Weite Anreise kein Argument für Aufnahme am praeop. Tag ?

  • Hallo Forum,
    wieder mal ein Problem aus einem schon mehrfach angerissenen, aber für mich noch nicht endgültig geklärten Themenkreis:

    Wem fällt noch eine schlagkräftige Argumentationshilfe für folgenden MDK-Fall ein:

    7-jähriger Patient wird aufgrund Anreise von ca. 80 km am Tag vor der OP stationär aufgenommen. Es handelte sich um ein Nasen-Rachen-Fibrom. Die OP mußte 8.00 stattfinden, da erhöhtes Blutungsrisiko (Nachbeobachtungszeit sollte vor Bereitschaftsdienstzeit möglichst lang sein wegen möglicher Revision).
    MDK akzeptiert Aufnahme am Tag vor OP nicht. :noo: Dies sei nur ein organisatorisches Problem, kein medizinisches. Meiner Meinung nach ist dies schon ein med. Problem, wenn ein Kind um 5.00 Uhr aus dem Nachtschlaf gerissen wird und nach 2 Stunden hektischer Betriebsamkeit zu Hause incl. Fahrt unausgeschlafen und nur pharmakologisch runtergeregelt auf dem OP-Tisch landet.
    Die OP-Vorbereitung kann in einigen Fällen sicher praestationär erfolgen, aber ist dies wirklich zu erzwingen? Auch laut G-AEP-Kriterien ist eine Aufnahme gerechtfertigt, wenn die OP innerhalb von 24 stunden erfolgt. ...oder sehe ich das falsch? :d_gutefrage:

    Freue mich auf Meinungen.
    Viele Grüße

    St. Zacher

  • Mir fällt dazu auch nichts mehr ein ! In der Satzung der MDKs steht übrigens, dass die MDK-Gutachter nur ihrem ärztlichen Gewissen verpflichtet sind. Das nur am Rande.

    Also: In jeder deutschen Großstadt kommt man mit trockreichem Einsatz von öffentlichen Verkehrsmitteln und vielleicht eines Taxis (EUR 10) binnen einer Stunde zum nächsten Fachkrankenhaus. Man kann jetzt lange darüber philosophieren, wie groß die mittlere Distanz zum KH in Kilometern wäre.

    Also eine Anfahrt von einer dreiviertel Stunde mit dem Auto - sofern vorhanden (da ist das nächste Problem) - ist einem Normalbürger im Flächenland wohl in diesem unseren Lande noch zuzumuten. Das heisst defacto eine Stunde vor dem Termin losfahren, also in diesem Falle losfahren 06.30, ankommen 07.30. OP 08.00.

    Aber 80 km lassen sich so eben nicht überbrücken.

    Vorsicht: Wenn es ein KH näher am Wohnort gibt, haben Sie schlechte Karten.

    Grüße von der Ostsee,

    Dr. med. Christoph Bobrowski, M.Sc.

  • Guten Tag,

    ich denke, dass man bei dieser Diskussion verschiedene Umstände unterscheiden muss.

    Die erste Frage muss immer lauten, ob eine solche OP unbedingt stationär durchgeführt werden muss. Leider ist bei dem geschilderten Fall das Ausmaß der OP und Blutungsgefahr nicht sicher abzuschätzen - ich unterstelle deswegen mal, dass es sich um einen stationären Aufenthalt handelt, der mit einer DRG abzurechnen ist.

    Dann ist die präoperative Verweildauer so lange für die Kasse uninteressant, als es nicht postoperativ zu einer Komplikation mit Überschreitung der oGVD kommt. In einem unserer Fälle mit Wiederaufnahme und Fallzusammenführung wegen einer Komplikation wollten Kasse und MDK uns bei der zusammengefassten DRG plötzlich präoperative Diagnostik-Tage abziehen, ohne im Gutachten die Komplikation auch nur ansatzweise zu würdigen. Solche Fehlbelegungsbetrachtungen durch die Hintertür sind meines Erachtens absolut daneben und nicht hinnehmbar, aber leider nicht entschieden, oder hätte da jemand ein Beispiel für mich?

    Anders mag die Angelegenheit ja sein, wenn es sich um 1-Tages-DRGs handelt und die Vorbereitungen auch vorstationär laufen könnten.

    Klare Verfahrensanweisungen für alle \"Player\" wären hilfreich, allerdings wird sich insgesamt in der Abgrenzung zwischen \"stationär\" im weitesten Sinne und \"ambulant\" auch bei Kindern sicher noch viel bewegen müssen.

    Gruß murx

  • Hallo,

    ohne jetzt die Kodierung und DRG-Ansteuerung gewürdigt zuhaben, vermute ich, dass im geschilderten Fall die Kasse auf eine Unterschreitung der uGVD hinaus will, d.h. dass das Krankenhaus die Leistung in so kurzer Zeit erbringen soll, dass eine Unterschreitung der uGVD resultiert.

    Das ist zwar nur eine Vermutung, aber auf einer Veranstaltung, die gemeinsam mit dem \"MDK in Bayern\" durchgeführt wurde, wurde ziemlich klar gesagt, dass die Krankenkassen in diesem Jahr einen Schwerpunkt der Kürzungsabsichten im Bereich der \"langen Kurzlieger\" sehen.

