normalfall der stationären Behandlung. Zur stationären Behandlung zählen auch die „Stundenfälle“ innerhalb eines Tages, bei denen der Patient in das Krankenhaus aufgenommen wird und am selben Tag wieder entlassen bzw. verlegt wird.

    Gruß
    E Rembs

  • Hallo ins Forum,
    hallo Herr Rembs,

    eins vorweg: Wenn der Fall uns bekannt gewesen wäre, wie regular ihn beschrieb, hätten wir wohl keine primäre Fehlbelegung geprüft. Hier würde das von Ihnen, Herr Rembs, gern angeführte Problem des forensischen Aspekts bei mir ziehen.

    Bei der Definition, was vollstationär ist, haben wir schon an anderer Stelle einen gewissen Dissens gehabt. Die Definition, die Sie liefern, ist nur soweit stimmig, dass hier die Verhältnisse des Gesamtfalls zu betrachten sind. Die Einhaltung der genannten Formalien reicht alleine nicht aus, wie vor kurzem das BSG feststellte. Ich \"zitierte\" schon mal:
    [hr]
    Die Notwendigkeit stationärer Behandlung ergibt sich nicht aus dem Procedere bei der Aufnahme, d.h. es reicht nicht aus, dass der Patient wie ein stationär zu behandelnder aufgenommen wurde(siehe BSG jüngst: Pressebericht zu B 3 KR 4/03 R)
    [hr]
    Aber tatsächlich könnte ich Ihnen keine griffigere Definition liefern. Es ist wirklich einfacher, die Mängel einer Definition darzustellen. :jaybee:

    Gruß
    Dieter R
    MA einer KK

  • Guten Abend an jemebu, Rembs und DR,

    ich danke für das Verständnis von KK-Mitarbeitern, das einem so selten entgegengebracht wird. Die Zusammenarbeit könnte so viel besser sein, wenn wir regelmäßig und durchaus auch vertrauensvoll miteinander kommunizieren würden.

    Die genannte KK hat mich aufgrund meines Einspruchs zurückgerufen und mir mitgeteilt, dass sie den Fall doch entsprechend vergütet hätte, nämlich mit dem Satz für vorstationäre Behandlung. Ich wies nochmals daraufhin, daß wir hier die G44C abgerechnet haben wollten, was der Sachbearbeiter aber offensichtlich nicht verstand und mich an seinen Vorgesetzten verwies. Den habe ich aber bisher noch nicht erreicht.

    Ich bin aber dennoch hoffnungsfroh, weil ich inzwischen auch von anderen KK positive Rückmeldungen erhalten habe. Ich habe nichts dagegen, daß man in solchen Fällen die primäre Fehlbelegung überprüft, aber der Rückzug auf \"< als 24 Stunden\" gefällt mir nicht und entspricht nicht der aktuellen Gesetzgebung.

    Ich hoffe, wir arbeiten alle daran.

    Gute Nacht,
    regular

    :kangoo: :kangoo:

  • Hallo miteinander,

    das von DR zitierte Urteil des BSG, das einen Fall der ZMK-Klinik der Uni in Kiel betrifft, ist aus meiner Sicht für den hier geschilderten Fall nicht einsetzbar. In der Stellungnahme des BSG heißt es weiter:

    \"Die Klage, mit der der Kläger geltend machte, es habe sich um eine
    stationäre Behandlung gehandelt, weil die besondere Infrastruktur des
    Krankenhauses in Anspruch genommen worden sei, blieb in den beiden
    Vorinstanzen ohne Erfolg. Beide Gerichte haben die Durchführung einer
    stationären Behandlung verneint, weil die Patientin nicht über Nacht
    geblieben sei; es handele sich um eine Operation, die in den Katalog der
    ambulanten Operationen aufgenommen worden sei.\"

    Hier wird die Unterscheidung zwischen stationärer OP und ambulanter OP getroffen, die ja tatsächlich eine besondere Vergütungsform ist. Diese hier durchgeführte Versorgung (unter Vollnarkose wurden vier Weisheitszähne entfernt) wäre nämlich in einer entsprechenden kassenärztlichen Einrichtung ebenso zu erbringen gewesen. Die könnten den Fall ja auch behandeln und am gleichen Tag entlassen. Es bleibt nur die Frage, wie das aussieht wenn der Patient primär ungeplant dann schmerzgeplagt bis 23.45 bleibt, und dann doch (z. B. auf eigenen Wunsch) nach Hause geht???

    Bei den Stundenfällen ist die Sachlage häufig eine andere. Die Leistungen können eben gerade nicht in einer Arztpraxis gleich welcher Art erbracht werden, die besonderen Mittel des KH sind notwendig (s.o.: Intensivstation!).

    Ich würde diesem Spezialfall vorerst keine zu hohe Bedeutung zuweisen, wir müssen abwarten, wie weitere Urteile ausfallen.

  • Hallo Herr Blümke,

    ganz ehrlich: Ich nehme an, dass Sie diesem Urteil einen deutlich höheren Stellenwert zugemessen hätten, wenn dieses Urteil für das KH ausgegangen wäre. Ich halte es allerdings nicht für angemessen, BSG-Urteile danach einzuteilen, ob sie denn kommod sind. Gerade in letzter Zeit hat man oft den Eindruck gewinnen können, dass die 3. Kammer sehr pro-KH orientiert gewesen sei. So hat es auch nicht lange gedauert, bis man dann die aktuellsten BSG-Urteile um die Ohren bekam; ganz oft auch dann, wenn sie gar nicht auf den Vorgang passten. Jetzt darf auch einmal ein Urteil für die KK akzeptiert werden. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das BSG hier nicht anders entscheiden konnte, weil es sonst alle möglichen Paragrafen und Vereinbarungen ad absurdum geführt hätte.

