Kodierung SIRS/Sepsis/Bakteriämie 2005

  • Hallo liebes Forum,

    hier sind meine Überlegungen zur korrekten Kodierung der Sepsis/Bakteriämie/SIRS ab nächster Woche. Über eine rege Diskussion würde ich mich freuen.

    In der Deutschen Kodierrichtlinien wird für 2005 Wert auf eine genauere Differenzierung zwischen Bakteriämie, SIRS und Sepsis Wert gelegt. Für eine aufwandsgerechte Kodierung sind daher gewisse Richtlinien zu beachten.

    Zunächst zur Erinnung die Sepsiskriterien der Deutschen Sepsisgesellschaft:
    • Hypo- (<36°C) oder Hyperthermie (>38°C)
    • Tachykardie (>90/min)
    • Tachypnoe (>20/min) und/oder arterieller pCO2 <4,3kPa (33mmHg) und/oder maschinelle Beatmung
    • Leukozytose >12.000/µl oder Leukopenie <4.000/µl und/oder Linksverschiebung >10% im Diff.-BB

    [f3]Bakteriämie[/f3]
    Eine Bakteriämie, die die Sepsiskriterien nicht erfüllt, ist so zu verschlüsseln, dass der nachgewiesene Erreger spezifiziert wird, die Infektion aber nur einen unspezifischen Code erhält.

    Bei Nachweis von Erregern, die unter B95-97 aufgeführt sind:
    • Kodierung von A49.– + Code aus B95-97.

    Beispiele:
    Bakteriämie durch S. aureus: A49.0 B95.6!
    Bakteriämie durch vergrünende Streptokokken: A49.1 B95.48!
    Bakteriämie durch E. coli: A49.9 B96.2!

    Ausnahme:
    Bakteriämie durch H. influenzae: A49.2 (ohne B96.3!, da im ICD-Code A49.2 H. influenzae bereits enthalten ist)

    Bei Nachweis von Erregern, die nicht unter B95-97 aufgeführt sind:
    • Kodierung des Spezies-spezifischen Codes aus ICD-Kapitel I für „Infektion, nicht näher bezeichnet“.

    Beispiele:
    Bakteriämie durch N. gonorrhoeae: A54.9 („Gonokokkeninfektion, nicht näher bezeichnet“)
    Bakteriämie durch S. Enteritidis: A02.9 B96.2!
    Fungämie durch C. albicans: B37.9 (Kandidose, nicht näher bezeichnet“)

    Ausnahme:
    Bakteriämie durch N. meningitidis: A39.4 („Meningokokkensepsis, nicht näher bezeichnet“)

    [f3]SIRS nichtinfektiöser Genese[/f3]
    Bei Systemischem inflammatorischen Response-Syndrom nicht-infektiöser Ursache ist Folgendes zu kodieren:
    1. der Code der auslösenden Grundkrankheit
    2. bei nicht-infektiösem SIRS ohne Organkomplikationen R65.2!, bzw.
    bei nicht-infektiösem SIRS mit Organkomplikationen R65.3!
    3. falls Organkomplikationen vorliegen, sind diese zu kodieren.

    [f3]Sepsis[/f3]
    Jede Sepsis beinhaltet ein SIRS, somit ist bei einer Sepsis infektiöser Genese immer eine Kodierung von einem Sepsis-Code plus einem SIRS-Code erforderlich.

    Neu ist im ICD 2005, dass Sepsen/Septikämien nach medizinischen Eingriffen auch mit einem Sepsis-Code verschlüsselt werden dürfen und nicht mehr stattdessen mit einem der Komplikationscodes (T80-88 ), was noch 2004 erforderlich war.

    Somit ist bei Sepsis in folgender Reihenfolge zu kodieren:
    1. Kodierung des Sepsis-Codes
    a. beim Neugeborenen mit einem Code aus P36.–
    b. beim Erwachsenen mit einem Sepsis-Code aus Kapitel I des ICD-GM 2005.
    c. beim Erwachsenen, falls nach Abort, Extrauteringravidität oder Molenschwangerschaft, puerperal oder unter der Geburt zusätzlich mit einem Code aus O03-07+O08, O85 oder O75.3

    2. Kodierung einer evtl. bestehenden Neutropenie mit einem Code aus D70.–

    3. Kodierung des SIRS-Codes
    a. bei SIRS ohne Organkomplikationen mit R65.0!
    b. bei SIRS mit Organkomplikationen mit R65.1!