    Gruß

    Christoph Bobrowski

    Dr. med. Christoph Bobrowski, M.Sc.

  • Zitat


    Original von murx:
    Dann ist die präoperative Verweildauer so lange für die Kasse uninteressant, als es nicht postoperativ zu einer Komplikation mit Überschreitung der oGVD kommt.

    Hallo Murx,

    das stimmt wohl nicht so ganz, denn häufig geht es doch wohl um die Realisierung von Abschlägen für die UGVWD.

    MFG

    Mr. Freundlich

  • Zitat


    Original von StZacher:

    MDK akzeptiert Aufnahme am Tag vor OP nicht. :noo: Dies sei nur ein organisatorisches Problem, kein medizinisches.


    Solche Aussagen machen auch mich immer noch wütend und traurig, degradiert sie doch die uns anempfohlenen Patienten quasi zu \"Werkstücken\", die zur Erlangung einer möglichst hohen Produktivität optimal organisiert werden sollen. Hat den Gutachter mal jemand gefragt, ob er selbst Kinder hat und wie er in einem solchen Fall diese behandeln lassen möchte? :teufel:

    Zornig

    grüßt H. Staender :baby:
    Oberarzt Pädiatrie

  • Hallo Leute,
    es ist doch eine verkehrte Welt, wenn man zu BPflV-Zeiten dafür \"bestraft\" wurde, wenn man Patienten schnell entlassen hat und jetzt im DRG-Zeitalter wieder dafür bestraft wird. Jeder der sich um wenig traumatisierende, patientenschonende Operationstechniken und Narkosetechniken bemüht wird auch bei erhöhtem Aufwand dafür bestraft, wenn er dies tut.
    Allein in der Gynäkologie und Geburtshilfe gibt es ausreichend Beispiele für diesen \"Unsinn\".
    Jede organerhaltende minimalinvasive Operation wie hysteroskopische Myom- oder Polypresektion, die unter Umständen länger dauern kann und aufwendiger ist als eine Hysterektomie wird nur mit einem Bruchteil dessen vergütet, was eine Hysterektomie bringt. Bei den Qualitätsberichten wird es ganz deutlich, dass hier große Unterschiede zwischen einzelnen Häusern vergleichbarer Größe bestehen.
    Genauso bei den Geburten: Den normalen Geburtsverlauf bei einer Erstgebärenden mit einer Wehenschwäche abzuwarten und ihr doch noch eine Spontangeburt zu ermöglichen kann man sich ökonomisch kaum noch leisten. Eine Sectio wird heutzutage in 20 Minuten erledigt. Und dann wundert man sich, wenn gerade in Belegabteilungen die Sectiorate mittlerweile die 30% Marke überschreitet.
    Wenn man sich überlegt, dass eine läppische Appendektomie ohne Peritonitis rund 400€ mehr Erlös bringt als eine unter Umständen 14-stündige Spontangeburt, dann fragt man sich, wo die Relationen bleiben. Ich kann die Logik dahinter nicht nachvollziehen und die Preisbildung schon erst recht nicht.
    Unser Bundesärztekammerpräsident Herr Hoppe hat schon ganz recht in seinem Interview, dass wir uns weg von ethischen Grundsätzen und hin zu einer Zuteilungsmedizin bewegen.
    Ich darf zum Glück hin und wieder zwischen Budgetverhandlung und Qualitätsbericht auch noch operieren und habe vorwiegend nachts auch noch Patientenkontakt. Das möchte ich nicht missen.

    Ich denke wir müssen mehr gut vorbereitete Prozesse führen, um den :t_teufelboese: \"Schreibtischtätern\" und \"Zuteilungsspezialisten\" Einhalt zu gebieten.
    Mir ist sehr wohl an Kosteneffektivität gelegen aber es darf nicht zur \"Unmenschlichkeit\" verkommen.

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken

  • Hallo,

    meine Herren (in dem Fall Heller und Staender)...

    Wenn Sie hier alle mal eine klare Linie fahren würden, hätte ich wenigstens noch Respekt vor Ihrer \"Menschlichkeit\". Folgen wir einmal dem Grundsatz, der von allen Beteiligten an diesem glorreichen pauschalen Vergütungssystem beherzigt werden sollte:

    [f3]Die Vergütung folgt der Leistung und nicht umgekehrt![/f3]

    Dann darf man wohl fragen, ob eine zweifellos notwendige präoperative Diagnostik ambulant bzw. im Rahmen einer vorstationären Behandlung zu erbringen wäre. Das wäre nämlich nicht unmenschlich sondern angemessen, wenn keine AEP-Kriterien dagegen sprechen (dafür gibt es die ja schließlich!).

    Im Eingangsbeispiel ist nur die Rede von 80 km weiter Anreise. Ich komme aus einer Großstadt zwischen Rhein und Ruhr. Meine Kasse würde es einen Sch... interessieren, ob ich für eine HNO-Standard-OP 80 km fahre, da allein im Umkreis von 50 km nicht weniger als 4 Uni-Kliniken sind!