    So bin ich der Auffassung, dass das Gericht sich hier nicht oder nicht ausschließlich um die Abgrenzung ambulante OP und vollstationär bemüht hat, wie es unschwer aus Ihrer Stellungnahme hervorgeht(...weil die besondere Infrastruktur des KH...). So hat ja auch Herr Dr. Rembs sich in der Definition auf eben diese Infrastruktur bezogen.

    Ich bleibe ebenso ein ausgesprochener Skeptiker hinsichtlich der Notwendigkeit von vollstationärer Aufnahme bei einer planbaren Behandlung, die am gleichen Tag beendet wird, an dem der Patient aufgenommen wurde. Das Argument der Intensivstation zieht nur sehr bedingt, wenn ich meine Kenntnisse über die notwendige Ausstattung einer ambulant operierenden Einheit zusammenkratze(wie teilw. bekannt, poste ich von zu Hause), ist unabdingbare Voraussetzung zur Zulassung immer die Absicherung gerade eines entgleisenden Falls. Die Besonderheiten des KH kann auch nicht das alleine glücklich machende Moment sein. Das könnte schnell zum Bumerang werden, wenn es um Behandlungen geht, die eben auch außerhalb des KH erbracht werden können.

    Gruß
    Dieter R
    MA einer KK

  • Schönen guten Tag allerseits und insbesondere Dieter R!

    Ich gebe Ihnen Recht: Natürlich neigen wir alle dazu, die Urteile für wichtiger und grundsätzlicher zu halten, die uns in den Kram passen. In diesem Fall habe ich, noch bevor das Urteil bekannt war, nach Lektüre des Pressevorberichts, diesen Ausgang erwartet.

    Trotzdem muss man sich schon ansehen, ob ein Urteil auf den gereade strittigen Fall passt.

    Was die Beherrschung von Komplikationen als Voraussetzung für die Zulassung angeht, so kann ich allerdings nur leise lächeln. In meiner chirurgisch aktiven Zeit habe ich einige Patienten gesehen und auch stationär aufgenommen, die ambulant operiert wurden und dann wegen Schmerzen, Blutung oder anderer Komplikationen ins Krankenhaus kamen. Einiges davon wäre unter primär stationären Bedingungen auch vermeidbar oder mindestens schneller zu beheben gewesen.

    Schönen Tag noch

  • Hallo alle miteinander,

    ich glaube, wir drehen uns im Kreise.

    Hier wird ex post - wie es so schön heißt - argumentiert und etwas ganz Wesentliches außer Acht gelassen. Die Entscheidung Voll-, Teilstationär, ambulant fällt nicht ex post sondern ex ante. D.h. der aufnehmende Arzt entscheidet nach §39 SGBV konkludent also auch für die KK verbindlich, ob der Patient vollstationär aufgenommen werden soll. Das gilt auch für den Fall daß er falsch entscheidet. Das hat das BSG vor Jahren - ich glaube 2. Hälfte der 90er Jahre und in einem Fall von Münchhausensyndrom - entschieden. Die ganze Fehlbelegungsproblematik beginnt eigentlich erst ab dem zweiten Tag. Der §39 SGBV ist meines Erachtens bis heute in dieser Passage nicht geändert worden.

    Der Verdacht auf eine gastrointestinale Blutung ist eine Diagnose, die einen vollstationären Aufenthalt rechtfertigt. Ist er erst einmal aufgenommen, ist es belanglos, ob der Verdacht noch am gleichen Tag ausgeschlossen und der Patient kurz darauf entlassen wird. Vielleicht sollten wir uns wieder einmal daran erinnern, daß wir Ärzte sind und ärztliche Entscheidungen fällen. Ein Verdacht auf eine ernste Erkrankung erfordert Maßnahmen, die der möglichen Erkrankung angemessen sind und nicht dem ausgeschlossenen Verdacht.

    Ich möchte bei mir eine gastrointestinale Blutung nicht ambulant ausgeschlossen wissen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Thomas Winter
    Berlin

    • Offizieller Beitrag
    Zitat


    Original von winterth:
    .... Das gilt auch für den Fall daß er falsch entscheidet. Das hat das BSG vor Jahren - ich glaube 2. Hälfte der 90er Jahre und in einem Fall von Münchhausensyndrom - entschieden.


    zur Ergänzung:

    Der in den §§ 11 , 27 , 39 SGB V global zugesagte Anspruch auf Krankenhausbehandlung wird durch die Entscheidungen des Krankenhausarztes über die Aufnahme und die jeweils geplanten Behandlungsmaßnahmen fortlaufend konkretisiert.
    Stellt sich nachträglich die Nichterforderlichkeit von Aufnahme und Behandlung heraus, ist die Krankenkasse - auch bei bewußter Täuschung durch einen Geschäftsunfähigen (z. B. „Krankenhauswanderer“) - nur dann nicht an die Entscheidung des Krankenhausarztes gebunden, wenn dieser ex ante hätte erkennen können, daß Aufnahme und Behandlung nicht erforderlich waren.
    BSG, Urteil vom 21. 8. 1996 - 3 RK 2-96 (Baden-Württemberg)


    ER

  • Hallo zusammen,

    ist das nicht spannend, wie es uns immer wieder gelingt, ein Einverständnis so lange zu beanspruchen, bis wir endlich anderer Meinung sind? -

    Herr Winter,

    ich bin ja gar nicht anderer Meinung in der Beurteilung des Falls im Ausgangspost. Es stellt sich nur die Frage, ob man diesen Einzelfall so strapazieren darf, dass daraus notwendigerweise ein Freibrief für alle Entscheidungen zur vollstationären Aufnahme wird.

    Gruß
    Dieter R
    MA einer KK