    4. Kodierung des auslösenden Erregers aus B95-97, falls dieser nicht bereits im Sepsis-Code enthalten war

    5. Kodierung einer evtl. vorhandenen Resistenz mit einem Code aus U80-85

    6. Kodierung der Organkomplikationen, falls vorliegend

    7. Kodierung der Komplikationen nach medizinischen Maßnahmen, falls vorliegend (z. B. T82.7 Infektion durch Gefäßkatheter)

    Beispiele:
    Salmonellensepsis ohne Organkomplikationen: A02.1 R65.0!
    ZVK-Sepsis durch MRSA bei Neutropenie ohne Organkomplikationen: A41.0 D70.1 R65.0! U80.0! T82.7
    Neugeborenensepsis durch E. coli mit Nierenversagen: P36.4 R65.1! N17.–
    Puerperalsepsis durch S. pyogenes ohne Organversagen: O85 A40.0 R65.0!

    [f3]Anmerkungen[/f3]
    Natürlich gibt\'s mal wieder Widersprüche zwischen DKR und ICD. So steht im ICD beispielsweise drin, dass die A40 (Streptokokkensepsis) als Exklusivum die O85 (und andere geburtshelferische Codes) hat, darunter sogar welche, die dieses Jahr neu als Exklusiva eingeführt wurden. Was bedeuten würde, dass das letzte Beispiel im Absatz oben verboten wäre. Andererseits steht in den DKR 2005 explizit drin, dass \"Zusätzlich (zur O85, O75.3 etc.) ein Sepsis-Code z. B. aus Tabelle 1 (und da steht auch die A40.- drin) anzugeben (ist)\"... (Seite 63, DKR 0103d). Da die DKR den ICD \"stechen\", ist die Kodierung also wieder richtig.
    Was tun?

    Viele Grüße
    Tim Pietzcker

    Prof. Dr. Tim Pietzcker, MBA
    Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie
    Technische Hochschule Ulm

  • Hallo Herr Pietzcker!

    Danke für die ausführliche Darstellung. Gut gelungen und m. E. auch gut geeignet für den 2005er Kodierleitfaden der DGHM. Und damit natürlich auch für die praktische Anwendung im \"code war\" 8)

    Allerdings sehe ich auch 2 Problemfelder. Wie groß die sind, weiß ich allerdings nicht - 2005 und das reale Leben in diesem werden es zeigen.

    1. Sepsis-Definition
    Eigenbrötlerisch (weil pädiatrisch ;) betrachtet wird die Anwendung der Sepsis-Kriterien der DSG (siehe auch FAQ des DIMDI) bei Kindern <12 Jahren schwierig, teilweise sogar falsch sein (ohne, daß die Kriterien falsch sind). Die Bezugspopulation ist halt eine andere.

    Im GPOH Leitfaden 2005 gibt es eine \"working formulation\" als vorläufige Arbeitsgrundlage; eine autoritative Richtlinie bzw. eine Definition analog den Kriterien der DSG ist aber m. W. noch nicht verfügbar.

    2. Erreger-Kodierung
    Den von Ihnen vertretenen und dargestellten Ansatz der Kodierung der Erreger, sofern Sie identifiziert worden sind, halte ich für vollkommen korrekt (sachlich betrachtet). Im Zeitalter der \"kodierten Spitzfindigkeiten\" sehe ich aber ein Problem darin, daß die Kodierung aufgrund des fehlendenen Aufwandes zu Begründung einer Nebendiagnosen-Verschlüsselung angefochten wird. Im Sinne von: eine Blutkultur ist doch eine Standardmaßnahme ohne vermehrten Aufwand und in der Kostenmatrik der entsprechenden DRG abgegolten. Sofern die B95-B97 Kodes nicht u. U. entgelt-relevant wären - wen kümmert es, aber da diese in einigen Fällen den PCCL erhöhen, sehe ich freudigen Diskussionen entgegen.