    Das wollen die werten \"Schreibtischtäter\"-Gegner aber mal so gar nicht differenziert beurteilen, bevor sie zum beliebten Täter-Opfer-Schlag ausholen.

    Was ist denn mit Verweildauersteuerungstools, clinical pathways, Vorab-DRGs zur besseren Planung auf Station ect. ???

    Sind die vergleichsweise menschlich??? Sind die auch auf dem Mist der Kassen gewachsen??? Oder sind gar auf \"Ihrer Seite\" Schreibtischtäter am Werk???

    Was rechtfertigt gegenüber Patienten und Angehörigen Ihre Reaktionen, wenn sie sich auf dem Niveau bewegen, wie die von Ihnen angeprangerten Aktionen? (will sagen, wie erklären Sie dem Vater eines behandelten Kindes, dass Ihre Verweildauersteuerung besser ist als unmenschliche untere Grenzverweildauern?)

    Nicht minder zornig,


    ToDo

    Freundliche Grüße


    ToDo

    Wir lieben die Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - falls sie das gleiche denken wie wir.
    (Mark Twain)

  • Hallo Forum,

    ein Problem besteht darin, daß man Fällen wie dem oben beschriebenen nicht mehr gerecht wird. tatsächlich ist eine längere Anreise am OP Tag für ein Kind u.U. problematisch. Und es dürfte kein Zweifel daran bestehen, daß sich manches Argument (auf beiden Seiten) schlicht diametral umkehrt, nur weil das Vergütungssystem wechselt.

    Die klinischen Behandlungspfade passen nicht in die Liste von ToDo, weil hier die Chance besteht, echte Reserven zu mobilisieren. Das muß doch wohl im Sinne aller sein, oder nicht :a_augenruppel: ? Insofern hat die Diskussion um Behandlungspfade nichts mit dem o.g. Fall zu tun.

    Ähnlich Diskussionen spielen sich mit schöner Regelmäßigkeit um die Verdichtung der diagnostischen Leitungen ab.

    Ab wann ist eine zur Zusammenfassung der Leistungen eine Aufnahme wünschenswert oder geboten? Die Grenzbereiche sind doch alle nicht sauber definiert (Beispiele: stat. Aufnahme Riskoschwangerschaft mit maternalem Diabetes, Tumordiagnostik etc.).

    Manchmal würde auf beiden Seiten etwas Wohlwollen zu besseren Lösungen führen.


    Gruß

    merguet

  • Guten Tag.

    Zitat


    Original von ToDo:
    Folgen wir einmal dem Grundsatz, der von allen Beteiligten an diesem glorreichen pauschalen Vergütungssystem beherzigt werden sollte:
    [f3]Die Vergütung folgt der Leistung und nicht umgekehrt![/f3]

    ja sicher, und

    [f3]LEISTUNG ist immer noch Arbeit pro Zeit[/f3]

    Schönen Abend.
    Irritiert.
    Euer Dobby

    Gruesse Dobby :k_mauer:

  • Sehr geehrte Mitdiskutierende,

    sehr geehrter ToDo,

    warum so sauer, wenn ein Arzt sich wundert, dass der MDK, von den Kassen beauftragt, aber nur seinem Gewissen verpflichtet, etwas vorschlägt, was nach gängigen Kriterien eine massive Zumutung ist ? Die Pauschalisierung von Herrn Heller und Herrn Staender entspringt sicher dem akuten Ärger, nun denn, und damit ist sie auch nicht zielführend.

    \"Die Vergütung folgt der Leistung und nicht umgekehrt!\"
    Der MDK begutachtet die \"medizinische\" Leistung und findet, es würde am präoperativen Tag keine Leistung stattfinden. Damit könnte der MDK es ja auch gut sein lassen, man muss nicht sagen \"dann können die ja mal früh aufstehen\" (was ich mal vermute, denn sonst wären das alles nicht so hochgekocht).

    Herr ToDo, was ich vom MDK gelernt habe, ist, dass es eben nicht nur medizinische Gründe für eine Leistungserbringung gibt, sondern auch soziale. Das trifft sicher nicht so wahnsinnig oft zu, aber man bedenke:

    - Begleitpersonen
    - Minderjährige Schwangere
    - Betreute Patienten
    - Patienten, die ins Heim verlegt werden müssen
    - Problematisch zu betreuende Kinder

    Also hier müssen sich dann wohl Krankenhaus (das in etwa so eine Indikation für die Übernachtung sah) und Krankenkasse (die sie im Grundsatz sehen sollte) auseinander setzen.

    Für mich ist klar: Wenn beim MDK irgendetwas aus medizinischen Gründen nicht durchgeht, dann ist - wenn auch eher selten - die Frage nach sozialer Indikation zu stellen.

    Ich glaube, das meinte Herr Heller auch in seinem emotionalen Posting. Die Kassen preisen immer die Solidarität der Versichertengemeinschaft - hier liegen Fälle vor, wo man erwartet, dass die Sachbearbeiter mal drüber nachdenken.

    Gruß,

    Bobrowski

    Dr. med. Christoph Bobrowski, M.Sc.