    Beste Grüsse & und ein geniales 2005

    Andreas Christaras
    Universitätsklinikum Düsseldorf
    Klinik für Kinder-Onkologie

    --------------------------------------------------------------------------------
    Dr. med. A. Christaras
    FA Kinder- & Jugendmedizin

    • Offizieller Beitrag
    Zitat


    Original von A_Christaras:
    2. Erreger-Kodierung
    Den von Ihnen vertretenen und dargestellten Ansatz der Kodierung der Erreger, sofern Sie identifiziert worden sind, halte ich für vollkommen korrekt (sachlich betrachtet). Im Zeitalter der \"kodierten Spitzfindigkeiten\" sehe ich aber ein Problem darin, daß die Kodierung aufgrund des fehlendenen Aufwandes zu Begründung einer Nebendiagnosen-Verschlüsselung angefochten wird. Im Sinne von: eine Blutkultur ist doch eine Standardmaßnahme ohne vermehrten Aufwand und in der Kostenmatrik der entsprechenden DRG abgegolten. Sofern die B95-B97 Kodes nicht u. U. entgelt-relevant wären - wen kümmert es, aber da diese in einigen Fällen den PCCL erhöhen, sehe ich freudigen Diskussionen entgegen.

    Hallo Herr Christaras,

    die D012d sollte teilweise diese Diskussionen beenden, da die Nebendiagnosendefinition hier nicht tangiert ist:

    2. Hinweise zur Doppelklassifizierung
    Für bestimmte Situationen ist eine andere Form der Doppelklassifizierung als die des Kreuz-Stern-Systems anwendbar, um den Gesundheitszustand einer Person vollständig zu beschreiben.
    Der Hinweis im Systematischen Verzeichnis „Soll ... angegeben werden, ist eine zusätzliche Schlüsselnummer zu benutzen“, kennzeichnet viele solcher Situationen (WHO).
    Hier sind aufzuzählen:

    • Lokale Infektionen bei Zuständen, die den Kapiteln der „Organkrankheiten“ zuzuordnen sind. Schlüsselnummern des Kapitels I zur Identifizierung des Infektionserregers werden hinzugefügt, sofern dieser im Rubriktitel nicht enthalten ist. Am Ende von Kapitel I steht für diesen Zweck die Kategoriengruppe B95!–B97! zur Verfügung
    (siehe Tabelle 2 (Seite 27)).
    ....

    Ausrufezeichenkodes
    Sowohl in der ICD-10-GM als auch in der Datenübermittlungsvereinbarung nach § 301 SGB V werden die Ausrufezeichenkodes (z.B. S31.83!) als „optionale“ Schlüsselnummern bezeichnet.
    Mit einem Ausrufezeichen gekennzeichnete sekundäre Schlüsselnummern sind zum Teil optional, in anderen Fällen obligatorisch anzugeben.
    ...

    Tabelle 2: Mit einem Ausrufezeichen gekennzeichnete Kategorien/Kodes, die bei Vorliegen bestimmter Diagnosen obligatorisch anzugeben sind (nicht optional):
    B95.–! Streptokokken und Staphylokokken als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind
    B96.–! Sonstige Bakterien als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind
    B97.–! Viren als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind
    ...

    Mit freundlichen Grüßen

    D. D. Selter

    Ärztlicher Leiter Medizincontrolling

    Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau

  • Hallo Herr Selter oder

    Lord of the Codes :biggrin:

    Danke für den Hinweis.

    Ein Problem weniger (hoffe ich).

    :)

    Grüsse

    Andreas Christaras
    Universitätsklinikum Düsseldorf
    Klinik für Kinderonkologie

    --------------------------------------------------------------------------------
    Dr. med. A. Christaras
    FA Kinder- & Jugendmedizin

  • Hallo Herr Pietzcker,

    großes Lob für Ihre Übersicht dieses recht komplizierten Themas. Man muss eben erst einmal einen richtigen Mikrobiologen ranlassen.
    :i_respekt:
    Ich hatte dieses Thema auch schon gepostet, am Ende sogar das Orakel von Siegburg angerufen, weil ich mit der getrennten Darstellung von Sepsis und SIRS (spricht man das eigentlich in Buchstaben oder in einem Wort??)) nicht klar kam. Das Orakel zitierte aber nur seine eigenen DKR und ließ mich verwirrt und ratlos zurück wie es Oräkel eben so tun.

    Mit Ihrer Darstellung ist auf jeden Fall mehr anzufangen. Wahrscheinlich werden Sie bald eine Aufforderung zur Bewerbung aus Siegburg bekommen.

    Besten Dank und viele Grüße

    H. Bürgstein

  • Hallo liebe Kollegen,

    vielen Dank für die interessanten Beiträge.

    An Herrn Christaras: Was die Sepsis-Definition angeht, haben Sie natürlich vollkommen recht. Wenn bei Kindern andere Kriterien gelten, dann sind die natürlich auch anzuwenden. Ich werde einen Hinweis auf die GPOH gerne auch in den Leitfaden schreiben - hätten Sie einen Link für mich, in dem das nachzulesen ist?

    An Herrn Bürgstein: Nach Siegburg zieht es mich eher weniger :)

    An alle: Ich stehe inzwischen mit dem DIMDI in Kontakt wegen des offensichtlichen Widerspruchs zwischen ICD und DKR, was die Sepsis im Zusammenhang mit Schwangerschaft/Geburt betrifft. Da sind nur gerade viele Leute im Urlaub.

    Für unsere Mikrobiologie-Kodiersoftware, die ja schon vielerorts verwendet wird, um Kodiervorschläge auf Mikrobio-Befunde zu schreiben, werde ich das jedenfalls erstmal so wie beschrieben umsetzen. Wenn mir dann hinterher jemand beweist, dass ich falsch lag, wird\'s halt wieder geändert. Mal sehen, wann der erste sich beschwert, dass sein Grouper die A40.0 und die O85 nicht zusammen durchgehen lassen will. (Gibt\'s das eigentlich - Grouper, die prüfen, ob die die Inkl.- und Exkl.-Kriterien oder gar die DKR beim Gruppieren verletzt werden?)

    Vielen Dank nochmal und einen guten Rutsch in ein spannendes Jahr 2005!

    Beste Grüße,
    Tim Pietzcker

    Prof. Dr. Tim Pietzcker, MBA
    Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie
    Technische Hochschule Ulm

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    Zitat


    Original von Pietzcker:
    (Gibt\'s das eigentlich - Grouper, die prüfen, ob die die Inkl.- und Exkl.-Kriterien oder gar die DKR beim Gruppieren verletzt werden?)

    Hallo Herr Pietzcker,

    gibt es.
    Z.B. arbeite ich mit der neuen 3M-Suite, in der die Funktionen Grouper, Med. Regelprüfung, QS-Filter und Fallansicht kombiniert wird. Sehr angenehm ist, dass es alles auf einer Seite dargestellt wird. Eine benutzbare Demoversion gibt es hier.

    U.U. gibt es andere ähnliche Softwaren, dazu kann ich aber nichts sagen.

  • Hallo Herr Selter,

    vielen Dank! Was würde denn in so einem Fall geschehen? Gibt die Software dann einen Hinweis, dass die Kodierung so nicht erlaubt ist, lässt sie aber trotzdem zu, oder kann man dann gar nicht so kodieren? Das könnte ja ein großes Problem werden...

    Viele Grüße
    Tim Pietzcker

    Prof. Dr. Tim Pietzcker, MBA
    Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie
    Technische Hochschule Ulm

    • Offizieller Beitrag

    Geben Sie mir mal einen kompletten Fall (HD, NDs, Prozeduren), dann schau ich mal. Oder holen Sie sich doch die Demoversion aus dem Netz und checken es auch nach. :d_zwinker: Mal nicht so faul zum Jahresende werden! :d_zwinker:

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Herr Pietzcker,

    wenn man im Grouper der 3M-Suite den Sepsis-Kode vor O85 eingibt, gibt die Med. Regelprüfung eine Fehlermeldung, verweist dabei auf die DKR 0103d und sagt: O85 ist als Haupt-, A40.1 als Nebendiagnose zu nennen.
    \"Gut aufgepasst! 1, setzen!\"

    Um die Exklusiva wir sich hierbei nicht gekümmert. Muss ja auch ehrlich gesagt nicht sein, weil die DKR diese Hinweise überschreiben. Da die 0103d ja nun mal inhaltlich genau vorgibt, mit welchen Kodes in welcher Reihenfolge zu kodieren ist, haben diese Hinweise auch überhaupt nichts zu melden.

    Dann mal einen guten Rutsch!

  • Hallo zusammen!
    Herr Selter weist zurecht darauf hin, dass auch andere Hersteller von Kodiersoftware solche Tools anbieten. Ich werde zwar von keiner Softwarefirma bezahlt :c_flenn: , möchte aber trotzdem erwähnen, dass auch der KODIP DRG-Proof den o.g. Fehler erkennt. Bei Diacos wirds vermutlich ähnlich sein.

    Viele Grüße!

    Dr. Peter Leonhardt
    Neurologe
    Arzt für Med. Informatik
    Med. Controlling


    I'd rather have a full bottle in front of me than a full frontal lobotomy